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China Blue bei Tag und Nacht

China Blue bei Tag und Nacht

OT: Crimes of Passion
SELBSTFINDUNGSSLEAZE: USA, 1984
Regie: Ken Russell
Darsteller: Kathleen Turner, Anthony Perkins, John Laughlin, Annie Potts

STORY:

Joanne Crane ist eine biedere Modedesignerin. Doch wenn es dunkel wird, setzt sie die wasserstoffblonde Perücke auf, schlüpft in ein kurzes, hellblaues Kleidchen und wird zur scharfzüngigen Prostituierten China Blue, Spezialistin für erotische Rollenspiele.

Bobby ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. Mit seiner Ehe steht es nicht zum Besten, als er hinter Joannes Geheimnis kommt und schließlich in den Armen (respektive: zwischen den Beinen) von China Blue landet.

Dann wäre da noch der Straßenprediger Reverend Peter Shayne, der schwitzend im Rotlichtbezirk herumlungert und beständig nach sündigen Seelen Ausschau hält, um diese dann zu erretten; stets die Bibel in der recht(schaffen)en Hand und den Messerdildo in der Tasche…

KRITIK:

Der exzentrische Engländer Ken Russell hat das Geld seiner amerikanischen Produktionsfirma New Picture zunächst einmal klug investiert und sich für die wichtigen Rollen der Dienste zweier namhafter Hollywoodstars versichert. Sowohl Kathleen Turner (absolut großartig und sleazy als China Blue) als auch Mr. PSYCHO himself Anthony Perkins (zu sehen als zwielichtiger Heiliger auf den besten Weg zum bigotten Serienmörder) erweisen sich als wahre Hauptgewinne und es darf darüber gestritten werden, wer nun wem die Show stiehlt. Doch eigentlich stellt sich diese Frage gar nicht, denn auch als Gegenspieler harmoniert das Gespann Turner/Perkins prächtig.

Oftmals wird CHINA BLUE ja unter dem Begriff "Erotikthriller" geführt, doch dieses Genre trifft den Kern - wenn überhaupt - nur am Rande. Liest man sich quer durch die Rezensionen zu CHINA BLUE, stolpert man immer wieder über Adjektive wie "sleazy", "funny" oder "campy". Aus dem berufenem Mund von Roger Ebert kam gar das böse S-Wort "silly". Mir jedoch hat sich CHINA BLUE als herrlich überdrehtes Stück Hollywood-Smut offenbart, das sich sowohl Genre-Schubladen als auch Mainstreamkonventionen konsequent verweigert; das neben "sleazy", "funny" und "campy" auch komisch, tragisch, tragikomisch, aber niemals unfreiwillig komisch ist. Im Gegenteil. Man übt sich in der Hohen Kunst der intelligenten Überspitzung.

Ken Russell packt bissigen Witz in unseren Koffer und schickt uns auf die Reise in ein nächtliches Rotlichtviertel, wo man sich zwischen Selbsthilfegruppe, Peepshow, Kamasutra und Lotterbett den verborgenen menschlichen Obsessionen, Trieben und Sehnsüchten stellt. Erwartungsgemäß begegnet uns dort auch eines der Lieblingsthemen des Regisseurs - nämlich der Widerstreit von Sexualität und Religion. Dabei ist Russell - das wissen wir - der letzteren nicht in Freundschaft zugetan.

"Are you desperate or horny?" - "Married." - "Ah, you´re desperate and horny!"

Dies ist nur eine von vielen memorablen Dialogzeilen aus Barry Sandlers Drehbuch und mit ihr wären wir auch schon beim nächsten zentralen Punkt des Films. Die Ehe. Und zwar die Ehe nach den Flitterwochen, nach vielen Jahren und zwei gemeinsamen Kindern; wenn sich ein Paar auseinanderdividiert hat und Liebe keine Liebe, sondern nur noch Gewohnheit ist. Personifiziert wird die Lebensgemeinschaft in extremis von den Figuren Bobby und seiner gelangweilten Gattin Amy.

Doch keine Sorge: CHINA BLUE ist kein sprödes Beziehungsdrama. Sondern: ein flirrender Trip hinein in einen comichaften, schillernd-schäbigen Rotlichtbezirk. Denn wenn das Red Light Fever hell lodert, wirft der Film seine kultigen Szenen aus. Die sind in den ungeschnittenen Fassungen allerdings zahlreicher vertreten als auf den handelsüblichen amerikanischen Medienträger. In den USA musste CHINA BLUE für ein R-rating ganze 12 Minuten gestutzt werden. Somit verpasste Onkel Sam eine grobe, längere Sequenz, in welcher China Blue es einem toughen Streifenpolizisten mit dessen eigenem Schlagstock besorgt - quasi "Fuck the Police" im Wortsinn. Oder haltet Ausschau nach jenem herrlichen Moment, in welchem China Blue in Nonnentracht einem schwitzenden Priester ein frivol geträllertes "Onward, you christian soldiers"-Ständchen darbringt: Sozusagen Kathleen Turner in Nunsploitation…

Verpasst bitte auch nicht, wenn sich der "Human Penis" zu Also sprach Zarathustra-Beschwörungsgesängen aus dem Staub erhebt und abspritzt; ein verschmitzter Gruß Russells an den Kumpel Kubrick?

Zum Schluss allerdings ist Schluss mit Lustig. Dann macht Reverend Bates einen Hausbesuch und CHINA BLUE endet mit psychotischem Terrorfinale dann doch noch in Thriller-Gefilden.

Trotzdem konnte auch Rick Wakemans sofort ins Ohr gehende Musik nicht verhindern, dass CHINA BLUE an der Kinokasse floppte und somit zu Russells letzter Hollywoodarbeit wurde.

PS: Diese Review basiert auf der mit einer englischen Tonspur ausgestatteten ungeschnittenen schwedischen DVD aus dem Hause Studio S.

PPS: Die Soundtrack-CD, auf der Wakeman mit Synthesizerklängen, folkigen Metalriffs und progressivem Rock eifrig aus Dvoráks "Sinfonie aus der neuen Welt" zitiert, ist auch losgelöst vom Film gut hörbar.

China Blue bei Tag und Nacht Bild 1
China Blue bei Tag und Nacht Bild 2
China Blue bei Tag und Nacht Bild 3
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China Blue bei Tag und Nacht Bild 8
FAZIT:

Tagsüber Modedesignerin, abends schlagfertige Hure. In ihrer comichaft-überzogenen Rotlichtwelt hat CHINA BLUE phantastischen Sex mit dem verheirateten Familienvater Bobby und eine Menge Ärger mit dem PSYCHOtischen Seelsorger Shayne. - Unter Rotlicht behandelt Ken Russell menschliche Beziehungen mit bissigem Witz, überspitzten Klischees und einer Buddel voll Sleaze. Auf der Tonspur arrangiert Rick Wakeman mit Synthesizer und folkigem Prog die "Sinfonie aus der neuen Welt" um. Kathleen Turner stiehlt Anthony Perkins die Show und umgekehrt. Doch weil Russell und sein Drehbuchautor Sandler wenig Rücksicht auf Mainstream-Gepflogenheiten nahmen, ist aus CHINA BLUE ein waschechtes "Love it or hate it"- Movie geworden.

Selbstredend: I love it! Und wie!

WERTUNG: 9 von 10 Post-Blowjob-Mundspülungen mit J&B
TEXT © Christian Ade
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Dein Kommentar >>
toxic | 14.03.2011 22:51
And then we fucked our brains out.
Werd wohl ein bisschen zum Ken Russel Fan.
Besser als ich erwartet hätte.
8 von 10 aus dem Pool gefischten Tauben im weißen Sarg
Chris | 15.03.2011 16:37
Hast du schon mal GOTHIC & BISS DER SCHLANGENFRAU von Russell angecheckt? Ich vermute, dass dir vor allem der letztgenannte Spaß machen könnte... : )
toxic | 16.03.2011 18:22
Beide schon auf Eurer Seite entdeckt und längst im Regal. Waren beide gut, die abgefahrenen Effekte bei "BdS" waren natürlich Sonderklasse.
Beim nächsten Geldbaum besorg ich mir noch "Die Hure" und dann reichts erstmal. Höllentrip war etwas seltsam, nich mehr richtig in Erinnerung aber ich mag ja alles "Cronenberg'sche".
Und seit "Gothic" weiß ich erst, wer Lord Byron war :-)
toxic | 16.03.2011 18:25
"Selbstfindungssleaze" find ich übrigens super :)
>> antworten
Nic | 22.01.2011 12:07
war wohl damals ein "shocker", kann mich an die vhs
erinnern :) wirkung bleibt heute aus, mMn. für ne
retrospektive noch interessant.
Chris | 22.01.2011 16:26
Da hast du nicht unrecht. Gemessen an heutigen Maßstäben ist CHINA BLUE sicherlich kein Skandal mehr und war es damals wohl auch nur in den gegenüber sexuellen Darstellungen sehr prüde eingestellten USA. Doch CHINA BLUE ist für jemanden wie mich, dessen Geschmack ohnehin eher retro ist immer noch Camp vom Allerfeinsten. : )
>> antworten
Gregor | 22.01.2011 10:38
Super Kritik! - Ich konnte mit dem Film beim ersten Mal ja ehrlich gesagt nicht ganz so viel anfangen, da ich eben einen echten Erotikthriller erwartet hatte. Aber bei der zweiten Sichtung fand ich den echt genial!
>> antworten