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Das Experiment

Das Experiment

THRILLER: D, 2001
Regie: Oliver Hirschbiegel
Darsteller: Moritz Bleibtreu, Justus von Dohnányi, Oliver Stokowski, Christian Berkel, Antoine Monot Jr., Andrea Sawatzki, Edgar Selge

STORY:

Das Experiment: 20 Freiwillige, 2 Gruppen - Gefangene und Wärter, eingesperrt in einem Scheingefängnis und innerhalb kürzester Zeit erfolgt die totale Eskalation...

KRITIK:

DAS EXPERIMENT der Film von Oliver Hirschbiegel beruht auf Das Experiment-Black Box, einem Roman von Mario Giordano, der seine Wurzeln wiederum im Stanford-Prison-Experiment unter der Leitung von Philip Zimbaro hat. In diesem sollte das menschliche Verhalten vorbelastungsfreier Probanden, innert einer Wärter/Gefangenen Situation unter "Realbedingungen" untersucht werden. Dass dieses psychologische Experiment nicht nur ethische, sondern auch wissenschaftliche Kritik hervorrief, schadet dem Film keineswegs, sondern macht seine Ausgangsthematik umso spannender.

Das kinoproduktive Erstlingswerk Hirschbiegels (DER UNTERGANG, FIVE MINUTES OF HEAVEN) versucht die psychischen und mentalen Tiefenschichten des menschlichen Verhaltens auf mehreren Ebenen und innerhalb dieser, auf verschiedene Weise, nachzuzeichnen. Da diese psychologische Vermittlung und natürlich das Experiment selbst die Kernattraktion des Filmes bietet, eilt er in Windeseile hin zur ersten Konfrontation innerhalb des "fiktiven" Gefängnisses. Vorgeschichte, Figurenzeichnung, und sonstige weiterführende Informationen bilden eine filmische Leerstelle. Lediglich Tarek (Moritz Bleibtreu) erhält eine kurze Einführungssequenz. Diese dient aber allenfalls dazu, ihn als Hauptfigur zu etablieren und seine späteren Traumsequenzen von Dora (Maren Eggert) plausibel zu machen.

Dass die Figuren dann trotzdem recht authentisch und real wirken verdankt der Film weniger seinem Drehbuch, als vielmehr seinen ausgezeichneten, wenn auch größtenteils unbekannten Schauspielern. Vor allem Justus von Dohnányi (Berus) auf Seiten der Strafvollzugsbeamten und Oliver Stokowski (Günther Schütte/Nr. 82) auf Seiten der Häftlinge liefern eine enorm starke Performance. Mit Abstrichen weiß aber auch das Spiel von Moritz Bleibtreu (als Tarek Fahd/Nr. 77), Christian Berkel (Robert Steinhof/Nr. 38) und Antoine Monot Jr. (Bosch) durchaus zu überzeugen. Einzig und allein Andrea Swatzki (Dr. Jutta Grimm) und Edgar Selge (Prof. Dr. Klaus Thon) sind für mich die Schwachpunkte innerhalb eines guten Ensembles, aber richtig schlecht ist auch was anderes.

Die beiden Wissenschaftler sind es, welche die erste Ebene der Psychosozialkritik von DAS EXPERIMENT bilden. Als allmächtige Halbgötter in Weiß (Prof. Dr. Thon) dargestellt, steht das wissenschaftliche Interesse weit über Ethik und Humanismus. Zweifel am Experiment (Dr. Grimm) werden beiseite geschoben und erst als die Lage komplett eskaliert, kommt die Erleuchtung, dass das alles vielleicht falsch sein könnte. Die zweite Ebene stellen die Wärter dar. Sie funktionieren weitgehend als sadistisches, machtbesessenes und gewissenloses Kollektiv. Doch Kollektive brauchen Anführer und auch Skeptiker und so werden kurzum ein Hyperpsychopath (Berus) und ein abgeneigter Mitläufer (Bosch) installiert.

Auf der dritten Ebene, also der Häftlinge, ist dann etwas mehr Platz für Individualität. Tarek darf revolutionäre Tendenzen in die Gruppe bringen und seinen (Tag)träumen verfallen, da das Ganze ja sonst nicht auszuhalten ist. Robert darf zeigen, was Disziplin und Durchhaltevermögen für einen Militärangehörigen bedeuten und Günther darf immerzu von seinem Büdchen erzählen, um so den Eindruck des armen Außenseiters, der psychisch am Ende ist, noch zu verstärken. Dass sich eigentlich keiner dazu entschließt, für ein wenig "Luxus" seine Mitgefangenen zu hintergehen, dass aber (fast) jeder Wärter mit ein bisschen Alk zum Ultrabrutalo wird, sagt schon Einiges über die Gut/Böse-Grundhaltung von DAS EXPERIMENT aus.

Im Prinzip klingt das ja alles sehr sehr spannend und das nicht nur für Psychiater, sondern auch für den Ottonormalfilmverbraucher, der sich immer wieder fragen könnte: "Wie würde ich mich in einer solchen Situation verhalten?" Das Problem des Films ist allerdings die totale Überstilisierung von Allem. Die Wissenschaftler sind überskrupellos, die Wächter sind übersadistisch und die Gefangenen überpsychotisch. Hierschbiegel verliert irgendwie komplett den Bezug zur humanpsychologischen Realität und damit schafft DAS EXPERIMENT nie auch nur eine halbwegs realistische Darstellung der Psychografie seiner Figuren.

Das ist schade, denn so artet ein Film, der einiges über den Realzustand der menschlichen Psyche zu Tage fördern hätte können, zum reinen Psychothriller à la Hollywood aus, der schlussendlich nur vom Voyeurismus seines Publikms lebt. Wenn dann Prof. Dr. Thon für seine unethischen Taten, moralisch korrekt, auch noch mit dem Tode bestraft wird, dann ist mir das für einen deutschen Film bei weitem zu amerikanisiert.

Das Experiment Bild 1
Das Experiment Bild 2
Das Experiment Bild 3
Das Experiment Bild 4
Das Experiment Bild 5
FAZIT:

DAS EXPIREMT ist zwar spannend, aber extrem überstilisiert. Nicht nur laut psychiatrisch-professioneller Meinung total realitätsfremd und deshalb als reiner Psychothriller ohne psycholoanalytischen Mehrwert einzustufen. Somit überzeugt schlussendlich nur die sehr gute schauspielerische Leistung des Ensembles. Das ist schade, weil der Film viel mehr hätte sein können, als eine deutsche Produktion die zum hollywoodesken Voyeurismus ausartet.

 

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artem shypulya | 20.11.2020 12:56
Das ganze Leben ist ein Experiment
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