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Das Gesicht im Dunkeln

Das Gesicht im Dunkeln

OT: A doppia faccia
GIALLO: DEUTSCHLAND, 1969
Regie: Riccardo Freda
Darsteller: Klaus Kinski, Margaret Lee, Christiane Krüger, Sydney Chaplin

STORY:

Helen Alexander ist eine schwerreiche, aber gelangweilte Frau. Ihren Ehemann John hat sie zwar als Alleinerben eingesetzt, macht sich aber nichts daraus, ihn offen mit der lesbischen Freundin Liz zu betrügen. Dann explodiert Helens Wagen und aus dem Wrack wird eine verkohlte Frauenleiche geborgen, die man für Helens sterbliche Überreste hält. Ein Jahr später stößt der immer noch trauernde John unter mysteriösen Umständen auf einen Pornofilm, der erst vor kurzem gedreht wurde und zwei Frauen in einem Bett zeigt. John glaubt, Helen zu erkennen. Doch Helen ist tot. Oder etwa nicht? John beginnt einem Phantom nachzujagen…-

KRITIK:

DAS GESICHT IM DUNKELN ist eins von insgesamt fünf gelben Kuckuckseiern, die der italienische Giallo in die deutsche Edgar, bzw. Bryan Edgar Wallace-Reihe geschmuggelt hat.

Im Gegensatz zum Rätsel des silbernen Halbmonds und den Geheimnissen um schwarze Handschuhe, gelbe Gräber und grüne Stecknadeln setzt man weniger auf den klassischen Giallo-Plot, sondern definiert seine wahre Genrezugehörigkeit über formale Indikatoren wie Inszenierung, Stimmung und Musik.

Trotzdem erinnert das Verwirrspiel von DAS GESICHT IM DUNKELN nicht nur wegen Lucio Fulcis Credits am Treatment an dessen im gleichen Jahr entstandener PERVERSION STORY.

Verglichen mit PERVERSION STORY entpuppt sich DAS GESICHT IM DUNKELN allerdings ziemlich rasch als nicht leicht zu erschließendes und inhaltlich unausgegorenes Werk, welches fast folgerichtig als einer der größten Flops in die Firmengeschichte der deutschen Produktionsfirma Rialto eingegangen ist. Die Edgar Wallace-Fanbasis als anvisierte Zielgruppe wird aber auch in fast schon aufreizender Weise vor den Kopf gestoßen. So ziemlich alle Trademarks der beliebten deutschen Krimireihe wurden rotzfrech und konsequent ignoriert. So hat man den albernen Eddie Arent hinausexorziert; dafür eine nackte Christiane Krüger integriert und somit den Humor zu Gunsten der Erotik ersatzlos gestrichen.

Und weil der traditionsbewusste Wallace-Hardliner ohnehin keinen gesteigerten Wert auf Titten in seinem Teutonenkrimi legt, kann man sich vorstellen, dass er mit Szenen, in denen Brüste, Messer, Perlen und Narben im lesbischen Lotterbett akzentuiert werden, nicht viel anfangen konnte. Demnach stellt sich die Giallo-Fraktion als trefflichere Klientel heraus, aber auch dort wird man nicht zwangsläufig glücklich mit dem GESICHT IM DUNKELN.

Denn Fredas Film ist keiner für jede Jahreszeit und auch weit davon entfernt, ein herkömmlicher Schwarzer Handschuh-Thriller zu sein. Wer also Wert auf Hochspannung und stylische Morde legt, könnte sich schnell langweilen. Ist man aber in der Stimmung für eine verzweifelte, fast schon ins Irreale kippende Reise durch die Nacht, liegt man hier lange Zeit goldrichtig. Oftmals präsentiert sich John Alexanders Suche nach der scheinbar dem Jenseits entronnenen Gattin im Gewand eines (fiebrigen) Traums. Darin liegt der Reiz des Films. In dieser merkwürdig entrückten Atmosphäre, zu welcher Nora Orlandis hypnotische Filmmusik der Schlüssel ist.

Da kann es schon vorkommen, dass plötzlich und uneingeladen ein wildfremdes, bildhübsches und blutjunges Blumenkind im tristen Witwerheim auftaucht und mal eben die Dusche benutzt. Und danach das Irrlicht für den irritierten Hausherrn gibt; auf dessen seltsamer Odyssee durch ein nächtliches London.

Erste Station für John -der übrigens von einem famosen Klaus Kinski gespielt wird- ist ein merkwürdiges Hippie-Babylon; wo in schäbigen Hinterzimmern Pornofilme vorgeführt werden, in denen sich scheinbar eine vermeintlich Verstorbene sapphischen Spielen hingibt.

Bis John in einer düsteren Kathedrale mit der Wahrheit konfrontiert wird, müssen allerdings noch einige Male der eigene Verstand angezweifelt und Mädchen in Stundenhotelzimmern mit abgebrochenen Flaschenhälsen verhört werden… Doch wie zuvor angedeutet wird dann und wann auch der feuchte Traum touchiert. Der FSK 12-Freigabe zum Trotz präsentiert selbst die gekürzte, deutsche Fassung ein für Edgar Wallace-Verhältnisse geradezu skandalöses Maß an T & A. Allerdings gibt es mehr Filmminuten in der italienischen Version und gar Hardcore Inserts in der sagenumwobenen französischen Fassung, in welcher keine Geringere als JUSTINE DE SADE’s Alice Arno in den Vollkontakt gehen soll.

Schade, dass die rundere, italienische Fassung nicht auf die deutsche DVD zu finden ist. Schade auch, dass Freda nicht auf die Einleitung mit dieser unnötigen wie unerträglich trashigen Unfallszene, in der ein deutlich als solches erkennbares Spielzeugauto mit einer Modelleisenbahn kollidiert, verzichtet hat. Und noch bedauerlicher ist es, dass DAS GESICHT IM DUNKELN nicht so konsequent Kurshalten durfte wie ein BLOW-UP oder ein SPUREN AUF DEM MOND. Denn am Ende beugt sich Freda doch noch der Edgar Wallace-Doktrin, indem er die Geschichte auf die letzten Meter in die Bahnen eines banalen Kriminalfalls lenkt und entsprechend holprig auflöst. Das nimmt den Mysterien etwas den Zauber und zeigt deutlich, dass in diesem alles andere als leicht zugänglichen Werk der Weg das Ziel war. Doch schon der Weg lohnt, wenn man bereit ist, auf Nervenkitzel und stringent erzählte Geschichten zu verzichten und sich stattdessen mit feinjustierten Antennen in den Nebel eines düsteren, dezent abseitigen London hinauswagen will.

Das Gesicht im Dunkeln Bild 1
Das Gesicht im Dunkeln Bild 2
Das Gesicht im Dunkeln Bild 3
Das Gesicht im Dunkeln Bild 4
Das Gesicht im Dunkeln Bild 5
Das Gesicht im Dunkeln Bild 6
Das Gesicht im Dunkeln Bild 7
FAZIT:

Als trauernder Witwer entdeckt Klaus Kinski in einem Pornofilm das Phantom seiner toten Frau …- Auf der Beliebtheitsskala der Edgar Wallace-Fundamentalisten rangiert die von Italiens Altmeister Freda inszenierte Nummer 29 der Reihe nur knapp über der Lepra. Aber DAS GESICHT IM DUNKELN ist auch mehr gialloeskes Verwirrspiel als teutonischer Kultkrimi. Während der sperrige Film aufgrund mangelnder Spannung und banaler Auflösung als Thriller eher versagt, entpuppt er sich als Schmaus für die Sinne.

Insbesondere Zuschauer mit Gespür für Atmosphäre können trotz Spannungsdefizit eine formidable Reise durch ein merkwürdiges, nächtliches London erleben. Neben nackter Haut und Klaus Kinski in Topform wird einer der besten Genrescores überhaupt geboten. Erhaben hypnotisch klingt die Musik von Nora Orlandi und ist möglicherweise der Schlüssel zur Essenz vom GESICHT IM DUNKELN.

WERTUNG: 7 von 10 verräterischen Narben
TEXT © Christian Ade
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Marcel | 10.10.2010 23:53
Ein Hybrid, der sich mal eben zwischen alle Erwartungen setzt, dafür welche erfüllt, die man ihn gar nicht stellt, und mit mindestens ebenso vielen Aussetzern wie genialen Szenen. Aber bei der tollen Athmosphäre waren mir alle offenkundigen Fehler einfach egal. Sagen wirs mal so, die Szenen im Nachtclub sind einfach formatsprengend, egal, ob nun Wallace oder Giallo. Wertung konform, Eddie Arent war zu diesem Zeitpunkt aber seit drei Jahre nicht mehr mit von der Wallace-Partie.
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