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Der Chef

Der Chef

OT: Un Flic
THRILLER: F/I, 1972
Regie: Jean-Pierre Melville
Darsteller: Alain Delon, Richard Crenna, Catherine Deneuve, Riccardo Cucciolla

STORY:

Eine Gangsterbande raubt im französischen Küstenort Saint-Jean-de-Moins eine Bank aus. Ihr Anführer Simon (Richard Crenna), besitzt in Paris einen Nachtclub. Dort trifft er den Polizeikommissar Edouard Coleman (Alain Delon), der wie er die Nachtclubbesitzerin Cathy (Catherine Deneuve) liebt. Trotz dieser Umstände sind die beiden gute Freunde. Doch als Coleman erfährt, dass Simon einen weiteren und noch größeren Coup plant, beginnt zwischen den beiden ein Duell auf Leben und Tod.

KRITIK:

Bereits die Eröffnungssequenz von Jean-Pierre Melvilles letztem Film UN FLIC (1972) ist beeindruckend: Das in einem monochromen Blau gehaltene Bild ist von einer ebenso großen Kälte, wie Sachlichkeit. Dies könnte fast jeder an irgendeiner Küste gelegene Ort zu jeder beliebigen Zeit sein. Wir sehen vier Gangster die sich in ihrem Mercedes einer Bank nähern. Drei rauben sie aus, während der Fluchtfahrer im Wagen sitzen bleibt.

Einer wird verletzt, doch der Fahrer wartet mit eiskalter Professionalität, bis alle wieder im Wagen sind. Doch das ganze Geschehen erscheint wie aus dem Off, denn der wirkliche Protagonist dieser Szene ist der Ozean, dessen lautes Grollen die gesamte Szenerie überlagert. Die Akteure erscheinen allesamt austauschbar, ebenso die Handlung des Films. Man hat den Eindruck, dass dies nur rein zufällig Gangster und UN FLIC auch nur ganz zufällig ein Gangsterfilm ist. Die Protagonisten wirken wie reine Schablonen, die Handlung ist trotz aller zeitweiligen Dramatik vollkommen spannungsfrei.

Eine emotionale Beteiligung des Zuschauers am Geschehen? Völlige Fehlanzeige. Auch den Gangstern selber scheint ihr Tun vollkommen gleichgültig zu sein. Sie sind halt Gangster und erledigen ihren Job, so wie auch ein Bankangestellter zur Arbeit geht. Einer der Gangster ist sogar ein ehemaliger Bankangestellter. Statt Emotionen sehen wir nur die kalte Abgebrütheit aller Akteure und einen hiermit korrespondierenden unbedingten Stilwillen des Regisseurs.

Und nicht obwohl, sondern gerade weil all dies so ist, ist UN FLIC kein schlechter Film, sondern ganz im Gegenteil ein zeitloses Meisterwerk geworden. Denn dies ist eben kein gewöhnlicher Gangsterfilm, nein dies ist im Kern sogar überhaupt kein Gangsterfilm, sondern reiner Existenzialismus in filmischer Form. Der klassische amerikanische Gangsterfilm gab hier zwar eindeutig die Blaupause ab, aber eine geistige Verwandtschaft besteht hier viel mehr zu Büchern wie "Der Mythos von Sisyphos" von Albert Camus, dessen Botschaft alle Handlungsträger verinnerlicht zu haben scheinen:

Der Mensch ist einfach in die Welt geworfen und unfähig einen Sinn in seinem Leben zu erkennen. Doch anstatt Selbstmord zu begehen, besteht seine Würde gerade darin, die ihn umgebende absolute Leere zu konfrontieren und einfach weiterzumachen.

Der Chef Bild 1
Der Chef Bild 2
Der Chef Bild 3
Der Chef Bild 4
Der Chef Bild 5
Der Chef Bild 6
FAZIT:

Jean-Pierre Melvilles letzter Film ist unter seinen existenzialistischen Gangsterfilmen, der existenzialistischste geworden. Statt Handlungsträgern sehen wir nur Schablonen, die völlig emotionslos ihrem Handwerk nachgehen. Den gesamten Film durchdringt eine große, ja eine absolute Leere, welche die Leere des Seins spiegelt, wie sie offensichtlich der Regisseur sah. Ein Meisterwerk, das keinen wirklichen Spaß macht und auch keinen Spaß machen soll.

WERTUNG: 9 von 10 donnernde Ozeanbrandungen
TEXT © Gregor Torinus
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