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Die Einsamkeit des Langstreckenläufers

Die Einsamkeit des Langstreckenläufers

OT: The Loneliness of the Long Distance Runner
DRAMA: UK, 1962
Regie: Tony Richardson
Darsteller: Tom Courtenay, Michael Redgrave, Avis Bunnage, James Bolam

STORY:

Nach einem Einbruch landet der rebellische Teenager Colin Smith in einer Erziehungsanstalt. Aus Jungs wie Colin sollen hier vollwertige Mitglieder der Gesellschaft gemacht werden. In Colins Augen eine Umschreibung dafür, dass man seinen Willen brechen möchte. Da sich Colin als außergewöhnlich guter Langstreckenläufer erweist, wird bald der Direktor der Anstalt auf ihn aufmerksam und will, dass Colin bei einem Sportfest den Pokal holt. Der Junge wird angehalten zu trainieren und kommt im Gegenzug in den Genuss einiger Vorzüge. In der Hoffnung auf eine frühzeitige Entlassung lässt Colin sich auf das Spiel ein und gibt den ehrgeizigen Sportsmann, was zu Sticheleien unter seinen Kameraden führt. Auch wenn Colin sich wieder und wieder versichert, dass sein Wille nicht gebrochen ist, fühlt er sich doch mehr und mehr als Rennpferd missbraucht….

KRITIK:

"Running’s always been a big thing in our family, especially running away from the police.”

"The Loneliness of the Long Distance Runner” ist wohl einer der Klassiker der British New Wave Bewegung. Nein, es geht hier nicht um Musik, "British New Wave" ist vielmehr so etwas die die britische Nouvelle Vague. Oder wie Wikipedia schreibt: "British New Wave bezeichnet einen Filmstil, der hervorgegangen ist aus Filmen junger britischer Regisseure vom Ende der 1950er bis frühen Mitte der 1960er Jahre. Die Filme entstanden ungefähr zeitgleich mit dem Aufkommen der französischen Nouvelle Vague, und die britischen Filmkritiker benannten diese neuen englischen Filme analog mit der wörtlichen Übersetzung des Begriffs aus dem Französischen."

In den Filmen der British New Wave ging es vor allem um den "Kleinen Mann", ein Großteil der Filme spielt im Arbeitermilieu. Man setzt auf Realismus, nicht nur was die Themen betrifft. Dennoch griff Regisseur Tony Richardson, der als einer der Mitbegründer der Filmbewegung gilt, in "The Loneliness of the Long Distance Runner” auch auf für die damalige Zeit moderne, nahezu experimentelle Stilmittel wie beschleunigte Aufnahmen und Jumpcuts zurück.

"The Loneliness of the Long Distance Runner” spielt zwar teilweise im Arbeitermilieu, kann aber eher als Abrechnung mit der Arbeiterklasse gesehen werden. Colin Smith, der sich selbst als Stellungsuchend beschreibt, hat miterlebt, wie sein Vater, ein rechtschaffender Arbeiter, starb. Colin selbst, hat null Bock das gleiche Schicksal zu erleiden. Sich zu Tode zu schuften oder sich gar schikanieren zu lassen, das ist nichts für ihn. Zumal er erkannt hat, dass das Geld ungerecht verteilt ist. Dass es Klassenunterschiede gibt. Und dass die Arbeiter ausgebeutet werden.

Colin, der eigentlich nie mehr als ein paar Schillinge in seinen Taschen hat, hält sich mit kleinen Gelegenheitsgaunereien über Wasser. Wobei es ihm nicht nur ums Geld, sondern vor allem auch darum geht, etwas zu erleben. Und gleichzeitig nicht blindem Konsumwahn die kalte Schulter zu zeigen.

Erzählt wird Colins Vergangenheit in Rückblenden, während der Junge durch die Wälder und Felder um die Erziehungsanstalt läuft. Die Einsamkeit des Langstreckenläufers gibt Colin Zeit nachzudenken. Immer wieder kreisen seine Gedanken um seine Vergangenheit. Um den Ort, von dem er herkommt, um seine Familie. Neben seiner trostlosen Jugend kreisen Colins Gedanken aber auch um schöne Dinge: Um Mädchen. Um seine alten Freunde.

Die Rückblenden in Colins Vergangenheit bringen eine willkommene Abwechslung in den harten Alltag in der Erziehungsanstalt. Auch wenn Tony Richardson auf explizite Gewaltdarstellung großteils verzichtet, so haftet den Bildern die in der Anstalt spielen, doch meistens etwas Bedrückendes an. Dies ist vor allem auch der beeindruckenden Kameraarbeit von Walter Lassaly zu verdanken. Lassaly versteht es gekonnt, die Enge der Erziehungsanstalt mit seiner Kamera einzufangen und findet auch für die Läufe von Colin die passenden Bilder.

Interessant ist auch die Bedeutung des Laufens für Colin im Film. Ist es anfangs nur ein Mittel um sich abzureagieren und die Gedanken ordnen zu können, wird es schlussendlich zu einem Druckmittel um sich profilieren und aus der Masse heraustreten zu können. Nach ihrer Einweisung in der Erziehungsanstalt bekamen die Jungen Nummern zugeteilt, um ihnen zu zeigen, dass das Individuum nichts zählt. Erst durch seine Ausdauer und Schnelligkeit gelingt es Colin wieder aus der anonymen Masse hinauszutreten. Mehr noch: Er hat nun plötzlich ein Druckmittel in der Hand.

Auch wenn Hauptdarsteller Tom Courtenay auf den ersten Blick vielleicht etwas zu alt für die Rolle des Colin wirkt, so muss man doch sagen, dass er eine beeindruckende Leistung abliefert. Den wütenden, von seiner Umwelt enttäuschten Arbeiterjungen nimmt man ihm in jeder Sekunde ab. Erwähnenswert ist auch noch Michael Redgrave, der den Part des Direktors souverän meistert.

Die Einsamkeit des Langstreckenläufers Bild 1
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Die Einsamkeit des Langstreckenläufers Bild 4
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Die Einsamkeit des Langstreckenläufers Bild 6
FAZIT:

Ein junger Mann rennt und rennt und rennt. "The Loneliness of the Long Distance Runner” - nach der gleichnamigen Erzählung von Alan Sillitoe, der auch das Drehbuch verfasste - erzählt von einem Arbeiterkind das sich weigert, nur ein kleines Rädchen im System zu sein, erzählt von der Auflösung der Arbeiterklasse und spart nicht mit Kritik an der britischen Klassengesellschaft. Auch wenn der Film nun schon fast 40 Jahre auf den Buckel hat, ist das Werk immer noch sehenswert.

EuroVideo veröffentlicht den Klassiker der British New Wave erstmals im deutschen Sprachraum auf DVD. Die Scheibe kommt mit deutscher und englischer Sprachfassung (leider ohne Untertitel) daher, bietet ansonsten jedoch keine nennenswerten Extras.

WERTUNG: 8 von 10 unter den Füßen versteckten Banknoten
TEXT © Gerti
Dein Kommentar >>
Lena | 16.02.2011 02:47
Schließe mich Harald an, super Buch, wusste nicht, dass es einen Film gibt! Danke für den Tipp und die tolle Kritik!
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Harald | 14.02.2011 21:47
Hab vor Jahren mal das Buch gelesen. Fand ich extrem interessant. Würde mir eine Neuverfilmung von z.B. Tom Tykwer wünschen.
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