FILMTIPPS.at - Die Fundgrube für außergewöhnliche Filme

www.filmtipps.at
GOOD MOVIES FOR BAD PEOPLE
Die Waffe, die Stunde, das Motiv

Die Waffe, die Stunde, das Motiv

OT: L'Arma, L'Ora, Il Movente
GIALLO: Italien, 1972
Regie: Francesco Mazzei
Darsteller: Renzo Montagnani, Bedy Moratti, Eva Czemerys, Arturo Trina

STORY:

Ein junger Priester pflegt ein sexuelles Verhältnis zu zwei verheirateten Frauen, dann liegt er plötzlich ermordet vor der Kirchenorgel. Verschmähte Liebhaberinnen, gehörnte Ehemänner, mysteriöse Nonnen und Erpresser - in Sachen Mordmotiv hat der ermittelnde Commissario Boito eine üppige Auswahl. Während Boito sich in eine Tatverdächtige verliebt, kommt es zu einem weiteren Mord...

KRITIK:

Endlich ist die bereits sehnsüchtig erwartete erste Giallo-Box aus dem Hause Koch Media erschienen. Für Fans des "gelben Genres" eine absolut runde Sache, da alle drei darin enthaltenen Filme zum ersten Mal eine Veröffentlichung auf deutscher DVD erfahren. Freuen darf man sich auf Vittorio Sindonis Früh-Giallo TÖDLICHES ERBE aus dem Jahre 1968 sowie den raren DIE WAFFE, DIE STUNDE, DAS MOTIV von Francesco Mazzei und - als psychedelisch-erotischen Höhepunkt der Auswahl - THE FRIGHTENED WOMAN.

Während die beiden erstgenannten Filme sowohl mit dem italienischen Originalton (mit optionalen deutschen Untertiteln) als auch der hiesigen Synchronfassung ausgestattet sind, liegt THE FRIGHTENED WOMAN nur in der deutsch untertitelten italienischen und englischen Sprachfassung vor. Was dem Vergnügen allerdings keinen Abbruch tun soll; ist dieser atypische Giallo-/Erotik-/Satire-Hybrid doch das Highlight der Box.

Da wir diesen Film (und auch TÖDLICHES ERBE) auf unserer Seite bereits reviewtechnisch gewürdigt haben, wollen wir uns nun ausschließlich der einzigen Regie-Arbeit des Produzenten und Drehbuchautors Francesco Mazzei widmen.

L'ARMA, L'ORA, IL MOVENTE (aka DIE WAFFE, DIE STUNDE, DAS MOTIV) ist sicherlich kein exemplarischer Vertreter seiner Gattung. Auf dem ersten Blick scheint Regisseur und Drehbuchautor Mazzei von einer opulent inszenierten, von schwarzen Handschuhen und Rasiermessern dirigierten Mordoper sogar etwas Abstand genommen haben. Kunstfertige Spielereien, spektakuläre Kamerafahrten, knalliges 70er Jahre-Interieur, Ausleben des Zeitgeistes, blutige Messermorde - all diese Zutaten, die die Fachkollegen von Bava über Lenzi, Fulci und Argento bishin zu Martino so oft, gerne und virtuos zur Komposition des ganz speziellen Giallo-Styles benutzt haben, finden sich hier in nur leicht ausgeprägter Form.

Mazzei richtet den Fokus nicht auf die Tötungsszenen. Diese werden mit einer Ausnahme nach dem Motto "Kurz und schmerzlos" abgehandelt oder verschwinden gleich ganz im Off. Wie beim herkömmlichen Krimi steht bei DIE WAFFE, DIE STUNDE, DAS MOTIV viel mehr das klassische Whodunit im Vordergrund; und auch hier wählt Mazzei eine eher ruhige Erzählweise.

Doch haben wir es mit einem waschechten Giallo zu tun. Zugegeben, einsteigerfreundlich ist DIE WAFFE, DIE STUNDE, DAS MOTIV nicht -(Giallo-interessierte Novizen seien an dieser Stelle auf die Klassiker Sergio Martinos oder Dario Argentos verwiesen; auf garantiert süchtigmachende Filme wie DER KILLER VON WIEN oder DEEP RED); trotzdem verfügt der Film über den Spirit des klassischen italienischen Murder Mystery und bekennt sich in vielen Szenen eindeutig zu dessen Trademarks.

Die Handlung spielt typischerweise in einem höchst amoralischen Umfeld. Da haben wir den unkeuschen Priester, gleich mehrere Ehebrecherinnen - und richtig - später wird sogar der ermittelnde Kommissar als eine seiner ersten Amtshandlungen eine verheiratete Tatverdächtige verführen. Kein Wunder, dass eine solche Umgebung die ideale Brutstätte für Mord und Erpressung darstellt.

Das erste Opfer ist der junge, gutaussehende Priester, der nicht nur Gott, sondern auch die Frauen liebt. Da er sich gleich zwei verheiratete Geliebte gegönnt hat (und darüber hinaus auch von mindestens einer schönen wie mysteriösen Nonne heimlich verehrt wurde), gibt es für den von Renzo Montagnoni verkörperten Commissario folgerichtig eine ganze Reihe von Verdächtigen. Zum Miträtseln lädt Mazzei ausdrücklich ein; enthüllt er das Gesicht des Killers erst am Schluss. Allerdings entpuppt sich der Fall trotz einiger falschen Fährten und der üppigen Auswahl an gehörnten Ehemännern, verschmähten Liebhaberinnen und suspekten Nonnen nicht als allzu sehr vertrackt. Von daher kommt die Auflösung letztendlich nicht wirklich überraschend.  

Der Weg dorthin bleibt trotzdem reizvoll. Die Inszenierung ist wie oben angedeutet ruhig und unaufgeregt, aber nicht ohne Spannung. Zumal am Ende noch ein packend inszenierter Showdown mit einer Handvoll memorabler Szenen auf den geduldigen Zuschauer wartet.

Mazzei mag zwar nur geringen Enthusiasmus für Rasiermesser-Eskapaden entwickeln, dafür beherrscht er andere Königsdisziplinen des Giallo. Mit seinen moralisch korrupten Figuren, seiner verruchten Erotik und der unterschwellig bedrohlichen Atmosphäre qualifiziert sich DIE WAFFE, DIE STUNDE, DAS MOTIV durchaus als (Genre-)würdiges Murder Mystery. Darüber hinaus wartet auch Mazzei mit dosiert eingesetzten, (alp-) traumwandlerischen Sequenzen auf; wie sie spätestens seit Fulcis A LIZARD IN A WOMAN'S SKIN oder Martinos ALL THE COLORS OF THE DARK zum guten Genre-Ton gehörten. 

Als Beispiel diene Ferruccios nächtlicher Gang durch die Kirche. In der kleinen Kinderhand eine Kerze, im Herzen Unbehagen - schließlich hat der Junge gerade eben einen Mord beobachtet. Mit zaghaften Schritten und weitaufgerissenen Augen führt er uns durch diesen engen lichtlosen Flur, während ausgestopfte Tiere und dunkle Winkel Spalier stehen. Der atonale Score unterstreicht in diesen Momenten die gespenstische Stimmung perfekt.

In einer Atmosphäre der unterkühlten und verbotenen Leidenschaften darf natürlich auch die abseitige Erotik nicht fehlen. An diese entrichtet vor allem ein genußvoller Ausbruch gen Nunsploitation Tribut: In einem fast surreal und definitiv orgiastisch erscheinenden Szenario geißeln sich die Ordensschwestern mit neunschwänzigen Katzen selbst. Auf der Tonspur erhebt sich eine Litanei mit sakralen Klagelauten, Peitschenhieben und Lustseufzern. Gegen Ende entlässt uns Mazzei aus der Hölle der Selbstkasteiung und schickt uns in die mit Heiligenbildern und Gerippen ausstaffierten geheimen Kammern des Klostergewölbes. Hier generiert er dann eben jene morbide Atmosphäre, die gelungene italienische Murder Mysteries auszeichnen. Dass zum Schluss eine Brücke zu den verräterischen Herzen und schwarzen Katzen eines Edgar Allan Poe geschlagen wird, rundet den Film angenehm ab.

Bei erklärten Giallo-Fans wurde DIE WAFFE, DIE STUNDE, DAS MOTIV eher zwiespältig aufgenommen. Eine leichte Enttäuschung schwang bei etlichen Kommentaren zum Film mit; man hätte sich mehr schwarze Handschuhe, mehr Rasiermesser, mehr Tempo und einen präsenteren Score gewünscht. Ich will nicht bestreiten, dass ein Plus an Spektakel insbesondere dem Replay-Wert (der so kurz nach der Erstsichtung tatsächlich nicht in den Himmel wächst) gut getan hätte und doch ist DIE WAFFE, DIE STUNDE, DAS MOTIV ein guter, mit der großartigen Bedy Moratti sogar stark besetzter Film. Man sollte dem Genre zugestehen, auch einmal andere, ruhigere Pfade zu gehen. Für Liebhaber entschleunigter, doch atmosphärischer Murder Mysteries definitiv eine Empfehlung.

Die Waffe, die Stunde, das Motiv Bild 1
Die Waffe, die Stunde, das Motiv Bild 2
Die Waffe, die Stunde, das Motiv Bild 3
Die Waffe, die Stunde, das Motiv Bild 4
Die Waffe, die Stunde, das Motiv Bild 5
FAZIT:

In seinem einzigen Giallo sucht Francesco Mazzei nicht das Spektakel in Form einer von schwarzen Handschuhen dirigierten opulenten Mordoper und setzt auch nicht auf den genretypischen Zeitgeist der 70er. DIE WAFFE, DIE STUNDE, DAS MOTIV ist viel mehr ein unaufgeregt erzähltes Whodunit-Murder Mystery, das seinen Fokus auf einen in ein klösterliches Umfeld gebetteten und durchweg mit mysteriösen oder amoralischen Figuren besiedelten Mikrokosmos legt, der sich als brütende Stätte für Mord, Erpressung und verbotene Leidenschaft entpuppt. Selbstgeißelungen halbnackter Nonnen und Priester gibt es dabei ebenso zu sehen wie dosiert eingesetzte Alptraum-Sequenzen. Am Ende schlägt dieser leise, doch atmosphärische Giallo aus der Blütezeit des Genres den Bogen zu den Motiven Edgar Allan Poes und qualifiziert sich damit endgültig als Liebhaberstück. Dank Koch Media ist dieser zuvor sehr gesuchte Film im Rahmen der "Giallo-Collection" endlich auf DVD erhältlich.

 

WERTUNG: 7 von 10 Glasmurmeln
TEXT © Christian Ade
Dein Kommentar >>