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Die Wiege des Teufels

Die Wiege des Teufels

OT: Nero Veneziano
HORROR: Italien, 1977
Regie: Ugo Liberatore
Darsteller: Renato Cestié, Rena Niehaus, Yorgo Vayagis, Olga Karlatos

STORY:

Die junge Waise Christina und ihr vierzehnjähriger, blinder Bruder Mark kommen in Venedig bei Verwandten unter. Der blinde Mark wird immer wieder von unheimlichen Visionen heimgesucht und um ihn herum mehren sich mysteriöse Todesfälle. Dann begegnet ihm der dämonische Mann aus seinen Alpträumen in der Wirklichkeit und kurz darauf ist Christina schwanger. Für Mark besteht kein Zweifel: Seine Schwester trägt das Kind des Satans aus...

KRITIK:

Gibt es einen passenderen Ort für den Teufel, um seinen Nachwuchs in die Welt zu setzen als Venedig? Venedig mit seinen Kanälen, den dunklen Wassern, dem Nebel, seinen alten Häusern und dem allgegenwärtigen Hauch des Verfalls? Gibt es einen geeigneteren Ort, den Verstand zu verlieren, als diese alte Stadt? Wohl kaum.

Und so ist es mehr als recht, dass der italienische Regisseur Ugo Liberatore eben diesen Schauplatz für seine Version eines Okkult-Paranoia-Horrorfilms gewählt hat; welcher natürlich tief in der Tradition von WENN DIE GONDELN TRAUER TRAGEN oder ROSEMARYS BABY steht.

Mit Pino Donaggio hat er gleich noch den Komponisten der Filmmusik des ersteren verpflichtet. Und der Maestro hat ganze Arbeit geleistet: Auf der Tonspur erheben sich mal melancholische klassische Stücke, mal gespenstische Töne. Was die abseitig übersteigerte Geräuschkulisse angeht, lässt auch das BERBERIAN SOUND STUDIO schön grüßen. In Verbindung mit den atmosphärisch aufgeladenen Bilder aus dieser auf faszinierende Weise tristen Kanalstadt sorgt der gelungene Score einmal mehr für morbide Stimmigkeit im Quadrat.

Denn auch wenn Liberatore die großen Vorbilder zweifelsohne im Blick gehabt hat, als er DIE WIEGE DES TEUFELS zimmerte, entwickelt der Film seinen eigenen Reiz.

Cinecittà Italia stand seinerzeit ja nicht nur für europäische Genrekunst, sondern auch im Ruf, billigen, dreisten Plagiatismus zu betreiben. Wenn man mal bei den vielen italienischen Exorzisten-, Endzeit- und Söldnerfilmen nachschaut, weiß man, dass dieser Vorwurf alles andere wie aus der Luft gegriffen ist. Doch ebenso unbestritten wurden in Italien einige sogenannte "Plagiate" geschaffen, die letztendlich dann doch eine ureigene Note aufwiesen und selbst zu Genre-Klassiker geworden sind; hier darf an Fulcis im Zuge vom DAWN OF THE DEAD-Erfolg entstandenen Zombiefilme gedacht werden oder an die vielen Italowestern, die sogar ihre großen amerikanischen Vorbilder überflügeln konnten.

Ein ganz so großes Werk ist Liberatore mit dem im Original wunderschön passend NERO VENEZIANO betitelte Film nicht geglückt. An Roegs venezianischen Totentanz kommt es nicht heran. Ebensowenig an die Intensität von Polanskis meisterlich inszenierten okkulten Schwangeren-Alptraum ROSEMARYS BABY; wobei die (satanische) Schwangerschaft, die hier die im italienischen Genrekino erprobte Oldenburgerin Rena (LA ORCA) Niehaus eher so nebenbei "ereilt", ohnehin kein zentrales Element in der Handlung darstellt. Im Mittelpunkt steht stets der von Visionen (Wahnvorstellungen?) heimgesuchte blinde Bruder. Und dann hat das manchmal gar etwas von Argentos SUSPIRIA; weniger was das Optische, das Virtuose angeht, sondern was die Erzählweise und innere Logik betrifft. Wenn man bei einem Film, der so undurchsichtig zwischen Übernatürlichem, Wahn und Wirklichkeit umhergeistert, überhaupt den Begriff Logik verwenden darf...  

Dabei ist DIE WIEGE DES TEUFELS einer jener berüchtigten Slowburner, die langsam wie Lava vorwärtskriechen. Doch -um bei den bildhaften Vergleichen zu bleiben- folgt die Lava hier kaum einer geraden Linie, sondern verläuft sich in viele Richtungen. Diese Wege sind bisweilen unergründlich, bzw. so verschachtelt und konfus angeordnet, dass deren Bedeutung selbst nach der Schlussklappe nie richtig heraustritt. Nach einer schleppenden Disposition beginnt sich das von gleich drei Autoren (Alessi, Gandus, Rafaele) verfasste Drehbuch in seinen vielen verwirrenden Elementen und Sackgassen zu versteigen. Sodass am Ende ein auf den ersten Blick nicht durchschaubares Gesamtbild steht, welches den Zuschauer wohl oder übel mit einigen Fragezeichen zurücklassen wird. Die gewagte Mischung aus Erklärungsverweigerung und dem in düsteren, deprimierenden Stimmungen schwelgenden Nicht-Tempo an der Grenze zur Langatmigkeit dürfte also nicht jedermanns Sache sein.

Doch auch wenn NERO VENEZIANO auf den ersten Blick ähnlich subtil und in unerbittlicher Langsamkeit inszeniert wurde wie seine Idole, hat Liberatore die Trademarks des italienischen Horrorfilms dieser Zeit nicht vergessen. Die da natürlich Blut- und Ekelszenen heißen. Die gibt es zwar in schöner Regelmäßigkeit, doch wurden sie sehr viel dosierter eingesetzt und nehmen sich längst nicht so exzessiv wie in den Splatterfilmen eines Fulci, Deodato oder Lenzi aus. Sie erinnern eher an kurze Gewitter aus heiterem Himmel, die schneller wieder verschwinden als sie gekommen waren. Im Schlussdrittel allerdings schickt man sich nach vielen prächtig widerlichen Großaufnahmen von allerhand ekligem Gewürm, etwas (erstaunlich) unselbstzweckhaft eingebauten Sex und ein paar blutigen Stechwerkzeugeinsätzen dann doch noch an, den Vogel mit einer richtig derben wie geschmacklosen Szene abzuschießen.

Was wiederum den Geist dieses Films ganz treffend beschreibt: Ewig schwankend zwischen subtil-gialloesk und brackig-krude; bis man sich zum Schluss im dämonischen Grenzland zwischen Wahn und Wirklichkeit endgültig und hoffnungslos verirrt...

Die Wiege des Teufels Bild 1
Die Wiege des Teufels Bild 2
Die Wiege des Teufels Bild 3
Die Wiege des Teufels Bild 4
Die Wiege des Teufels Bild 5
FAZIT:

Für die einen ein Geheimtipp, ein langsam in düsterer Atmosphäre köchelndes Höllengedicht; für die anderen Langeweile pur, die nur alle zehn Minuten von einer Ekelszene, einer Bluteinlage oder einem lüsternen Blick auf Rena Niehaus´ wohlgeformte Brüste unterbrochen wird... In meinen Augen ist NERO VENEZIANO eine sehenswerte italienische Variante bekannter Okkult-Paranoia-Klassiker wie WENN DIE GONDELN TRAUER TRAGEN, ROSEMARYS BABY oder DAS OMEN, die sich manchmal zwar etwas irritierend zwischen Alptraum und Wirklichkeit schlängelt, aber durchaus seinen eigenen Zauber zu weben versteht. Somit hätten wir hier einen weiteren hochmorbiden wie gelungenen Horrorfilm mit Schauplatz Venedig, den sich Fans bedenkenlos zwischen ähnlich Gelagertem wie Nicolas Roegs Meisterwerk, ANIMA PERSA, THE CHILD oder BLOOD STAINED SHADOW in die Sammlung stellen können. 

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TEXT © Christian Ade
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