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Die erste Vorstellung

Die erste Vorstellung

OT: Opening Night
DRAMA: USA, 1977
Regie: John Cassavetes
Darsteller: Gena Rowlands, John Cassavetes, Ben Gazzara, Joan Blondel

STORY:

Die berühmte Theaterschauspielerin Myrtle Gordon (Gena Rowlands) gerät während der Proben zu ihrem aktuellen Stück "The Second Woman" in eine tiefe persönliche Krise. Es gefällt ihr nicht, dass sie in dem von der deutlich älteren Autorin Sarah Goode (Joan Blondell) geschriebenen Stück eine Frau spielen soll, die am Prozess des Alterns zerbricht. Zwar ist Myrtle inzwischen selbst eine Frau in mittleren Jahren und deshalb auch persönlich mit dem Älterwerden beschäftigt. Sie hat jedoch mehr Angst jetzt auf solche passiven und schwachen Charaktere festgelegt zu werden, als dass sie ihrer Jugend hinterhertrauern würde. Myrtles innerer Konflikt wird noch dadurch verstärkt, dass eine junge Verehrerin von ihr (Laura Johnson) tödlich verunglückt, nachdem sie dem Wagen der Diva hinterhergelaufen war. Myrtle verweigert zusehends den von Sarah Goode entworfenen Charakter zu verkörpern. Darüber hinaus wird sie in immer stärkerem Maße von Wahrnehmungsstörungen gequält. Zugleich rückt der Tag der Premiere in New York immer näher...

KRITIK:

Das Theater-Drama DIE ERSTE VORSTELLUNG (OT: OPENING NIGHT) war der letzte Film den John Cassavetes, der Begründer des amerikanischen Independent-Kinos, in den siebziger Jahren gedreht hat. Es war auch der letzte Film, den er mit seiner eigenen Produktionsfirma vollkommen unabhängig produziert und vertrieben hat. Denn im Falle von DIE ERSTE VORSTELLUNG, war die erste Vorstellung des Films auch fast schon die letzte. War der nur drei Jahre zuvor entstandene und thematisch verwandte EINE FRAU UNTER EINFLUSS (1974) noch sowohl bei der Kritik, als auch beim Publikum ein großer Erfolg, hatte Cassavetes mit OPENING NIGHT zumindest in seiner Heimat endgültig sein Publikum verloren. Dabei kam der Film bei einer ersten Testvorführung noch relativ gut bei den Zuschauern an. Doch Cassavetes wäre nicht Cassavetes, wenn ihm diese unerwartet positive Reaktion nicht ein wenig suspekt gewesen wäre. Also hat er den Film daraufhin noch einmal umgeschnitten, damit sich beim Anschauen auch ja niemand zu gut amüsiert. Diese Aktion verfehlte nicht ihre Wirkung und der Film wurde sein bisher größter Kassenflop. Zwölf Jahre später starb Cassavetes an einer Leberzierrose...

Der aus dem Jahre 1977 stammende OPENING NIGHT vereint die Themen seiner beiden Vorgänger EINE FRAU UNTER EINFLUSS (1974) und DIE ERMORDUNG EINES CHINESISCHEN BUCHMACHERS (1976). Sowohl EINE FRAU UNTER EINFLUSS, als auch OPENING NIGHT sind Dramen mit John Cassavetes´ Frau Gena Rowlands in der Hauptrolle, in der diese eine Frau spielt, die zunehmend dem Wahnsinn verfällt. Mit DIE ERMORDUNG EINES CHINESISCHEN BUCHMACHERS verbindet OPENING NIGHT die Tatsache, dass beide Filme das Thema Schauspiel und den Konflikt zwischen Kommerz und künstlerischer Freiheit behandeln. Beide sind sehr persönliche Filme des Regisseurs, die seine eigene radikale Auffassung und die damit verbundenen Kämpfe spiegeln. In OPENING NIGHT spielt Cassavetes auch selber mit. Der Schauspieler und Ehemann von Gena Rowlands spielt einen Schauspieler, der in dem Stück "Die zweite Frau" den Ehemann der von Myrtle Gordon gespielten Frau verkörpert, die wiederum von Gena Rowlands gespielt wird. Dies zeigt, dass sich in DIE ERSTE VORSTELLUNG mehrere Wirklichkeitsebenen bis zur Unentwirrbarkeit überlagern und wechselseitig durchdringen.

OPENING NIGHT ist der Film eines Künstlers, der sowohl Autor, als auch Regisseur und Schauspieler ist, über den künstlerischen Konflikt zwischen der Autorin, dem Regisseur und der Hauptdarstellerin in einem Theaterstück. Das eigentliche Alter Ego von Cassavetes in dem Film ist nicht der von ihm gespielte Maurice, sondern die um ihre künstlerische Unabhängigkeit kämpfende Myrtle. Diese ist sowohl im wirklichen Leben, als auch im Theaterstück seine Ehefrau und er in dem Film, der sich um die Entstehung dieses Theaterstücks dreht, der Exfreund der Hauptdarstellerin.

Wir haben es also zunächst mit einer Wirklichkeitsverflechtung auf drei Ebenen zu tun. Es gibt die außerfilmische Realität des Filmemachers Cassavetes und seiner Frau, es gibt die filmische Realität der beiden von ihnen gespielten Schauspieler und es gibt das Theaterstück, in dem beide wiederum ein Ehepaar spielen. Zugleich lässt sich Cassavetes innerhalb dieses Films nicht ganz eindeutig einer einzelnen Person zuordnen, da verschiedene Protagonisten verschiedene Aspekte seiner Persönlichkeit darstellen. Cassavetes Rolle als Regisseur verkörpert in OPENING NIGHT der von Ben Gazzara gespielte Theaterregisseur Manny. Cassavetes Rolle als Schauspieler und als Ehemann verkörpert er selber und seine übergeordnete Rolle als Künstler im Kunstbetrieb verkörpert wiederum seine Hauptdarstellerin und Ehefrau Gena Rowlands.

OPENING NIGHT zeigt nicht nur den künstlerischen Konflikt, den Cassavestes mit konservativen kommerziellen Kräften wie den Hollywood-Studios auszufechten hatte. Der Film ist zugleich auch eine Studie über eine innere Auseinandersetzung. Diese innere Auseinandersetzung kristallisiert sich in der Person von Myrtle, die an ihren eigenen inneren Konflikten zu zerbrechen droht. Auf der einen Seite empfindet sie die von dem Theaterstück behandelte Problematik um das Älterwerden einer Frau tatsächlich als äußerst banal und uninteressant. Auf der anderen Seite identifiziert sie sich lange Zeit mit der verunglückten jungen Frau, die ihr sogar häufiger als Halluzination erscheint. Myrtle macht sich jedoch im Verlaufe der Handlung zusehends von all diesen Dingen frei.

Doch eine vollkommen glatte Auflösung dieses Konfliktes ist ihr nicht möglich. Myrtle findet ihre Freiheit in der zunehmenden Abkehr von der Realität und verfällt immer mehr dem Wahnsinn. Einerseits erscheint dies als tragisch, andererseits ermöglicht gerade dies Myrtle sich unabhängig von allen äußeren Zwängen in jedem Moment neu zu definieren. Dies mündet in eine ebenso groteske, wie schreiend komische Schlussszene im Theaterstück und im Film. Eine Bewertung wird dem Zuschauer überlassen. Im Film reagiert das Publikum begeistert, während die Autorin, der Regisseur und der Produzent verzweifelt resignieren. Beide Reaktionen erscheinen als gleichberechtigt.

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FAZIT:

DIE ERSTE VORSTELLUNG ist eines von John Cassavetes größten Meisterwerken. Dieser Schauspielerfilm um eine Bühnenschauspielerin betreibt ein komplexes Spiel mit verschiedenen Wirklichkeitsebenen und den sich in diesen Wirklichkeiten bewegenden komplexen Figuren. Das Ergebnis ist keine leichte Unterhaltung, sondern ein extrem wahrhaftiger Film, den man immer wieder ganz neu entdecken kann.

WERTUNG: 9 von 10 Grimassen und Verrenkungen auf der Bühne
TEXT © Gregor Torinus
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