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Gurbet - In der Fremde

Gurbet - In der Fremde

DOKUMENTARFILM: A, 2009
Regie: Kenan Kilic
Darsteller: -

STORY:

In GURBET werden neun türkische Arbeitsmigranten begleitet, während sie aus ihrem Leben erzählen.

KRITIK:

Immigration. Warm. Andersgläubige. Wärmer. Türken. Heiß!!!! Jawohl, zurzeit kann man sich da schon leicht die Finger verbrennen. Oder nicht?

Unser aller Liebling HC Strache spricht von einem "Türkenproblem". Der im Vorstand der deutschen Bank tätige SPD-Politiker Thilo Sarrazin äußert sich ebenfalls abfällig, und das auch noch öffentlich. Und beinahe jeder hat irgendeine Geschichte über einen Türken zu erzählen, der sich daneben benommen hat.

Jetzt gibt es auch noch eine ganz neue Integrationsstudie aus dem Innenministerium, wo endlich schwarz auf weiß steht, dass 50 % der türkischen Immigranten sich ein wenig Scharia-Einfluss auf unsere Rechtsordnung wünschen, übrigens im Widerspruch zu anderen Aussagen, die sie so im Zuge der Studie getätigt haben, woraus sich für mich erschließt, dass sie selber, womöglich mangels Bildung, keine Ahnung haben, wovon sie sprechen.

Was mich übrigens zu einer Quizfrage bringt liebe Österreicher: Kürzlich hatten wir Nationalfeiertag. Warum findet dieser am 26. Oktober statt? Ich sag nur: Gut, dass wir keine Einbürgerungstests machen müssen;-)

Wie auch immer: Über Türken zu schimpfen scheint längst gesellschaftlich anerkannt zu sein. Versuche dagegen zu argumentieren werden mit der Bezeichnung "Gutmenschentum" geahndet, wobei es mich zugegebenermaßen irritiert, dass dieser Begriff negativ konnotiert wird. Es zeigt, dass in unserer Gesellschaft so etwas wie eine neue Härte entstanden ist, die übrigens sehr widersprüchlich ist, wenn man bedenkt, dass mitunter zu unseren höchsten Werten die Solidarität zählt.

Dennoch ist es auch verständlich, da das Leben nicht leichter zu sein scheint. Ich weiß nicht wie oft ich schon im Supermarkt die Klagestimmen vor und hinter mir oder an das Kassa selbst vernommen habe, dass nichts im Wagerl ist und dennoch das Börserl leergefegt nach jedem Einkauf. 2013 laufen dann auch noch die Agrarsubventionen aus (Gott sei Dank sag ich nur, denn dann werden zum Beispiel afrikanische Länder endlich in der Lage sein eine eigene konkurrenzfähige Landwirtschaft aufzubauen, wodurch es auch mehr Arbeit in diesen Ländern geben wird), und dann wird das Gemüse vielleicht noch teurer.

Und wenn man eines aus der Geschichte gelernt hat, dann dass sich die Gesellschaft recht schnell Sündenböcke sucht um sich an ihnen abzureagieren. Und bei den "integrationsunwilligen" Türken geht das ganz leicht. Glauben etwas anderes, leben anders. Der Kampf ist eröffnet. Und ich vermisse schmerzlich Objektivität auf diesem Gebiet. Was auch immer zum Thema Integration gesagt wird, im Standardforum schreien alle: "Rassismus, Ungerechtigkeit, Rückkehr der Nazizeit.."

In allen anderen Foren aller anderen Tageszeitungen gibt es erst einmal ein abfälliges Kommentar über die Grünen, obwohl von denen im Artikel gar nicht die Sprache war und sonst schreit man nach Sanktionen, gegen Gutmenschentum, ruft zum Kulturkampf auf, und Rechtfertigungen endlich die FPÖ zu wählen.

Diese Debatte ist so dermaßen aufgeheizt, dass es eigentlich unmöglich ist zum Punkt zu kommen. Vielleicht mangelt es mir an den nötigen kognitiven Fähigkeiten, aber ich behaupte 80% dieser Kommentare befassen sich nicht auf der Sachebene mit den Problemen, was sehr tragisch ist, denn man spricht über Menschen.

Wie schön war es in einem der letzten Falterartikel über Integration zu lesen: Während sich linke Parteien eher mit dem Unbehagen der Einwanderer auseinandersetzten, so befassen rechte Parteien sich traditionell mehr mit dem Unbehagen der einheimischen Bevölkerung. Danke. Ist kein Geheimnis, nimmt aber sehr viel Emotion aus dem Thema heraus, lässt einem die andere politische Farbe vielleicht nicht nur "böse" vorkommen.

Immigration ist passiert. Es gibt kein zurück mehr. Menschen, die Deportationsfantasien haben, ist nicht mehr zu helfen. Wir müssen jetzt lernen damit umzugehen. Eigentlich ist ein Kulturschock ein Phänomen von endlicher Dauer, aber viele Österreicher und viele Immigranten scheinen sich stattdessen in einer Negativspirale verfangen zu haben. Und genau deshalb ist es wichtig sich mit einander auseinander zu setzten und genau deshalb ist es wichtig sich Filme wie Gurbet anzusehen.

Denn um eine Fremdgruppe differenziert bewerten zu können muss man erst einmal deren Mitglieder kennen. Wenn Ipek, Hatice, Cahit, Cemalettin und Kemal aus ihrem Leben erzählen, dann nimmt uns das die Angst und die Vorurteile. Sie mögen Kopftuch tragen, sie mögen nicht gut deutsch können (es gab damals auch keine Kurse), aber sie machen ihre Arbeit, weinen über den Verlust ihrer Kinder, leben zwischen allen Stühlen ein Leben als Ausländer in Österreich und als Österreicher in ihrem Heimatland, wo man sie nur als Geldautomaten sieht. Als sie ankamen wurden sie in Arbeiterheime gesteckt, die schlimmer aussahen als unsere heutigen Ställe. Sie waren einfache Leute, die keinen Bezug zur Bildung hatten. Aber sie waren nun einmal keine Maschinen. Sie waren Menschen mit allen Schwächen, geprägt von ihrer Kultur und keine Sau hat sich um sie gekümmert.

Sie haben mitgeholfen unsere Nachkriegswirtschaft aufzubauen, machen bis heute die Berufe, für die sich die meisten Österreicher zu schade sind, zu den anderen haben sie auch keinen Zugang. Man muss sich die Verlogenheit unserer Gesellschaft vorstellen. Dauern lese ich vom Kampf der Kulturen. Unsere Kultur scheint zu erlauben Arbeitsklaven zu halten. So toll kann sie dann nicht sein. Aber ich weiß es ist müßig darüber zu diskutieren. Die Immigration startete in den Siebziger Jahren, die wahre Immigrationspolitik scheint es bis heute nicht zu geben.

Es ist wie mit der globalen Erwärmung. Keiner möchte Geld hineinstecken, und wenn dann der Hut brennt wird dafür alles umso teurer. Wenn die Amerikaner in den Siebzigern ein paar Schulen in Afghanistan gebaut hätten, anstatt die Taliban hochzurüsten, wäre es vielleicht ganz anders gekommen, und vor allem billiger. Oder wenn die Amerikaner in der säkularisierten Türkei keine Religionsschulen gebaut hätten (um gegen den Kommunismus zu kämpfen), dann würden unsere türkischen Gastarbeiter vielleicht keine Kopftücher tragen, denn das haben sie bis vor zwanzig Jahren eigentlich kaum gemacht und wenn dann nicht aus religiösen Gründen. Und wenn die berühmte gläserne Decke Immigranten nicht aufhalten würde in höhere Positionen aufzusteigen um so Vorbilder zu sein, dann würden sich ein paar vielleicht mehr anstrengen beim lernen.

Aber so ist ja eh alles wurscht. Und wenn Österreich die türkischen Gastarbeiter nicht als Arbeitsroboter gesehen hätte, sondern ein wenig in deren Sprachkenntnisse und Bildung investiert hätte, dann könnten deren Kinder vielleicht heute deutsch und würden nicht eine laut Integrationsstudie "Tendenz zur Parallelgesellschaft" vermuten lassen. Wenn, wenn, wenn….. Zu spät. Für diese Generation.

Gurbet - In der Fremde Bild 1
Gurbet - In der Fremde Bild 2
Gurbet - In der Fremde Bild 3
Gurbet - In der Fremde Bild 4
FAZIT:

Berührender und herzergreifender Film, der dabei hilft Vorurteile abzubauen, weil er ganz intime Einblicke in das Leben unserer türkischen Minderheit erlaubt, die uns sonst sicher mangels Kontakts verborgen bliebe. Oder, wie viele von euch haben sich schon einmal mit einer Kopftuchträgerin unterhalten?

WERTUNG: 8 von 10 Tränen
TEXT © Ralph Zlabinger
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