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Hat Wolff von Amerongen Konkursdelikte begangen?

Hat Wolff von Amerongen Konkursdelikte begangen?

DOKUMENTARFILM: D/A, 2004
Regie: Gerhard Benedikt Friedl
Darsteller:

STORY:

Die Leben und das Wirken mehrerer prägender Politiker sowie Wirtschafts- und Finanzmagnaten des 20. Jahrhunderts werden in Gerhard Benedikt Friedls einzigem Langfilm zu einem verwirrenden Porträt Nachkriegswestundostdeutschlands verwoben.

KRITIK:

Es ist traurig, dass zwei Drittel des Gesamtwerks eines der interessantesten und intelligentesten österreichischen Filmemachers des neuen Jahrtausends auf einer Edition Der Standard DVD Platz finden. Mutmaßung: Vermutlich ist Gerhard Benedikt Friedl an beiden Superlativen zerbrochen, als er sich 2009 das Leben nahm.

Behandelte der erste Film Friedls noch Knittelfeld und Umgebung sowie die Frage nach den möglichen Ursachen von Kriminalität, ist der Schauplatz seines zweiten, vorletzten und hier besprochenen Films die globale Bühne von Finanz und Wirtschaft auf der sich Groteskes, Widerliches und Unglaubliches abspielt.

Beide Filme sind akribisch recherchiert und beide lösen sich von Dokumentarfilm-Konventionen. Sie lösen Bild vom Ton und versuchen nicht zu erklären, nicht eine Deutung des Gesagten und Gezeigten anzubieten, sondern stellen Material zur Verfügung. Dokumentation kann man das Ergebnis noch nennen. Essay passt etwas besser. Eine unabgeschlossene Wahrheitssuche ist der Film nämlich, um eine gängige Definition des Essays zu bemühen.

Alles Faktische wird emotionslos vom Offsprecher in lakonischen und mal das boulevardeske private, mal das versumpfte geschäftliche Leben von Thyssen, Gerling u.ä. beleuchtenden Sätzen vorgetragen. Diese Sätze sind lose miteinander verbunden. Wie all die großen Namen, deren Träger alle irgendwie miteinander bekannt, verwandt, verschwägert oder verschuldet sind.

Die Bilder sind scheinbar willkürlicher aneinandergereiht. Langsame Schwenks oder starre Einstellungen, die Architektur, belebte und unbelebte Straßen, Plätze und Fabrikhallen einfangen; Beifahrer-Kamerafahrten durch Industriegebiete, Vororte, Orte, Monaco. Sie ersetzen die vielen Nebensätze im schriftlichen Essay und das ist wohl der größte Vorteil eines filmischen Essays. Denn Bilder sind im Vergleich zu Worten zugleich universeller und spezieller. Erstens weil ein Gebäude eben ein Gebäude ist. Zweitens weil dieses Gebäude eben nicht jenes Gebäude ist. Ob und wie das Bild mit dem Ton zu tun hat bleibt dem Seher zu entscheiden.

Da ist z.B. vom Finanzier Rudolf Münemann und den Problemen des von ihm finanzierten Konzerns des Hugo Stinnes junior die Rede. Die Kamera ist starr auf den Eingang eines Gebäudes gerichtet, das eine Bank sein könnte. Zwei Männer in Anzügen kommen heraus und verabschieden sich voneinander. Der eine setzt seinen Helm auf und sich auf seine Vespa und es kommt mir so vor, als überfahre er beim Wegfahren fast ein Kind. Ein Schwenk zeigt den versifften Innenhof eines Gefängnisses, man sieht Gruppen von Häftlingen im Kreis gehen. Der Sprecher spricht von Friedrich Flick und seinen Geschäften aus der Zelle. Ein Schnitt im Bild und man sieht den Ein- und Ausgang einer U-Bahn, dahinter eine Straße, hinter dieser einen See und noch etwas weiter hinten Berge. Ein Schwenk nach links offenbart ein öffentliches WC und ich lese, dass da darauf jemand ein krakeliges FUCK G8 gesprayt hat.

Der Titelgebende Wolff von Amerongen taucht gegen Ende des Films auf, als es um den Untergang der Stumm AG (an der Amerongen beteiligt ist) unter dem Vorstandsvorsitzenden Leonhard Lutz geht. Dieser sei für die Pleite des Konzern verantwortlich. Am Tegernsee wird er verhaftet. Die Kamera schwenkt über einen Sandplatz und zeigt spielende Kinder. Im Gefängnis verzweifelt Lutz. Seine fünf angeklagten Geschäftsführer werden zu insgesamt 34 Jahren und 9 Monaten verurteilt. Die Staatsanwaltschaft will mehr als 51 Jahre. Mitten im letzen Satz nehme ich einen Schnitt auf einen Golfplatz wahr auf dem unter strahlender Sonne Weißbekleidete Putten und Chippen üben.

Hat Wolff von Amerongen Konkursdelikte begangen? Bild 1
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Hat Wolff von Amerongen Konkursdelikte begangen? Bild 5
FAZIT:

Hat Wolff von Amerongen Konkursdelikte begangen? des viel zu jung verstorbenen österreichischen Filmemachers Gerhard Benedikt Friedl folgt den kriminellen Verstrickungen und Machenschaften deutscher Wirtschaftsdynastien im letzten Jahrhundert. Der Film endet ebenso abrupt wie er begonnen hat. Ohne Antwort auf die im Titel gestellte Frage. Nur ein Gefühl der Machtlosigkeit bleibt, aber gleichzeitig auch der Wunsch mehr zu erfahren, die Wahrheitssuche doch noch abzuschließen. Ein wichtiger Film.

WERTUNG: 10/10
Gastreview von Florian Dietmaier
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