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Lips of Blood

Lips of Blood

OT: Lèvres de Sang
EROTISCHER VAMPIRFILM: Frankreich, 1975
Regie: Jean Rollin
Darsteller: Jean-Loup Philippe, Annie Brilland, Nathalie Perrey, Martine Grimaud

STORY:

Auf einer Cocktail-Party entdeckt Frederic zufällig das Foto einer Burgruine und erinnert sich an einen Traum, den er als Kind gehabt hatte. Damals hat er des Nachts in einem Gemäuer, welches genauso wie das auf der Fotografie aussieht, eine geheimnisvolle, weißgekleidete Frau getroffen und sich unsterblich in sie verliebt. Jetzt wo er weiß, dass die Burg tatsächlich existiert beginnt sich Frederic zu fragen, ob vielleicht auch die Frau in Weiß kein Traum gewesen ist. Vielleicht wartet sie dort, in der alten Ruine, immer noch auf ihn. Frederic macht sich auf die Suche nach dieser düsteren, aber einzig wahren Liebe seines Lebens...

KRITIK:

Stell dir vor, du schläfst und träumst von einer geheimnisvollen, wunderschönen Frau in Weiß, der du nächtens in einer düsteren Burgruine begegnest. Du verliebst dich in sie. Dann wachst du auf. Es ist zwischen Mitternacht und ein Uhr morgens. Du stehst auf, gehst in die Nacht hinaus und suchst die weiße Gestalt aus deinem Traum.

So fühlt sich LÈVRES DE SANG an. Wie eine Reise durch die Nacht. Durch die Unwirklichkeit. Eine (Traum-)Suche nach der ersten und letzten Liebe, ohne genau zu wissen, ob diese tatsächlich existiert.

Nach den beiden reinen Sexfilmen SCHOOLGIRL HITCHHIKERS und BACCHANALES SEXUELLES ist Jean Rollin mit seinem neunten Spielfilm endlich wieder in sein Lieblingssujet, dem erotischen Vampirfilm, zurückgekehrt. Damit ist gewiß, dass Frederics Weg durch ausgesucht düstere Sets führen und dass er mehr als nur einem nackten, bleichen Geschöpf mit Blut an den Lippen begegnen wird. LÈVRES DE SANG ist nicht nur morbider, surrealer Liebesfilm, sondern gleichberechtigt auch eine klassische, minimalistische, aber in sich schlüssige Vampirgeschichte.

Es sind eben Rollins Lieblingsthemen. Nackte Vampire, tragische Liebschaften. Und hier perfektioniert er die Visualisierung seiner Obsessionen weiter; ungeachtet des wie immer verschwindend geringen Budgets und den abenteuerlichen Produktionsbedingungen. Gesprochen wird nur das Nötigste; die Musikarrangements sind minimalistisch, aber genial; die morbiden Bildkompositionen in ihrer abseitigen Schönheit noch versierter.

Da tanzen die Schatten der lediglich von durchsichtigen Schleiern umhüllten Vampirfrauen an den Mauern alter Burgruinen; da führt unser nächtlicher Weg durch menschenleere Pariser Stadtviertel, die seinerzeit kurz vor dem Abbruch standen und mit ihren verwaisten Häusern und Gehwegen die Einsamkeit des verzweifelt Suchenden nur noch unterstreichen. Friedhöfe, Aquarien, Ruinen, verlassene Straßenzüge - und die Zeit in LIPS OF BLOOD ist stets die der Nacht, der Dämmerung oder des nahenden Morgengrauens. Es ist eine Meditation gegen das Laute, Schnelle, Tosende unseres modernen Kinos.

Leider sind solche wunderbaren Filme, die kompromisslos in der eigenen Atmosphäre schwelgen, lieber hypnotisch wirken als genrekonventionelle Spannung verbreiten, heutzutage rar geworden. Adhoc fiele mir dazu nur der französisch-belgische aus dem Jahre 2009 stammende Kunst-Giallo AMER ein. Doch selbst in den Siebzigern, einer Kino-Dekade sehr viel psychedelischer, mutiger und entrückter als die aktuelle, hatte es ein unkonventioneller Film wie LÈVRES DE SANG nicht leicht. Wie so viele Werke von Jean Rollin wurde auch dieser zum kommerziellen Flop.

Selbstverständlich ist LÈVRES DE SANG dennoch ein klares Must-have für alle, die den Zauber dieser kleinen, eigenartigen, französischen Vampirfilmen zu schätzen wissen. Kundige des Rollin'schen Universum werden mit den Castel-Schwestern zwei altbekannte vampiristische Schönheiten wiedersehen. Die sehr charismatische französische Pornodarstellerin Martine Grimaud bekleidet einen interessanten Part als erotische Tippgeberin im Rahmen von Frederics Suche nach der Frau in Weiß und auch die obligatorische Nathalie Perrey darf einmal mehr eine geheimnisvolle Rolle spielen.

Jean-Loup Philippe spielt Frederic, unseren nach buchstäblich unsterblicher Liebe strebenden Hauptprotagonisten. Mit Philippe ist die Hauptrolle mit einem engagierten und guten Schauspieler besetzt, der es versteht, seinen Part mit der nötigen Melancholie und Besessenheit zu spielen. Allerdings irritiert der Umstand etwas, dass der gute Mann ausgerechnet dem jungen Thomas Gottschalk verflixt ähnlich sieht. Jeder, der schon einmal "Wetten, dass..?" oder noch schlimmer ZWEI NASEN TANKEN SUPER gesehen hat, wird also versuchen müssen, genau dies zu verdrängen, damit der morbide Zauber nicht verfliegt. Die blutjunge Annie Brilland, die sich später als "Annie Belle" im italienischen Sex- (BLACK EMMANUELLE, WHITE EMMANUELLE), Exploitation- (HOUSE ON THE EDGE OF THE PARK) und Splatterkino (ABSURD) einen Namen machen sollte, ist jedoch ohne Abstriche anziehend, mysteriös und begehrenswert. Und somit die perfekte Frau in Weiß.

Perfekt fügt sich auch das Ende in den morbiden, melancholischen Rahmen ein. Und es endet - wie so oft in Rollins Filmen- kurz vor Flut und Morgengrauen - an einem einsamen, düsteren Strand.

"Nun fängt mein Leben erst an", sagt jemand und steigt in den Sarg.

Lips of Blood Bild 1
Lips of Blood Bild 2
Lips of Blood Bild 3
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Lips of Blood Bild 7
FAZIT:

Der Strand, das Meer, ein Sarg und Annie Brilland in ihrer Blüte. So einfach und doch so intensiv kann düstere, wunderschöne Vampirlyrik sein... LÈVRES DE SANG ist ein weiteres melancholisches Meisterstück aus dem Vermächtnis Jean Rollins. Ein hypnotisches Werk, das sich nahtlos zwischen Klassiker wie LE FRISSON DES VAMPIRES oder REQUIEM POUR UN VAMPIRE und einer tragischen, atmosphärischen Friedhofsballade wie DIE EISERNE ROSE einreiht.

WERTUNG: 8 von 10 Vampir-Krankenschwestern
TEXT © Christian Ade
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