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Mortal Transfer

Mortal Transfer

OT: Mortel transfert
EROTIKTHRILLER/KOMöDIE: FRANKREICH, 2000
Regie: Jean-Jacques Beineix
Darsteller: Jean-Hugues Anglade, Hélène de Fougerolles, Robert Hirsch, Valentina Sauca

STORY:

Der Psychoanalytiker Michel Durand (Jean-Hugues Anglade) ist von den Geschichten seiner Patienten oft so gelangweilt, dass er während der Sitzungen einschläft. Seine zur Zeit interessanteste Patientin ist die bildschöne, verrückte Kleptomanin Olga (Hélène de Fougerolles), die am liebsten über ihre sadomasochistische Beziehung zu ihren Mann spricht. Doch auch bei Olga übermannt Michel eines Tages seine Müdigkeit. Als er später wieder aufwacht ist die Frau tot.

Da Michel sich nicht sicher ist, ob er nicht vielleicht sogar selbst der Mörder ist, macht er sich daran die Leiche verschwinden zu lassen. Bald ist ihm nicht nur die Polizei auf den Fersen, sondern auch noch Olgas Mann. Der will von Michel wissen, wo die sieben Millionen Francs sind die Olga ihm gestohlen hat. Wie gut, dass Michel seinerseits zu einem Psychiater geht (Robert Hirsch). Nur dumm, dass auch der dazu neigt, bei seinen Patientengesprächen einzuschlafen...

KRITIK:

Der französische Ausnahmeregisseur Jean-Jaques Beineix hatte in den 80er Jahren mit DIVA und BETTY BLUE zwei der größten Kultfilme der Dekade gedreht und andere stilprägende Regisseure wie Luc Besson und Jean-Pierre Jeunet maßgeblich beeinflusst. Doch schon bald darauf wurde es um das einstmalige Wunderkind des französischen Kinos äußerst ruhig. Sein vorerst letzter Spielfilm war der 1992 erschienene, wenig beachtete IP-5. Ansonsten drehte er in den 90er Jahren ein paar Dokumentarfilme und widmete sich anderen Aktivitäten.

Als im Jahre 2000 MORTAL TRANSFER in die Kinos kam, war dies sein erster Spielfilm nach acht Jahren. Doch sein letzter großer Erfolg lag damals bereits ganze vierzehn Jahre zurück. Und da stellt sich natürlich die Frage, ob sich das lange Warten tatsächlich gelohnt hat ... Und um es hier jetzt nicht lange unnötig spannend zu machen: MORTAL TRANSFER ist ein äußerst gelungenes Comeback! Tatsächlich vereint der Film viele der Stärken von Beineix´ beiden größten Erfolgen.

Wie in BETTY BLUE ist der Hauptdarsteller erneut der grandiose Jean-Hugues Anglade. Und auch hier zeigt er wieder sein ganz besonderes Händchen im Umgang mit schönen, aber extrem schwierigen Frauen. Zwar gibt die Femme fatale in MORTAL TRANSFER recht schnell den Löffel ab. Aber danach geht der Stress für Michel erst richtig los. Denn nun macht ihm sexy Olga in bester IMMER ÄRGER MIT HARRY-Manier das Leben schwer. Ebenfalls aus BETTY BLUE übernommen ist die schwülstige Erotik, die hier allerdings kein Ausdruck der ungehemmten Lebensfreude ist, sondern zum größten Teil recht morbide bis pervers ausfällt.

Überhaupt ist der allgemeine Ton von MORTAL TRANSFER sehr kalt. Eine gute Sache dabei ist, dass sich Beineix von dem überdrehten poppigen Kitsch aus BETTY BLUE wieder abgewandt und zu der kühlen Eleganz von DIVA zurückgefunden hat. Visuell ist MORTAL TRANSFER somit erneut uneingeschränkt als Meisterwerk zu bezeichnen. Tatsächlich ist der Film so hypermodern und stylisch ausgefallen, dass er auch zehn Jahre nach seiner Entstehung noch so wirkt, als wäre er erst eben neu im Kino angelaufen.

Und in seiner ganz eigenen verrückten Art, bringt Beineix in MORTAL TRANSFER wieder diverse Dinge zusammen, von denen man gemeinhin annimmt, dass sie nicht zusammen gehören. Der Film ist zugleich ein Psychothriller, ein Erotikthriller, eine Gesellschaftssatire und eine rabenschwarze Komödie und pendelt souverän zwischen der tristen Pariser Alltagswelt, dem Surrealismus eines David Lynch und der Beineix´ eigenen Märchenwelt. Und das Ergebnis ist kein rein eklektizistischer Genremix, sondern fällt mal wieder erstaunlich homogen aus. Wie bereits in DIVA erschafft Beineix erneut eine ganz eigene Welt, die uns trotzdem zugleich merkwürdig vertraut erscheint.

Allerdings ist MORTAL TRANSFER sehr gemächlich und auch nicht ganz frei von Längen. Und bei aller Brillianz wirkte der Film auf mich beim ersten Mal zugleich unglaublich leer. Ich hatte den Eindruck, dass hier tatsächlich die Vorbehalte gegen das von Beineix begründetet Cinéma du Look zutreffen, dass sich nämlich hinter der schönen Fassade so rein gar nichts verbirgt.

Natürlich war auch schon DIVA unglaublich stilisiert und cool und BETTY BLUE war eine einzige grell-poppige Orgie des schlechten Geschmacks. Aber gleichzeitig haben diese Filme doch auf eine zum Teil geradezu unglaublich lässige Weise auch ganz große Themen angesprochen. Da ging es unter anderem um die Bedeutung von Liebe und Freundschaft, die Kraft der Kunst, den Sinn des Lebens und noch viel mehr! Aber was ist mit MORTAL TRANSFER? - Da ist scheinbar so rein gar nichts!

Erst beim wiederholten Anschauen ist mir aufgegangen, dass genau dieses "Nichts" das heimliche Thema des Films ist! MORTAL TRANSFER ist eine bissige Satire auf unsere heutige westliche Wohlstandsgesellschaft, in der es den meisten Menschen zwar materiell gut geht, in der aber viele zugleich an emotionaler Kälte und Einsamkeit leiden.

Da ist z.B. die Kleptomanin Olga, die selber von sich sagt, dass sie alles Geld hat, das sie braucht. Aber dem Drang zu klauen kann sie trotzdem nicht widerstehen. Offensichtlich verspürt sie eine innere Leere, die sie auch zum Psychiater treibt. Und selbst dabei ist sie, wie übrigens auch alle anderen von Michels Patienten, dermaßen ausschließlich mit sich selbst beschäftigt, dass sie gar nicht mitbekommt, wie ihr Therapeut vor Langeweile einschläft. Und das ist natürlich sowieso das Allerschärfste: ein Therapeut, der sich kein Stück für seine Patienten interessiert, aber auch seinerseits zu einem anderen Therapeuten geht, der sich bei den Sitzungen mit ihm genauso langweilt!!!

Die Menschen in MORTAL TRANSFER sind tatsächlich alle so innerlich tot, wie die später wirklich tote Olga. Und da passt es auch ganz hervorragend, dass Michel irgendwann auch noch einen Nekrophilen mit Mühe davon abhalten muss, die Tote auf einem Friedhof zu schänden! Die einzige Person, die hier tatsächlich voller Leben ist, ist, wie wir es von Beineix bereits kennen, natürlich eine Künstlerin, nämlich Michels neue Freundin Hélène (Valentina Sauca).

Aber obwohl die beiden eigentlich bereits zusammen sind, haben sie doch große Probleme wirklich zusammen zu finden, da Michel die meiste Zeit mit der toten Olga beschäftigt ist. Und überhaupt: was gibt es für ein schöneres Bild für unsere für uns oft so super wichtigen Beschäftigungen, die uns vom eigentlichen Leben abhalten, als die mühevolle Entsorgung einer Leiche, mit der man eigentlich gar nichts zu tun hat!

Mortal Transfer Bild 1
Mortal Transfer Bild 2
Mortal Transfer Bild 3
Mortal Transfer Bild 4
Mortal Transfer Bild 5
Mortal Transfer Bild 6
FAZIT:

Ich sag nur: "Pass auf deine Eier auf, Alter!" - Bei dem irrwitzigen Genremix, den Jean-Jaques Beineix uns mit MORTAL TRANSFER auftischt, wird es nicht nur dem Psychiater Michel das eine ums andere mal ganz schwindlig. Ja, der Schöpfer von DIVA ist zurückgekehrt, um uns auf einen weiteren ganz eigenen, surrealen Ritt durch Paris mitzunehmen. Aber die Zeit ist gerade auch für Träumer inzwischen wesentlich härter geworden. Und so wundert es auch nicht, wenn ein durchgeknallter, frischgebackener Millionär keinen dringlicheren Wunsch verspürt, als sein Geld für eine ausgedehnte Therapie zu verwenden ...

WERTUNG: 9 von 10 tödlichen und zugleich äußerst lustvollen Strangulationen
TEXT © Gregor Torinus
Dein Kommentar >>
Ralph | 24.12.2011 10:23
So, endlich gesehen. Ja, ja, ja. Toller Film. Visuelle Eleganz, Perversitäten, tolle Schauspieler, gewiss langatmig, aber der Film ist so interessant und von schwarzem Humor durchdrungen, dass es nicht stört. Danke für diesen Tip, ich hätte den Film ohne dich nichmals gesehen. 8/10

Diva hab ich inzwischen auch gesehen, aber da muss ich zu meiner Schande gestehen, dass mich der nur gelangweilt hat. Dem hätte ein bisschen mehr Dynamik nicht geschadet, weil originell war er ja. Jetzt muss ich mir noch Betty Blue besorgen....
Gregor | 24.12.2011 15:08
Prima? Aber DIVA langweilig? ;-)
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Harald | 01.10.2010 21:52
Ich glaube, dieses billige, lieblos hingeschusterte DVD-Cover ist Schuld daran, dass ich diesen Film nie beachtet hab. Muss wohl nachgeholt werden.
Gregor | 01.10.2010 22:08
Yeah, hol ihn Dir! Den gibts für´n Appel und n´ Ei bei Amazon! - Schick ist der auf alle Fälle, aber zuerst hatte ich das Gefühl, dass da ein wenig die Substanz fehlt.
Ralph | 01.10.2010 22:54
Da schließe ich mich gleich an. Kommt auf meine nächste DVD Bestellung.
Gregor | 01.10.2010 23:32
Feini, feini! - Ich bin schon auf Eure Kommentare gespannt!
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