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Sag nicht, wer du bist

Sag nicht, wer du bist

OT: Tom à la ferme
THRILLER: CAN/F, 2013
Regie: Xavier Dolan
Darsteller: Xavier Dolan, Pierre-Yves Cardinal, Lise Roy

STORY:

Tom fährt aufs Land, um am Begräbnis seines bei einem Unfall ums Leben gekommenen Freundes teil zu nehmen. Er landet am entlegenen Bauernhof von dessen Familie, auf dem nur noch dessen Mutter Agathe und der ältere Bruder Francis leben. Francis - ein Ungustl mit bedenklichem Hang zu Gewalt - nötigt Tom, zu verschweigen, dass er und der Verstorbene ein Paar waren. In der Folge entspinnt sich zwischen den beiden Männern ein nervenzerrendes Katz-und-Maus-Spiel, bei dem man manchmal nicht so recht weiß, wer Jäger und wer Gejagter ist.

KRITIK:

Zu schön, zu jung, zu intelligent. Regisseur Xavier Dolan ist tatsächlich all das, was Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser gerne wäre. Der franco-kanadische Film-Wunderwuzzi hat mit zarten 25 Jahren bereits vier nahezu makellose Langfilme als Regisseur abgeliefert, in drei davon selbst die Hauptrolle übernommen, er schreibt seine Filme selbst, produziert sie, schneidet sie, entwirft die Kostüme und er sieht noch dazu unverschämt gut aus. Der fünfte Film ist auch bereits fertig und hat schon einige Festivalscreenings hinter sich. Eigentlich eine Unverschämtheit, dass sich dermaßen viel Talent in einer Person ballen kann. Aber was für ein Gewinn für uns Filmfans.

Mit "Sag nicht, wer du bist" wagt sich Dolan nun erstmals an einen Psychothriller. Wie schon in seinen vorhergehenden Filmen spielt auch hier das Gender-Thema, die Frage nach der sexuellen Identität eine zentrale Rolle und ist die Ausgangsbasis für die Story. Und nach einem Familiendrama, einer Dreieckstragikomödie und einem Beziehungsdrama zeigt er, dass er auch Suspense meisterhaft versteht.

Im Grunde arbeitet Dolan in all seinen Filmen mit den gleichen Elementen. Die Musik ist stets fantastisch ausgewählt - so auch hier, wo sich die erste Gänsehaut gleich am Anfang breit macht, bei einer auf französisch gesungenen A-cappella-Version von Michel Legrands "The Windmills of Your Mind", während Tom durch die kanadische Provinz zur im Original titelgebenden Farm fährt.

Abgesehen vom Meister der Zeitlupe, Martin Scorsese, setzt kaum jemand ähnlich fantastisch Zeitlupen ein wie Dolan. Indem sie die Handlung einen Moment lang dehnen, verdichten sie sie gleichzeitig und machen, dass der Zuseher sich kurz im Moment verliert. In "Sag nicht, wer du bist" wendet Dolan diesen Kunstkniff ein einziges Mal an. Aber diese Kürzest-Szene ist im Grunde bestimmend für den gesamten restlichen Film, setzt das Kommende in Gang.

Dolans Figuren sind zum einen stets sehr präzise ausgearbeitet mit ihren Stärken und auch Schwächen. Man ist ihnen nahe, fühlt mit ihnen. Dennoch gibt es immer Momente, wo diese Handlungen setzen, die man nicht nachvollziehen kann, die sie schwer durchschaubar machen. Und genau das macht es auch spannend, ihnen zuzuschauen. Bei "Sag nicht, wer du bist" ziehen sich solche irrationalen Handlungen durch den gesamten Film und bauen Spannung auf. Warum lässt Tom sich von vornherein auf Francis' Psycho- und Gewaltspielchen ein? Warum genau bleibt er auf dem Bauernhof? Was hat es mit der zunehmend gruseligen Agathe und dem immer mehr durchknallenden Francis auf sich?

Alles Fragen, die ich mir zwar gestellt habe, deren Antworten aber mehr und mehr in den Hintergrund rücken, während die Spannung langsam schier unerträglich wird und man keinen Schimmer mehr hat, was das alles für ein Ende haben könnte.
Letztlich beantwortet der Film wie bei Dolan gewohnt keine Fragen endgültig. Und lässt einen genau deshalb sehr glücklich zurück.

Sag nicht, wer du bist Bild 1
Sag nicht, wer du bist Bild 2
Sag nicht, wer du bist Bild 3
Sag nicht, wer du bist Bild 4
Sag nicht, wer du bist Bild 5
FAZIT:

Xavier Dolans viertes Meisterwerk. Ein visuell fantastischer, extrem spannender Provinz-Thriller mit tollen Schauspielern über deren Figuren scheinbar ein großes Geheimnis schlummert.

WERTUNG: 9 von 10 Maishalmen
Dein Kommentar >>
Roman | 11.06.2020 06:39
Fängt vielversprechend an, aber für mich war nur die Form innovativ, weniger der Inhalt. So gegen die Hälfte hin steigt die Erwartung und man wartet darauf, dass entsprechend drastischer Inhalt auf die vielen visuellen Ankündigungen folgt, aber da kam nicht mehr viel.
Und leider bleiben die Charaktere zum Teil sehr flach. Es wird viel angedeutet, aber nichts zu Ende bzw. in die Tiefe geführt.

6/10
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Harald | 17.09.2014 20:07
Ja, der muss unbedingt noch gesichtet werden.
Monika | 17.09.2014 23:40
Ich hätt gern zu Hause einen Schrein mit allen Dolan-Filmen. Dann würde ich wieder jeden Abend beten. Ich kanns jedes Mal aufs neue nicht glauben, wie gut dieses junge Kerlchen ist.
Ralph | 25.09.2014 15:53
Dieser Wunsch lässt sich sehr leicht in die Realität umsetzen. Warum hast du also noch keinen solchen Schreib? ;-)
Monika | 17.10.2014 13:56
Ich sammle noch Geld für die 4 Abspielgeräte, auf denen die Filme dann in Dauerschleife laufen. ;-)
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