DRAMA: A, 2010
Regie: Sabine Derflinger
Darsteller: Anna Rot, Magdalena Kronschläger, Phillip Hochmair, Manuel Rubey
Lea und Hanna sind Studentinnen in Wien, die einen Job neben dem Studium brauchen. Kellnern wäre natürlich eine Option. Aber als Escort-Girls verdienen sie mehr. Glauben sie zumindest ...
"Auf was wartest denn? Willst dich nicht ausziehen?"
Lea (Anna Rot) und Hanna (Magdalena Kronschläger) sind zwei typische Mädls vom Land, die es zum Studieren in die große Stadt, also nach Wien verschlägt. Sie sind jung, lebenslustig, aufgeschlossen, neugierig und ein bissl naiv. Warum nicht als Escort-Girls arbeiten? Sie machen das freiwillig, aus Neugier, als Mutprobe und zur Selbstbestätigung. Möglicherweise auch aus einem gewissen persönlichem Manko heraus. Aber eben nicht aus Zwang oder gar Gewalt.
Ihre Kunden kommen aus allen Gesellschaftsschichten: Vom großkotzigen Investmentbanker, der immer gleich zwei Frauen auf einmal ins Luxushotel ordert, über den biederen Familienvater, der einen Quickie im Aufzug des Parkhauses bestellt, ehe er Frau und Kind heim fährt, bis zum grindigen Wiener Sauprolet (tschuldigung), dem die "Alte" den Fernseher mitgenommen hat, ist alles dabei.
Auch der Escortservice-Betreiber hat nichts vom Hanno-Pöschl-mäßigen Wiener Strizzi-Glamour, sondern wirkt wie ein kleinbürgerlicher Gewerbetreibender, der genauso gut Staubsauger oder Versicherungen verkaufen könnte.
Die handelsüblichen Klischees von Gewalt und Ausbeutung im Rotlichtmilieu - die es ja zweifelsohne auch gibt - werden in TAG UND NACHT weiträumig umschifft. Sabine Derflinger, die auch als Dokumentarfilmerin arbeitet, hat monatelang im Milieu recherchiert, Sexclubs besucht, unzählige Gespräche mit Prostituierten und ihren Kunden geführt, und gemeinsam mit ihren Darstellerinnen jede Menge Filme angesehen, in denen Sexszenen in allen Schattierungen vorkommen.
Der Film legt denn auch eine Direktheit und Unmittelbarkeit an den Tag, die sich wohltuend von der noblen Zurückhaltung - vulgo Verklemmtheit - so mancher heimischer Filmproduktion unterscheidet. Auch TAG UND NACHT reiht sich in die immer länger werdende Liste von Filmen mit echten Sexszenen ein - und die sind längst nicht alle so "angemessen ekelhaft" anzusehen, wie beispielsweise die Kritik auf ORF.at behauptet.
Auch wenn Sabine Derflinger betont, keinen Film gedreht zu haben, der Lust auf Sex machen sollte, möchte ich nicht abstreiten, dass zumindest ein Teil der zahlreichen Sexszenen durchaus in einer Art inszeniert wurden, dass Voyeure auf ihre Kosten kommen. Sag ich jetzt mal so.
Wobei es dem Film weniger um das Thema Prostitution an sich geht, als vielmehr darum, was dieser Job aus den Menschen macht.
"Zum einen ist das natürlich ein Job wie jeder andere auch und zum anderen eben einfach nicht. Weil er so nah, so persönlich, so intim ist. Weil da jemand in den Körper eindringt. Weil das ein Job ist, der mit so vielen Tabus behaftet ist. Und weil da Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern verhandelt werden. Wobei diese Machtverhältnisse sich im Geschäft mit der Prostitution nicht anders abspielen als im normalen Leben. Nur da verschärfen sie sich halt."
(Die Regisseurin im Presseheft).
Die Erzählung nimmt dann auch dramatische Wendungen und Zuspitzungen, die eher an Filme von Ulrich Seidl oder - dringender Tipp an dieser Stelle: Ken Russels WHORE erinnern, als, sagen wir, an PRETTY WOMAN.
So weit, so gut. Aber leider krankt TAG UND NACHT auch an den typischen Schwächen einer von einem jungen Team gestemmten österreichischen Filmproduktion, wo von Ausleuchtung über Sound bis Postproduction halt an allen Ecken und Enden gespart und improvisiert werden muss.
Nicht, dass ich mich jetzt zum Experten aufspielen möchte: Aber in FinalCut gibt es ein sogenanntes Audiometer. Wenn da die Anzeige in den roten Bereich springt, bedeutet dies, dass die Tonspur zu laut ist. Und beim Kinobesucher Kopfschmerzen verursacht, besonders dann, wenn aus Gründen des Milieurealismus DJ Ötzi-Beschallung gewählt wurde.
Dafür setzt's Punkteabzug.
Die zwischen Dokumentar- und Spielfilm pendelnde österreichische Regisseurin Sabine Derflinger ("Vollgas", "42 plus") blickt zwei Studentinnen bei ihrem Job als Teilzeithuren über die Schulter. Ziemlich mutiger, gut gespielter Austro-Film ohne moralisch erhobenen Zeigefinger, dessen "zeigefreudige" Inszenierung von einigen formalen Schwächen ablenkt.
Soll heißen: Ganz und gar nicht perfekt, aber unbedingt sehenswert.