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Tetro

Tetro

MELODRAM: USA, 2008
Regie: Francis Ford Coppola
Darsteller: Vincent Gallo, Maribel Verdu, Alden Ehrenreich, Klaus Maria Brandauer, Carmen Maura

STORY:

Bennie (Alden Ehrenreich) besucht seinen Bruder Tetro (Vincent Gallo), der seine Familie aus seinem Leben verstoßen und sich nach Buenos Aires abgesetzt hat um sich der Kunst zu widmen und ein eigenes Leben auzubauen. Durch den Besuch kommen jedoch Schatten, Konflikte und das eine und andere schreckliche Geheimnis der Vergangenheit dieser ziemlich disfunktionalen Künstlerfamiliendynastie ans Licht, wodurch Tetros fragil-beschauliche Existenz wieder ins Wanken gerät...

KRITIK:

Scheinbar hat Francis Ford Coppola endlich seine Schulden abbezahlt. Wir erinnern uns an die glorreichen Siebziger Jahre: Coppola dreht "Der Pate", "Apocalypse Now" und "Der Dialog", schafft den Spagat zwischen künstlerisch wertvoll und kommerziellem Erfolg und tut das, was jeder Mensch am Gipfel seines Größenwahns wohl tut. Er beginnt zu glauben, die Formel der Welt gefunden zu haben, er meint er ist der erste der es geschafft hat, große Kunst zu schaffen, die für alle Zeiten ihr Publikum finden wird.

Er eröffnet also sein eigenes Filmstudio, daran war schon Fellini vor ihm gescheitert und sogar der wirklich nüchtern-kommerzielle Kostenrechner Spielberg musste sein schönes Dreamworks nach einigen Jahren an den Riesen Viacom abgeben.

Aber weiter im Text. Das legendäre "American Zoetrope Studio" läuft eine Zeit lang ganz gut bis Coppola seinen Film "One from the Heart" dreht, einen kleinen Liebesfilm, der im Jahre 1982 produziert wird und durch Coppolas Manie (er wollte unbedingt Las Vegas im Studio nachbauen) ein stattliches Budget von 25 Millionen verschlang. Zum Vergleich: Apocalypse Now hatte so um die 30 Millionen gekostet, der Pate etwa 6,5.

Man kann sich vorstellen, dass das nicht gut ausgehen konnte. "One from the Heart" entpuppte sich als Kassengift und Coppola war samt seinem Studio finanziell ruiniert. Seither drehte er nur noch Filme um seine Schulden abzubauen, was sich ein einer bemerkenswert langen Liste von Auftragswerken zu Buche schlug. Nebenbei wurde er Weinbauer, inzwischen einer der erfolgreichsten der Vereinigten Staaten.

Endlich kam das Jahr 2007 wo Coppola erstmals seit langer, langer Zeit einen Film drehte, der sowas wie eine eigene Handschrift hatte, der verhalten von der Rezeption aufgenommene Youth without Youth mit Bruno Ganz und Tom Roth.

Wie man auch dazu stehen mag, Coppola scheint zurück zu sein. Auch TETRO ist jetzt nicht unbedingt ein großes Meisterwerk geworden, aber man kann seinem Regisseur und Autor sicher nicht vorwerfen (absichtlich) Kompromisse an den Kommerz gemacht zu haben.

"Nichts davon ist passiert, aber alles ist wahr," meint Francis Ford Coppola über seinen neuesten Streich und spielt damit wohl auf die Irrungen und Wirrungen seiner eigenen illustren Familie an, die dieser Film womöglich in leicht verschlüsselter Form wiedergibt. Die Parallelen sind schon erstaunlich. Coppolas Vater Anton ist ebenso wie Tetros Vater Carlo Tetrocini, dargestellt von Klaus Maria Brandauer ein großer Opernkomponist. Francis' Bruder August Floyd Coppola versuchte sich auch im Filmgeschäft, konnte sich aber niemals in vergleichbaren Höhen etablieren wie sein Bruder. Augusts Sohn Nicolas Cage ist sowas wie der Familienrebell, der es wagte den großen Namen abzulegen um eigene Wege zu gehen, womöglich stellt Tetro eine Ausprägung seiner dar.

Coppolas Film scheint Motive und Themen der wahren Familiengeschichte zu nehmen und neu zusammen zu setzen. So handelt der Film von einem übermächtigen Vater, der ob seines Erfolges zum Patriarchen mutiert und den Rest seiner Familie wie Dreck behandelt. Er stiehlt seinem eigenem Bruder den Namen, seinem Sohn Tetro die Mädchen. Dargestellt wird dieses Biest von Klaus Maria Brandauer, und es ist schön ihn wieder einmal in einer großen, internationalen Rolle zu sehen, denn ich finde da gehört er auch hin.

Leider ist sein Charakter arg einseitig dargestellt, daher ist sein Potential verschenkt. Seine Figur ist ein Ungustl und sonst gar nichts. Daneben stellt Newcomer Alden Ehrerreich seinen jüngsten Spross Benny dar, der sich von seinem mürrisch-verschwiegenen Bruder Tetro verstoßen fühlt und ihn deshalb nach all den Jahren zur Rede stellen möchte.

Sieht man ihn, den Steven Spielberg auf einer Party seiner Kinder kennengelernt hat und gleich einmal seinem Freund Francis weiterempfahl, kommt einem gleich einmal in den Sinn eine Reinkarnation Leonardo DiCaprios vor sich zu haben. Ein hübscher, junger Mann, keine Frage, aber seine Bildschirmpräsenz könnte stärker sein.

Wirklich überzeugen können Vincent Gallo als Tetro und Maribel Verdu als seine Freundin Miranda. Die beiden spielen mit Freude und Gallo hat sicherlich die dankbarste Rolle, er ist der Gute, gibt aber gewohnt den unnahbaren Kotzbrocken, sodass er als eine der wenigen Figuren ein bisschen etwas von Dreidimensionalität versprüht.

Die große Schwäche des Films liegt darin, dass er inhaltlich einfach nicht überzeugen kann. Lustig, dass als Schauplatz Argentinien gewählt wurde, denn die Handlung erinnert irgendwie an eine gigantische südamerikanische Telenovela, wo viel zu klar als gut oder böse gezeichnete Figuren einander das Leben schwer machen. Stück für Stück kommt die ganze Wahrheit ans Licht, dazwischen gibt es Intrigen, Tränen, Glück und Liebe.

So richtig mag all das aber niemals zu zünden. Der Film wirkt an manchen Stellen zu verkrampft, etwa als Coppola versucht die leichtfüßige lateinamerikanische Lebensart zu portraitieren, an anderer Stelle einfach zu pompös, die Figuren bleiben einem herzlich egal. In irgendeiner Kritik habe ich mal gelesen, Coppola war schon immer tiefstes neunzehntes Jahrhundert. Ein trefflicher Vergleich, denn dieser Film wird so schrecklich altmodisch erzählt so als ob die Postmoderne völlig an ihm vorübergegangen wäre.

Dennoch schafft es Coppola seinem Film eine unglaubliche visuelle Magie mitzugeben. Gedreht in unpopulärem Schwarzweiß wirkt jede Bildkomposition, jeder Einsatz der Musik, jedes Zimmer, jede Landschaft, jede Falte auf Carmen Mauras Gesicht sowas von perfekt arrangiert, dass man durchaus sagen kann der Film feiert nicht die Menschlichkeit, sondern er feiert die Form, den Stil.

Ob durch die Stadt Buenos Aires flanierend, Spritztouren durch die endlosen Weiten Patagoniens, ob an einem Koffer voller Schriften im Schrank unter der Treppe hantierend, es ist wirklich vollkommen egal, warum hier wer was macht, Hauptsache er/sie hört nicht auf damit, denn man kann sich nicht sattsehen an diesen bedeutungsschwangeren, schweren Bildern, deren Künstlichkeit so überzeugend ist, dass sie den geneigten Zuseher betören und mitreißen.

Gebt Coppola ein gutes Drehbuch und er dreht uns ein Meisterwerk. Aber ich weiß, das wünschten wir uns bei so vielen Regisseuren. Ihr Handwerk beherrschen sie alle, nur die gute Geschichte zu finden ist so verdammt schwierig.

Tetro Bild 1
Tetro Bild 2
Tetro Bild 3
Tetro Bild 4
Tetro Bild 5
Tetro Bild 6
Tetro Bild 7
Tetro Bild 8
Tetro Bild 9
FAZIT:

Francis Ford Coppola dreht wieder jene Filme, nach denen es ihm gelüstet. Ob uns das gefällt ist wiederum die andere Frage. TETRO ist jedenfalls eine fast zu altmodische, mit einer ganzen Riege an großartigen Schauspielern, die sich meistens redlich bemühen gegen die Eindimensionalität ihrer Figuren anzuspielen, ausgestattete, visuell aber dermaßen berauschende Telenovela, dass man doch zugeben muss, eines Werks ansichtig zu werden, das so in seiner Form schon etwas besonderes ist. Für geneigte Filmgucker, die nichts gegen ein wenig sperrig-verkopfte Gefühlskälte eingebettet in buntest-schwarzweißem Bilderrausch einzuwenden haben, sicherlich einen Blick wert.
Zu sehen im Wiener Burgkino und Stadtkino (OmU)

WERTUNG: 7 von 10 seichte Konflikte
TEXT © Ralph Zlabinger
Dein Kommentar >>
Andreas | 24.11.2009 18:37
Wirklich? Nur 7 von 10 von Dir? Dabei habe ich gedacht, dass dieser Film allein aufgrund der Ästhetik gerade beim bildkompositionsverschossenem Ralph jenseits der 8 Punkte sein Dasein haben wird. (Übrigens: Ich hab Dich bei der Viennale nicht ausmachen können? Warst Du beim besagtem Termin in der Nacht?)

Whatever, für mich beweist Francis Ford Coppola mit diesem Film, was er wirklich ist: Ein unverbesserlicher Ästhet. Die Inszenierung und die Bilderflut ist dermaßen überwältigend und genial, dass ich sogar trotz einer eher trivialen Story und einem unnötig in die Länge gezogenem Schluss zu 8 von 10 kryptischen Buchseiten greife.

Ansehen!
Ralph | 25.11.2009 13:17
Dieser Kommentar kann Spuren von Spoilern enthalten.

Jetzt muss ich mich erst einmal zwicken. Gibt es tatsächlich einen Film (neben Event Horizon;-), den du höher bewertest als ich:-)

Es tut mir leid, wie du schön sagtest, die Geschichte ist so trivial, das tut einfach weh. "Ich bin dein Vater, Luke!" Schock, schwere Not.

Und der Brandauer hat mich auch enttäuscht, oder vielmehr seine Rolle. Zu einseitig, nur in Farbe (also außerhalb der genialen Bilder). Wegen ihm wollt ich den Film eigentlich sehen. Bei der Abendvorstellung am Tag davor, war er übrigens anwesend!!!!!

Ja, ich war bei der Nachtvorstellung, bin aber ein bissi zu spät gekommen und auch nacher gleich abgedüst, weil meine bessere Hälfte früh raus musste.

BTW: Das Künstlerhauskino ist ja wunderschön!!!!!!
Andreas | 25.11.2009 13:46
hehe, naja, du hast schon recht. die hauptstory war echt ein bisschen simple. mich aber haben dann die kurzen "zwischen-story"-highlights versöhnt, wie beispielsweise diese erste theateraufführung, die ja quasi ein theatherstück im theatherstück im filmtheaterstück war bzw. den zuschauer toll verwirren konnte mit: ist das jetzt noch film, ist das spontan, ist das inzeniert? dies traf auch auf andere szenen zu und läßt vergessen, dass am schluss das offensichtliche breitgeklopft wurde, wie ein zu zähes rindsschnitzel.

unterm strich war ich aber einfach von der kreativität mancher szenen überwältigt (e.g. der tanz am meer, das rote kleid,...), so dass ich 8 von 10 für ok halte.
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