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Wenn Katelbach kommt

Wenn Katelbach kommt

CINEMA OF THE ABSURD: GB, 1966
Regie: Roman Polanski
Darsteller: Donald Pleasence, Françoise Dorléac, Lionel Stander, Jack MacGowran

STORY:

Der verwundete Gangster Dicky und sein sterbender Partner in Crime Albie suchen Zuflucht in einer alten Burg auf der Insel Lindisfarne vor der Küste Northumberlands, deren Eigentümer der sonderbare Sonderling und Feigling bzw. Neurotiker George und seine Frau Teresa sind, eine kokette Französin. Während Dicky, ein Gefangener der Gezeiten, auf das Eintreffen seines Bosses Katelbach wartet, entwickelt sich eine ziemlich bizarre Beziehung zwischen ihm und seinen "Geiseln".

KRITIK:

Kurz vor seinem großen Durchbruch mit 'Tanz der Vampire' und 'Rosemary's Baby' drehte das polnische Regiewunderkind dieses kleine, obskure Filmedelsteinchen, welches er mehrmals als seinen besten Film bezeichnete, da er "pures Kino" sei (siehe Hitchcock). Jedoch war kein Produzent so richtig enthusiastisch den Film zu finanzieren. Schließlich bot sich die Compton Cinema Group an, aber erst nachdem Polanski und Gerard Brach (die zusammen acht Filme schrieben) einen Horrorfilm für das Studio inszenierten, da sich ein solcher besser vermarkten ließ als dieser sehr unkonventionelle Film. 'Ekel' mit Catherine Deneuve heißt der Film, der dabei herauskam. Danach hatte Polanski freie Hand für diesen, seinen "persönlichsten" Film.

Finanzierungsprobleme waren laut dem Regisseur nicht die einzigen Probleme, die die Realisierung des Films mit sich brachte - schlechtestes Wetter und zu damaligen Zeiten extrem schwierige Bedingungen das isolierte, ländliche Setting betreffend. Der Film war schnell in Verzug, die Dreharbeiten zäh, die Gemüter der ganzen Crew, speziell die der Schauspieler, sehr bald sehr gereizt. Aber genau daraus, so Polanski, entstand diese außergewöhnliche Intensität im Schauspiel und in der gesamten Stimmung des Films. Um den Zeitplan einzuhalten trotzte Polanski diesen schlechten Bedingungen mit einer Idee, die Filmgeschichte schrieb. Er wollte eine ganze Szene in einem einzigen Take an einem einzigen Tag drehen, was niemand am Set so richtig glauben konnte. Heraus kam die bis dahin längste Plansequenz der Filmgeschichte - ein 7-minütiges Staunen ohne zu blinzeln.

Die absurde Geschichte erinnert sehr stark an die absurden Dramen von Beckett und Pinter aus den 50er Jahren. In diesen Geschichten geht es um Leute, die über die Situation, in der sie stecken, absolut keine Kontrolle haben. Tragische Geschichten, in denen Absurdität und Comedy, abdriftend in philosophischen Dialog, die großartigen Nebendarsteller sind. Zufall? Wohl kaum. Tatsächlich machte Polanski einige Jahre vor den Dreharbeiten Annäherungsversuche bei Beckett, um sein Regeln und Traditionen sprengendes Werk 'Waiting for Godot' auf die große Leinwand zu bringen. Jedoch hatte Beckett Besseres zu tun und verweigerte. Somit schrieb Polanski seinen eigenen Beckettesquen bzw. Pinteresquen Film. Die Anspielung ist auch unübersehbar, sofern man mit diesen Werken vertraut ist, da sogar der Titel 'When Katelbach (zugleich eine Anspielung auf den Darsteller in Polanskis Kurzfilm 'The Fat and the Lean') comes' eine Referenz an 'Waiting for Godot' ist - beide implizieren ein Warten auf etwas.

Entstanden ist ein Film, der seltsamer kaum sein könnte und der einen auch heute noch die ein oder andere Augenbraue hochziehen lässt (Spock-Style versteht sich) - ein filmischer Bastard, geboren durch die Dreiecksbeziehung von neo-noirem Thrillerdrama, schwarz-absurder Komödie und sanft-gotischem Horror, deren Sprößling jedoch keinem Elternteil gehorchen will und macht, was er will. Kurz gesagt: ein Film, der sich nicht so einfach einer Kategorie zuordnen lässt.

Ein wichtiges Thema des Films, welches vielen Geschichten bzw. Filmen Polanskis zugrunde liegt, ist die Imposition - wie eine Person Macht über jemand anderen erlangt und folglich enormen Einfluss auf diese Person hat, sie dominiert. Variationen davon finden sich in 'Das Messer im Wasser', 'Ekel', 'Bitter Moon', 'The Ghostwriter', 'Rosemary's Baby', 'Macbeth', 'Der Mieter', 'Der Tod und das Mädchen'... In der isolierten Situation in 'Wenn Katelbach kommt' entsteht dadurch eine unberechenbare Konfrontation von Figuren aus den Fugen, welche sich gegenseitig manipulieren, kontrollieren und dominieren (wollen). Schleppend langsam wird dem Zuschauer klar, dass Polanskis Spielfiguren (auf seiner alleinigen Spielwiese) diese Teilzeitinsel schnellstmöglich verlassen sollten, tot oder lebendig. Ansonsten bleibt nur der Wahnsinn, das Absurde, aus dem es kein Entrinnen mehr gibt, das wie die hängengebliebene Schallplatte, wie der Zyklus der Gezeiten, kommt und geht und bleibt. Im übertragenen Sinne ist das exakt, was der "englische" Titel 'Cul-De-Sac' bedeutet - "Sackgasse". Für solche Figuren braucht es natürlich großartige Schauspieler, die der Regiesseur in Donald Pleasence, Lionel Stander, Jack MacGowran ('Tanz der Vampire') und Francoise Dorleac (Catherine Deneuves Schwester) gefunden hat. Allen voran Donald Pleasence und Lionel Stander, den ich hier zum ersten Mal in einer Hauptrolle bewundern durfte (wohl weil sein Name auf der Schwarzen Liste Hollywoods war) und der in vielen Szenen mit seinem körperintensivem Spiel und seiner mächtig heiseren Bassstimme die gesamte Leinwand regiert, sind erste Liga. Interessant ist auch, dass Pleasence in Theater- und Filmversionen von Pinters 'The Caretaker' und MacGowran sowohl in Theaterversionen von Becketts 'Waiting for Godot' als auch 'Endgame' spielte. Und in einer kleinen Rolle ist auch Iain Quarrier zu sehen, der schwule Vampir Herbert aus 'Tanz der Vampire'. Unbedingt zu huldigen ist noch der Score von Polanskis Stammkomponisten und Polens Jazzlegende Krzysztof Komeda, der leider kurz nach 'Rosemary's Baby' unter kuriosen Umständen verstarb. Komeda hat die Latte, was atmosphärisch dichte und unbehagliche Filmmusik betrifft, richtig hoch gelegt und bis heute fallen mir nur wenige Soundtracks ein, welche dies bezüglich die gleiche Qualität haben. Die atonalen Klanglandschaften, Melodien und Geräuschkulissen, die coolen Jazz-Einflüsse und modernen Elektronik-Passagen waren einfach Neuland im damaligen Film und trugen gemeinsam mit einem genial dynamischen, jedoch unprätentiösen Kamerastil enorm zur unverkennbaren Handschrift Polanskis bei. Sie unterstützen das Bildmaterial ausnahmslos ohne je zu dominant und damit zum Selbstzweck zu werden. DIe Filmmusiken zu Polanskis 'Der Mieter' oder 'The Ghostwriter' sind ganz klar an Komedas kurzes, aber geniales Schaffen angelehnt und zeigen sein unbestreitbares Talent, seine Unsterblichkeit.

Wenn Katelbach kommt Bild 1
Wenn Katelbach kommt Bild 2
Wenn Katelbach kommt Bild 3
Wenn Katelbach kommt Bild 4
FAZIT:

Jeder der Gefallen hat an der 2ten Phase der Nouvelle Vague, ein Fan von Polanski ist oder Raoul Coutard verehrt, sollte zumindest keinen weiten Bogen um diesen kleinen Irisbalsam machen

WERTUNG: 8 von 10 hängengebliebenen Schallplatten
TEXT © Thomas Haider
Dein Kommentar >>
Marco | 16.05.2018 16:23
Was viel wichtiger wäre: Wo kann man den Film sehen oder wo kann man eine DVD kaufen. Der Film ist wohl nur einmal in Deutschland gesendet worden und ist seit dem praktisch unauffindbar.

Hat jemand einen Tipp oder ggf. einen Mitschnitt der Fernsehsendung von damals? Kontakt eurosmile[dot]net
Fini. | 12.07.2019 09:51
Der läuft heute, 12.07.2019, um 22 Uhr auf arte.
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