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Gran Torino

Gran Torino

DRAMA: USA, 2008
Regie: Clint Eastwood
Darsteller: Clint Eastwood, Ahney Her, Bee Vang, Christopher Carley

STORY:

Walt Kowalski ist ein alter, verbitterter Mann. Beim Begräbnis seiner Frau gilt sein vorrangiges Interesse allerlei Fehlern, die er an seinen unmittelbaren Verwandten entdeckt: mit grimmiger Mine und abschätzigen Blick nimmt er zur Kenntnis, dass seine Enkeltochter nicht nur bauchfrei in der Kirche erscheint, sondern auch noch ein Nabelpiercing hat. Sein Sohn ist ihm ohnehin zuwider, hat er sich doch einen von den "Reisfressern" hergestellten, fahrbaren Untersatz gekauft. Für den ehemaligen Ford-Mitarbeiter eine Todsünde. Kowalski lebt in einem kleinen Haus in einer heruntergekommenen Vorstadtsiedlung, die meisten seiner Nachbarn sind bereits gestorben oder ausgezogen, in ihre Häuser sind nun Einwanderer, großteils Hmong, eingezogen. Natürlich sind dem alten Grantscherben auch diese ein ewiger Dorn im Auge und so macht er aus seinem Fremdenhass keinen Hehl und zeigt seinen Rassismus so offen wie nur möglich. Doch als der Nachbarsjunge von einer der vielen Gangs, die sich in der Gegend rumtreiben, gezwungen wird, Kowalskis ganzen Stolz, seinen Ford Gran Torino, zu stehlen, stehen drastische Veränderungen an.

KRITIK:

Bereits ein knappes Monat nach Clint Eastwoods letztem Film CHANGELING werden wir hierzulande nun schon mit dem nächsten Film des Hollywood-Altmeisters beglückt. Für ein Review keine einfache Angelegenheit, schließlich kann man nun nicht schon wieder die Vorzüge von Eastwoods klassisch-perfektem Regiestil herunterbeten. Es ist ohnehin überflüssig - in Sachen Regie leistet Eastwood praktisch konstant grandioses.

Der Schauspieler Clint Eastwood hingegen, den wir hier wohl mit hoher Wahrscheinlichkeit zum letzten mal vor der Kamera sehen werden, ist da schon eher ein seltener Gast: Zuletzt durfte er hier bei MILLION DOLLAR BABY beeindrucken, GRAN TORINO macht keine Ausnahme: die Figur des Walt Kowalski ist ihm wie auf den Leib geschneidert, sie scheint nahezu alle großen Filmrollen von Eastwood in einem Charakter zur verschmelzen, ihre guten wie auch schlechten Seiten zu vereinen.

Gestik und vor allem Mimik sind das Hauptausdrucksmittel von Kowalski - und Eastwood vermag dies bis an die Spitze zu treiben. Es ist klar: der graue, alte Mann wird uns auf der Leinwand fehlen.

Mit seiner Rolle in GRAN TORINO mag man sich anfangs aber gar nicht anfreunden: auch wenn man bestimmte Teile seines Grolls nachvollziehen kann, etwa den auf seine Familie, deren Mitglieder sich schnell als bestenfalls am Erbe interessierte Nachkömmlinge herausstellen, so ist vor allem sein offensichtlicher Rassismus und Menschenhass höchst abschreckend.

Der wiederum scheint tief in seiner Vergangenheit verwurzelt zu sein: Kowalski ist ein Koreakriegsveteran und deutet mehr als einmal an, dass er damals nicht nur schreckliches erlebt, sondern auch schreckliches getan hat, das ihn bis in seine Gegenwart verfolgt. Die Aufarbeitung der Vergangenheit legt Eastwood hier, wie auch schon 2004 in MILLION DOLLAR BABY, quasi in die Hände der Kirche. Während Frankie Dunn damals aber noch aus freien Stücken die Kirche be- und Father Horvak heimgesucht hatte, ist Father Janovich in GRAN TORINO die treibende Kraft: im Auftrag von Kowalskis verstorbener Frau versucht er konsequent, den Witwer zur Beichte zu bewegen. Dieser hält von der Kirche allerdings genausoviel wie von den Bambusratten in der Nachbarschaft. Die Gespräche zwischen diesen beiden Charakteren sind wie schon in MILLION DOLLAR BABY eine Bereicherung und bringen auch hier wieder schön verpackte Kritik an der Kirche und überhaupt am Konzept des Glaubens an sich mit, ohne diese Dinge aber als vollkommen belanglos und dumm abzustempeln.

Eastwood scheint die Auseinandersetzung zwischen dem "wahren Leben" und dem Glauben zu lieben: "Was verstehen Sie schon vom Tod, Vater?" - "Sie haben recht, ich verstehe nichts vom Tod, aber dafür verstehe ich etwas vom Leben."

Zweifelsohne hat der Krieg Spuren in Kowalskis Seele hinterlassen. Zurück in Amerika arbeitete er schließlich viele Jahre bei Ford, wo er auch eigenhändig die Lenkung in seinen Gran Torino eingebaut hatte. Er wurde zum verblendeten Patrioten, denkt nicht daran, seinen Besitz aufzugeben, obwohl er seine Nachbarn so sehr hasst, und lebt davon seinen ganzen Stolz, seinen Gran Torino, vor seinem Haus für jedermann sichtbar zu parken und ihn schließlich selbst praktisch den ganzen Tag biertrinkend von seiner Veranda aus zu bewundern. "Ist er nicht ein Prachtstück?"

Gefahren wird er von Kowalski offensichtlich schon lange nicht mehr. Nicht einmal werden wir ihn im Verlauf des Films auch nur darin sitzen sehen. Der Gran Torino ist ein Symbol, für Kowalski wie für den Zuschauer. Ein Symbol wie es Kowalski selbst verwendet, wenn er seine Hand wie ein spielendes Kind zu einer Waffe formt und damit auf seine Feinde zielt.

So sehr Eastwood am Anfang alles dafür tut, dass man seinen Charakter abstempelt und verurteilt, so langsam und unauffällig beginnt er schließlich, für ihn einzutreten. Je näher man ihn kennenlernt, zum Beispiel über die Gespräche mit Father Janovich, desto mehr Verständnis bekommt man für diesen Menschen. Je öfter er rassistische Sprüche ablässt, desto mehr erkennt man, dass diese über blanken Hass insofern hinausgehen, als dass sie immer auf die jeweilige Situation abgestimmt sind und einen bösartigen aber feinen Witz haben. Kowalski, wie der Name verrät, selbst polnischer Abstammung und gar nicht so "amerikanisch" wie man aufgrund seines Verhaltens glauben könnte, erträgt sogar selbst rassistische Sprüche mit Würde und ohne mit der Wimper zu zucken, wenn er im Friseurladen wieder mal "Polacke" vom jüdischen Inhaber (für Kowalski natürlich ein Halsabschneider) geschimpft wird.

Überhaupt setzt Eastwood wie selten zuvor in einem amerikanischen Film praktisch überhaupt keine "echten Amerikaner" ein, Kowalski entspricht noch am ehesten dem, was man sich unter dieser Formulierung vorstellen könnte. Der Film ist eine kunterbunte Mischung verschiedenster ethnischer Abstammungen, von den Nachbarn bis zur Ärztin im Krankenhaus.

Sehr schnell versteht man also, dass hinter Kowalski doch mehr steckt und dass vieles vielleicht nur eine Fassade ist, die er sich selbst auferlegt hat, an die er aber mittlerweile nach vielen Jahren durchaus schon selbst glaubt. Der schönste Moment im Film ist hier dann auch zugleich der erste Bruch, der dafür sorgt, dass Kowalskis Fassade zu bröckeln beginnt: Kowalski und seine direkte Nachbarin, eine Hmong-Mutter, wie er selbst schon gealtert, gifteln sich gegenseitig von Veranda zu Veranda an, keiner versteht die Sprache des anderen, und doch scheint man sich zu verstehen.

Während Kowalski sich fragt warum diese ganzen "verdammten Schlitzaugen" hier einziehen müssen, fragt sich sein Gegenüber warum verdammt nochmal er als einziger Amerikaner hier aus der Gegend nicht weggezogen ist und ob er sich denn bitte endlich schleichen kann. Als Kowalski zum Abschluss auf den Boden spuckt, um seine Abscheu gegenüber seiner Nachbarin zu unterstreichen, tut die ihm gleich und überbietet ihn sogar noch in Sachen Konsistenz und Menge. Dieser eine Moment der Gleichheit ist ein entscheidender Wendepunkt im Film und vorzüglich gelungen.

Als Kowalski schließlich den Nachbarsjungen Thao - der wenige Tage zuvor seinen Gran Torino klauen wollte - vor einer Gang rettet, indem er sie mit vorgehaltener Waffe von seinem Rasen verscheucht, wird er zum Held der Nachbarschaft und kann sich vor Geschenken nicht mehr retten. Natürlich lehnt er diese zuerst erbost ab, schließlich lässt er sich aber von der sympathischen Sue, ebenfalls eines der Nachbarskinder, überreden, an einem Festessen als Gast der Familie teilzunehmen, immerhin ist ja sein eigener Biervorrat gerade aufgebraucht worden.

Walt Kowalski ist ein Patriot und er versteht etwas von Traditionen und Werten - steckt er doch selbst noch in den 50ern fest und kann mit der Gegenwart ohnehin nichts anfangen. Sein Besuch im Nachbarhaus gerät für ihn zur Offenbarung: denn ausgerechnet die Hmong, seine verhassten Nachbarn, wissen sehr gut um eben diese Werte und halten eisern an den Traditionen ihres Volkes fest. Es sind andere Werte, andere Traditionen und es ist eine andere Form von Patriotismus - aber auch hier zeigt sich, dass wir es nicht einfach nur mit einem armen, alten, rassistischen Idioten zu tun haben - Kowalski erkennt durchaus, dass es im Grunde um die selben Dinge geht: "Ich habe mit diesen Bambusratten mehr gemeinsam als mit meiner eigenen Familie."

Hier könnte die Geschichte nun wundervoll weitergehen und vom neuen Leben erzählen, das Kowalski gefunden hat. Doch GRAN TORINO ist ein Film der einen sehr realistischen Blick auf unsere Zeit und auf das Amerika dieser Zeit hat. Wo ein Idiot weniger ist, gibt es noch tausende andere. Hier in Form der Gangs in der Nachbarschaft, die es vor allem auf Thao abgesehen haben. Kowalski hat in ihm mittlerweile einen Sohn gefunden, der zu ihm aufsieht statt ihm Telefone mit übergroßen Tasten zu schenken, die er nicht braucht, und ihn zu allen Überfluss auch noch ins Heim stecken will. Er unterstützt den Jungen daher auf seinem Weg einen Beruf zu finden und versucht ihm vieles beizubringen. Und auch einiges über das Leben zu erzählen.

Doch schon bald muss Kowalski erkennen, dass die Gang, die es auf Thao abgesehen hat, niemals locker lassen wird. Dass er so in diesem Leben keine Chance haben wird, seinen Weg zu gehen. Walt Kowalski versucht daher Gewalt mit Gewalt zu beantworten, und begeht damit einen folgenschweren Fehler.

GRAN TORINO ist ein Film der ohne den berühmten Zeigefinger auskommt und wohl trotzdem mehr als viele andere Filme in den letzten Jahren vermag, das Thema Rassismus auf einer, provokativ gesagt, familiären Ebene anzugehen. Zu keiner Zeit klammert der Film die Probleme aus, die das Zusammenleben vieler verschiedener ethnischer Gruppen mit sich bringt, stellt aber gleichzeitig niemals in Zweifel, dass soziale Verwahrlosung und Perspektivenlosigkeit die wahren Übel sind, die es anzupacken gilt.

Eastwoods Film ist ein großes Statement gegen Rassismus, gegen Vorurteile und gegen Gewalt. Eine Kritik Eastwoods auch an manchen seiner eigenen Rollen. Bereichert wird der Film wie viele seiner Filme von der kritischen Auseinandersetzung mit dem Thema Familie, des Älterwerdens und Glauben.

Vorwerfen kann man diesem Film am Ende nur seinen Erklärungsdrang: wie schon in CHANGELING verlässt sich Eastwood oft nicht auf das Offensichtliche, sondern erklärt dies noch durch zusätzliche Szenen oder Monologe, die eigentlich nicht nötig gewesen wären. Der gute Mann sollte wissen, dass er seinem Publikum etwas mehr zumuten kann.

Eines noch: GRAN TORINO ist für mich der bisher beste Filmtitel dieser Dekade. Und Danke an den deutschen Verleih, dass ihr eure Drecksgriffel wenigstens diesmal vom Originaltitel gelassen habt.

Gran Torino Bild 1
Gran Torino Bild 2
Gran Torino Bild 3
Gran Torino Bild 4
FAZIT:

Clint Eastwood wird oft zu schnell vorverurteilt - trotz so großartiger Filme wie MYSTIC RIVER oder MILLION DOLLAR BABY. Mit GRAN TORINO beweist er allerdings einmal mehr, dass er auf die heutige Zeit und vor allem das heutige Amerika einen Blick hat, wie ihn nur wenige andere aufbieten können. Und er hat auch den Mut, das auch 1:1 auf die Leinwand zu bringen. Die ethnische Konstellation, die er hier im Film zeigt, ist eine Realität, die viele andere Filmemacher aus Hollywood ignorieren. Genau deshalb konnte sich Eastwood auch ein Ende erlauben, das geradezu prädestiniert war, um zu scheitern. Um vorhergesehen zu werden. Nichts von beidem ist der Fall. GRAN TORINO ist für die Themen Rassismus und Gewalt das, was MILLION DOLLAR BABY für die Sterbehilfe war: ein Statement. Wie das Ende dieses Films. Wie der Gran Torino selbst.

WERTUNG: 9 von 10 Reissäcken, die man statt eines Werkzeuggürtels nimmt
TEXT © Bernhard König
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Dein Kommentar >>
Lukas | 20.06.2009 20:45
hab ihn vor zwei Wochen in einer Sondervorstellung sehen dürfen und bin total begeistert. bis jetzt der beste Film in diesem Kinojahr. 9,5/10
>> antworten
Patrasch | 26.03.2009 21:10
Clint Eastwood und eine lustigen Sprüche: Top; Handlung: (eher) Flop...7/10
Patrasch | 26.03.2009 21:24
seine
>> antworten
Wolfgang | 19.03.2009 21:22
Großer Respekt gebührt Clint Eastwood, wieder ein Film auf höchstem Niveau.
Schön erzählt nach der alten Schule, langsam aber trotzem nie langweilig. Außerdem witzig.
7,5/10 und ein Symphatiepunkt.
>> antworten
Andreas Berger | 18.03.2009 01:17
boah, wenn eastwood wirklich diese stimme hat (O-Ton) , dann sollte er wohl wirklich schleunigst zum lungenarzt...

tja, wirklich guter film, ich fand den schluss zwar nicht so überraschend wie harald, alles andere ist eh schon "episch" genug besprochen worden.

7/10 asiatische köstlichkeiten beim nachbarn
Harald | 18.03.2009 10:19
--- potentieller spoiler ---
ich hab ja, meiner frühkindlichen filmischen sozialisierung mit pädagogisch fragwürdigen selbstjustiz-reißern aus den 80ern sei dank, fix damit gerechnet, dass walt diesen gang-typen mit irgendwelchen coolen kampfschweintricks aus dem koreakrieg einem nach dem anderen das licht ausbläst. und dass dann seine kriegstraumata wieder voll aufbrechen und er sich am ende selbst richtet.

aber sein tatsächlicher abgang ist dann doch würdiger und "cineastischer"...
Andreas Berger | 18.03.2009 13:15
SPOILER!!!!

Obwohl: Ein bisschen Mängel in der Logik gibt es bei diesem Ende natürlich schon.

Wenn's darum ginge, die Gang in den Knast zu bringen, warum nicht schon früher? Beweisbare Delikate gab es genug: Nötigung, versuchter Diebstahl (des Autos), Diebstahl (der Werkzeuge), Mordversuch (Haus), Vandalismus, das krankenhausreif verprügelte (und vergewaltigte?) Mädchen...

Also, wenn das nicht reicht, um den jungen für 1-2 Jahre Frieden zu geben? Noch dazu, wo bei diesem Ende ja nicht "Mord" als Urteil rauskommen wird, sondern "Notwehr". Die Bösen mussten ja davon ausgehen, dass Eastwood die Knarre zückt, noch dazu hat er sie zuerst mit der Fingerpistole bedroht...d.h. sie hatten keine andere Wahl als zu schießen...

Das Ende spielt also viel mehr mit den Erwartungen des Kino Zusehers, die eben grad von Eastwood ein Gemetzel antizipieren. Aber wenn man Eastwoods Regiearbeiten kennt, weiß man, dass genau das nicht passieren wird, daher war's für mich klar...

Ich hab aber keinen Punkt wegen dieser Unzulänglichkeiten abgezogen, weil es bei diesem Film nicht um die Logik der Story geht, sondern mehr um das Charakterspiel zwischen den verschiedenen Welten und Akteuren... Aber um den Film perfekt sein zu lassen, wäre das eben auch noch nötig gewesen...
>> antworten
Johnny | 08.03.2009 10:44
ein bissl ausführlich, diese Review:-) Aber sehr schön geschrieben & lesenswert. Der Film hat's verdient.
Andreas Berger | 08.03.2009 13:25
vom harald das "epische kritik" - äußerst lustig.

gute kritik. bestärkt mich das sehen zu wollen.
Nic | 08.03.2009 16:20
als ob man einen grund braucht einen eastwood-film anzusehen ;) :-p

wundert mich auch nebenbei bemerkt wieviele worte du über so einen einfachen film verlierst - weiter so ;)
>> antworten