HORROR: USA, 1995
Regie: Stuart Gordon
Darsteller: Jeffrey Combs, Barbara Crampton, Jonathan Fuller
Der amerikanische Familienvater John Reilly reist mit Frau Susan und Tochter Rebecca nach Italien. Das alte umbrische Schloss, das John geerbt hat, soll verkauft werden. Vorher möchte er es allerdings inspizieren und ein bisschen Urlaub dort machen. Einzig die derzeit vorherrschenden Familienverhältnisse vermögen das Glück des Neo-Schlossbesitzers zu trüben. Seine Frau verweigert ihm jedwede körperliche Annäherung und macht ihm permanent Vorwürfe. Dies obendrein schon seit etlichen Monaten. Genauer gesagt, seitdem der Unglückselige in betrunkenem Zustand einen Autounfall zu verantworten hatte, bei dem der gemeinsame Sohn ums Leben kam und Tochter Rebecca erblindete.
Dass im Kellerverlies ein entarteter Verwandter von John haust, weiß zu Beginn nur der Zuschauer. Rebecca ist die Erste, die die Bedrohung spürt und als der "Castle Freak" sich seiner Ketten entledigt, überschlagen sich die Ereignisse...
Während Stuart Gordon's bekannter und unter "Blut- und Gedärme-Fans" viel gerühmter Re-Animator heute noch als "Meilenstein des Splatter-Genres" gefeiert wird, fristet der eine Dekade später entstandene "Castle Freak" eine Art Schattendasein.
Für die einen "zu unblutig" und ein "zu niedriger Bodycount", für die anderen "zu viel Familiendrama", kommt Gordons Film in den Augen der Internetcommunity mehr schlecht als recht weg.
Die aufmerksame Filmtipps-Leserschaft wird es nicht besonders verwundern, wenn ich an dieser Stelle eine etwas abweichende Meinung vertrete...
Vielleicht hätte ich zu Re-Animator einen anderen Bezug, wenn ich ihn (wie viele Filme aus den 80er Jahren) schon als Jugendliche gesehen hätte.
Aber als ich den Streifen vor ein paar Jahren zum ersten Mal sichtete, war ich etwas enttäuscht. Und auch beim zweiten "Annäherungsversuch" wurde der Film in meinen Augen nicht besser. Weder Jeffrey Combs, der als der "legendäre Herbert West" in die Annalen der Horrorfilmgeschichte eingegangen ist, noch die Effekte konnten mich sonderlich beeindrucken.
Vielmehr vermisste ich so etwas wie eine stimmige Atmosphäre, eine Art "Seele" des Films.
Aus diesem Grund hat es mir bislang innerlich widerstrebt, Castle Freak anzusehen.
Verantwortlich dafür war allerdings nicht nur meine ernüchternde Erfahrung mit Re-Animator oder der furchtbar unsympathische Combs, sondern auch der Umstand, dass die Neunziger Jahre bis auf wenige Ausnahmen filmtechnisch so überhaupt nicht meine Zeit waren bzw. sind.
Wie gut, dass nicht meine Vorurteile, sondern meine Neugier gesiegt hat.
Um Missverständnissen vorzubeugen, möchte ich an dieser Stelle gleich einräumen: Castle Freak ist keine Offenbarung, keine unterschätzte Perle des Genres, aber alles in allem ein sehenswertes und gut bei Laune haltendes Horror-Spektakel.
Besonders italophile FilmliebhaberInnen kommen auf ihre Kosten - nicht nur das italienische Schloss, die Landschaft und die Charaktere, sondern auch die Thematik, die im italienischen Giallo und Gotik-Kino häufig verwendet wurde (zumeist englischsprachige Touristen, die in "Bella Italia" in Not geraten), schaffen eine heimelig-vertraute Atmosphäre.
Als das blutrünstige Treiben des Castle Freak (und das dürfte jetzt wahrlich kein Spoiler sein) seinen Anfang nimmt, gerät John schnell als einzig Tatverdächtiger ins Visier der örtlichen Carabinieri.
Wenn man diverse amerikanische Horrorfilme vor dem geistigen Auge Revue passieren lässt, fällt auf, dass es eine Art kollektive Urangst der Amerikaner zu sein scheint, im fremden, mysteriösen, geschichtsträchtigen und teils rückständigen Europa in vertrackte Situationen verwickelt und (wie im Falle von John Reilly) auch noch unschuldig des Mordes bezichtigt zu werden.
(Unter anderem deshalb war die in den USA initiierte Medien-Kampagne für Amanda Knox, die dazu diente, die Bevölkerung von der Unschuld der jungen Frau zu überzeugen, wohl von so großem Erfolg gekrönt. Aber das ist wieder ein anderes Thema.)
Optisch wirkt der Film irgendwie "retro" und relativ zeitlos, man ist fast versucht zu sagen, eher untypisch für die Neunziger.
Jeffrey Combs ist - entgegen meiner vorgefassten Meinung, die an dieser Stelle revidiert wird - ein recht überzeugend wirkender Schauspieler. Für die ebenfalls aus Re-Animator bekannte Barbara Crampton gilt dasselbe.
Der titelgebende Castle Freak ist natürlich der "heimliche Star" des Films. Seine monströse Gestalt ist gruselig, einprägsam und hebt sich im Vergleich mit anderen Horrorfilm-Monstern von den gängigen Gestalten ab. Er ist kein durch und durch böses und seelenloses Monster, sondern wird als arme geschundene Kreatur, deren Handlungsmotive nicht eindeutig als "kaltblütig und böse" zu kategorisieren sind, dargestellt. Das verleiht unserem bemitleidenswerten Freak und der Story eine zusätzlich mysteriöse Komponente.
Natürlich wird - wie in vielen Horrorfilmen üblich - während des gesamten Handlungsverlaufs nicht mit Klischees gegeizt. Das weibliche Geschlecht tritt als Inbegriff von Hilflosigkeit in Erscheinung und erreicht seinen tragischen Höhepunkt durch die Figur der Rebecca. Was könnte hilfloser und schutzbedürftiger sein als eine erblindete heranwachsende Frau? Die Italiener sind (nett ausgedrückt) einfachen Gemüts, sündige Prostituierte müssen zuallererst und auf grausamste Art sterben, Alkohol ist böööse, da er die Familie zerstört und so weiter.
Die handgemachten Effekte sind qualitativ hochwertig, die Filmmusik ist stimmig und auch sonst hat Gordon eigentlich nicht viel falsch gemacht.
Tipp: Besonders reizvoll ist der Film im Originalton. Nicht nur wegen der höheren Authentizität der amerikanischen Schauspieler, sondern auch, weil die italienischen Mimen ihre Landessprache sprechen und diese Dialoge nicht untertitelt sind. So hat man eher die Möglichkeit, nachzuvollziehen, wie das von den Einheimischen Gesprochene auf John wirkt und es wird insgesamt einfach glaubwürdiger.
Kein bahnbrechendes Meisterwerk, aber ein unterhaltsames Horrorfilmchen mit Splattereinlagen, das sich bestens für einen Popcorn-und Bierchen-Filmabend im Kreis gleichgesinnter Genrefreunde eignet.
Lohnenswert ist die englische Blu-Ray, die vor kurzem in sehr guter Qualität erschienen ist.