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Der Leopard

Der Leopard

OT: Il Gattopardo
HISTORIENEPOS: FRANKREICH/ITAL, 1963
Regie: Luchino Visconti
Darsteller: Burt Lancaster, Alain Delon, Claudia Cardinale

STORY:

Das stolze sizilianische Adelsgeschlecht der Salinas erlebt den Aufstieg des Bürgertums. Doch der weise Patriarch Don Fabrizio (Burt Lancaster) erkennt die Zeichen der Zeit und beugt sich, ja unterstützt sogar, dass sein Neffe Tancredi (Delon) die bürgerliche Angelica (Cardinale) heiratet.

KRITIK:

"Der Leopard" in seiner neuesten deutschen DVD-Fassung. Wieder ein paar Minuten länger, wieder ein Stückchen näher an der Originalfassung. Diesmal sind es 178 Minuten große Gefühle, Melancholie, Wehmut und karges, zerklüftetes Sizilien, wunderschön und morbid, goldglänzend und von Staub überzogen.

Regisseur Visconti, selbst Spross eines Adelshauses, bittet zum Todestanz einer ganzen Kultur und lustigerweise auch des italienischen Kinos, denn nach dem Leoparden wich allmählich die Lebensenergie aus der kinematographischen Magie der Apenninenhalbinsel, was sicher nicht an der künstlerischen und kommerziellen Qualität lag, sondern daran, dass eine neue Regierung sich krampfhaft einbildete, den italienischen Kinomarkt zu protektionieren und Quoten einzuführen, was wie so oft genau den gegenteiligen Effekt hatte.

Was Visconti hier abzieht gehört ohne wenn und aber zu den großen Leistungen des Weltkinos, wie eigentlich jeder seiner unglaublichen Filme. Und ist außerdem eine der beiden Literaturverfilmungen, die mit ihren Vorlagen mithalten können. Die andere ist der Tod in Venedig, ebenfalls von ihm. Er, der gestandene Konservative unter den großen Regisseuren, erschafft hier ein Universum für sich, versammelt dafür eine großartige Riege von Schauspielern, allen voran Burt Lancaster, dessen Spiel unerreichbar ist, und lässt sie vor üppigen Dekors durch endlose Gänge von Villen wandeln, deren Zimmer den Protagonisten teilweise gar nicht mehr bekannt sind, was natürlich als vornehm galt.

Die Adeligen leben in ihrer eigenen Welt, haben ihre eigenen Probleme, glauben fest, denken viel nach, verteidigen ihren Stand und werden doch nicht untergehen. Der große Österreichische Autor Robert Musil meinte einmal in seinem Jahrhundertroman "Der Mann ohne Eigenschaften": "Man kann seiner Zeit nicht böse sein ohne .ernsthaften Schaden zu nehmen". Der Fürst beherzigt dies und meint dazu pragmatisch wie er ist, dass sich "alles verändern muss, damit alles so bleibt wie es ist".

Die 178 Minuten vergehen wie im Flug, die philosophischen Dialoge voller Weisheit und Untergangsstimmung, das weite, verödete Land und die pompösen Bauten vermögen den Zuseher sofort in den Film hineinzuziehen und nicht mehr loszulassen. Visconti versteht es doppelgleisig zu fahren, indem er durch beißendem Spott und intensiver Verführung dem Adelsstand einen ebenso kritischen wie liebevollen Kommentar angedeihen lässt.

Aber. Ja, es gibt ein aber. Nein, nicht die ein oder andere Naturaufnahme, die dann doch ein wenig zu lange geraten ist. Das stört überhaupt nicht. Es ist wie so oft das Frauenbild, das vollkommen daneben ist. Es ist ziemlich interessant, Filme mit einer feministischen Brille zu betrachten, denn da tun sich auch in den größten Klassikern wahre Abgründe auf, vor allem im italienischen Kino.

Die Frauen, und Visconti porträtiert nicht nur eine Frau, sondern bemüht sich um ein Gemälde der Gesellschaft, in diesem Film sind allesamt entweder dumm, fanatisch gläubig oder manipulativ. Und, dass mir jetzt keiner damit kommt, dass es damals halt so war. Nein, so war es nicht. Es gibt genug Dokumente aus dieser Zeit, die beweisen, dass Frauen sehr wohl auch politische Wesen waren. Das ist nur der Blick der Männer auf die Frauen. Das verrät vor allem, wie die Männer die Frauen sehen, und vor allem wie die Männer die Frauen zur Zeit der Entstehung dieses Kinofilmes gesehen haben. Die Frage ist natürlich, soll man sich diesen Film jetzt dadurch kaputt machen lassen oder nicht? Das ist gar nicht so leicht zu beantworten.

Es gibt zur Zeit einen Diskurs über die Online-Filmkritik. Kritiker (der Online-Filmkritik) meinen, dass die meisten Internetreviews von Fanboys geschrieben werden, aber nicht mehr von Kritikern, die Filme wirklich auf ihre Plausibilität, logische Kohärenz, politische Untertöne usw. untersuchen. Weil wir sonst vollkommen verlernen kritisch wahrzunehmen. Weil genau dann politische Parteien Wohlfühlwahlkämpfe oder Wahlkämpfe, die nur unsere niedrigsten Instinkte ansprechen, führen. Weil es dem Rezepienten ohnehin nur um die Stimmung in den Filmen geht.

Da ist was dran, das gibt mir zu denken.

Andrerseits, kann man vom Rezipienten und auch von "uns" Fanboy-Kritikern nicht verlangen, dass wir Filme immer wirklich "kritisch" betrachten? Kritischer Blick, verlernen, hallo? Träumt ihr von warmen Eislutschern? Es gab nie einen kritischen Blick! Wir wollen uns unterhalten, abschalten. Also her mit starken Helden, unterwürfigen Frauen uns bösen Bösewichten!

Der Leopard Bild 1
Der Leopard Bild 2
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Der Leopard Bild 5
Der Leopard Bild 6
FAZIT:

Luchino Viscontis "Der Leopard" ist ganz zweifellos ein ganz großer Klassiker des Europäischen Kinos, ein großer Wurf des Mediums, ein Musterbeispiel für Montage, Musik und über alle Maßen erhabenes Schauspiel, ein intelligenter Kommentar und Einblick in eine versunkene Welt und in die vielleicht bis heute gültige Mentalität der Sizilianer. "Der Leopard" steht über der Zeit.

"Der Leopard" kann aber auch mit heutigen Augen betrachtet werden, kann kritisch hinterfragt werden. Und dann ist er eine chauvinistische, stockreaktionäre Altherrenfantasie, eine perverse Huldigung patriarchalischer Strukturen.

Und daher ziehe ich diesem erhabenen Meisterwerk jetzt beinhart 2 Punkte ab;-)

Trotzdem: vollste Empfehlung!

Erschienen als BluRay und DVD in neuer, erweiterter Fassung bei Koch Media.

WERTUNG: 8 von 10 verborgene Gemächer
TEXT © Ralph Zlabinger
Dein Kommentar >>
Harald | 15.11.2010 10:25
Tolle Kritik, Herr Kollege, danke!
Wunderbar das ambivalente Fazit "intelligenter Kommentar/stockreaktionäre Altherrenfantasie"

Was den angesprochenen Diskurs über die Online-Filmkritik betrifft: Ich fürchte, da spielt die nackte Existenzangst der traditionellen Filmkritik eine große Rolle. Es ist ja leider so, dass der Kulturteil von Qualitätszeitungen so gut wie nicht gelesen wird, und dass die krisengebeutelten Zeitungen gerade in diesem Resort als erstes sparen. Mit dem Resultat, dass "Filmkritiker" in naher Zukunft wohl ein ausgestorbener Beruf sein wird.
Auch wenn ich selber gerne über die "bürgerliche Filmkritik" und ihre bisweilen erstaunliche Geschmacks-Konformität und Mainstream-Lastigkeit lästere, macht mir diese Entwicklung Sorgen. Wir Fanboys können die "seriösen" Kritiker nicht ersetzen. Außerdem brauchen wir sie als Reibebaum ;-)
Ralph | 15.11.2010 16:17
Das mit dem Kulturteil glaube ich nicht. Das ist meistens der einzige Teil, den ich lese. Ich dachte immer den Wirtschaftsteil liest niemand;-)
Hans-Christian | 15.11.2010 19:21
Kann ich mich nur anschließen. Ich find das Feuilleton in den großen Zeitungen meist am interessantesten. Spiegel z.B. les ich immer von hinten. Und FAZ nur den Kulturteil.
Harald | 15.11.2010 21:03
Doch, es gab vor kurzem eine Studie, welcher Teil in den Zeitungen wie häufig gelesen wird. Und da steigt die Kultur erschreckend schlecht aus. Wenn ich mich recht erinnere, lesen nicht mal 10% den Kulturteil. Und wir reden hier von Qualitätszeitungen.
In den Gratisblättern hat man die Kultur ja gleich entsorgt und durch "Events" oder "Leute" ersetzt.
PS: Eh klar, dass wir die Ausnahme sind. Eigentlich hab ich den Sonntags-Kurier immer nur wegen einer bestimmten Kolumne im Kulturteil geklau- äh kauft. Aber die haben sie kürzlich eingespart, und jetzt hat das Blatt einen Leser weniger ...
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