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Die Büchse der Pandora

Die Büchse der Pandora

DRAMA: Deutschland, 1929
Regie: Georg Wilhelm Pabst
Darsteller: Louise Brooks, Fritz Kortner, Francis Lederer, Carl Goetz

STORY:

Lulu, ein Revue-Girl, hat eine Affäre mit Dr. Schön, einem reichen Zeitungsherausgeber und Theaterbesitzer. Zugleich kokettiert und flirtet sie mit seinem Sohn, seiner eigentlichen Braut, ihrem Revue-Partner und dem Kleinkriminellen Schigolch, der zugleich eine Art Ersatzvater für sie ist. Doch Lulus Drahtseilakt, so viele Menschen gleichzeitig um den Verstand zu bringen, eskaliert auf ihrer Hochzeit mit Dr. Schön und endet mit dessen Tod. Danach beginnt sich ihr Schicksal zu wenden.

KRITIK:

"Es gibt keine Garbo, es gibt keine Dietrich. Es gibt nur Louise Brooks."

Als 1997 Arte und das ZDF eine restaurierte Fassung von DIE BÜCHSE DER PANDORA ankündigten, nahm ich das relativ gleichgültig zur Kenntnis. Noch'n Stummfilm, dachte ich. Sicher, als Klassiker des deutschen Stummfilm stand der Film zwar auf meiner To-do-Liste. Aber mehr als ein achselzuckendes, ein im wörtlichen Sinne ja-mal-sehen löste die Ankündigung nun nicht gerade aus. Ich hatte mit als Jugendlicher CALIGARI gesehen und mit Anfang 20 die wissenschafliche Arbeitsfassung des Filmmuseum Münchens von METROPOLIS. Ich war gewappnet.

Ich war ahnungslos.

Schon beim ersten Blick auf Louise Brooks' - nunja - Nichts von einem Kleid traf mich der Schock: Sieht man da wirklich die Brust? 1929? Verdammt, wo ist die Fernbedienung? Und diese Lulu, ist das gespielt? Oder spielt die Brooks sich selbst? Wie viele Facetten hat diese Frau? Und was ist das für eine Geschichte? Ist das überhaupt eine Geschichte? Lulu kokettiert, flirtet, liebt und verführt sechs Männer. Gleichzeitig und nacheinander. Einen davon gibt sie als ihren Vater aus. Und dann verführt sie tatsächlich auch noch eine Frau. Auf ihrer Hochzeit!

Lulu traf mich völlig unerwartet. Und ich sie.

Nichts, wirklich nichts hatte mich auch nur ansatzweise auf diese unglaubliche Leinwandpräsenz vorbereitet. Und den offenen Bruch mit Tabus. Gut, so steht es auch schon so in der Vorlage, aber die habe ich - Kulturignorant, der ich bin - bis heute nicht gelesen. Und auch erst hinterher erfahren, dass der Film sogar zwei weitere Hochzeiten Lulus einfach unter den Tisch kehrt. Am Resultat änderte das aber auch nichts mehr.

Es war dieser Schock, den wohl auch die deutschen Gazetten nicht verdauen konnten. Noch dazu spielt die Lulu - unsere Lulu, die heißeste Rolle des deutschen Kinos zwischen den Kriegen - ausgerechnet eine Anwaltstochter aus Kansas. Aber dem Regisseur Pabst war keine deutsche Lulu gut genug. Auch nicht die sich emporarbeitende und geradezu aufdrängende Marlene Dietrich: "Die Dietrich war zu alt und alles an ihr war so offensichtlich - ein einziger sexy look und der Film wäre zur Burleske entartet". Es ist ein Treppenwitz der Filmgeschichte, dass die Dietrich ein Jahr später mit DER BLAUE ENGEL doch noch mit einer Skandalrolle ihren Durchbruch schaffte.

Louise Brooks dagegen verschwand. Bis französische Filmhistoriker sie in den 50er Jahren wiederentdeckten. Und Henri Langlois, Gründer und Leiter der Cinemathek francaise, ihre Bedeutung mit dem eingangs erwähnten Zitat auf den Punkt brachte: Diese Frau ist ein Skandal! Ein Magnet, der alles anzieht. Und zerstört. In einer eindrucksvollen Szene packt sie Fritz Kortner als Dr. Schön so fest, dass deutlich sichtbare, schwarz angelaufene Fingerabdrücke auf Ihrem Arm blieben.

Kortner liebte diese Szene. Und hasste die Brooks.

Aber sie alleine trägt den Film. Jede Emotion ist sichtbar, plastisch, zum Greifen nah und springt unmittelbar auf den Zuschauer über. Man nimmt ihr die Naivität, aber auch die Durchtriebenheit, mit der sie sich auf dem Seil bewegt, genauso ab wie ihre wahren Gefühle und ihre Hilflosigkeit, selbst ausgenutzt zu werden.

Sicher, Pabsts Regie ist außerordentlich und auf dem Zenit seines Schaffens. Im gleichen Jahr dreht er noch einen weiteren Film mit der Brooks und sogar den großartigen PIZ PALÜ mit Leni Riefenstahl. Ohne Pabst wäre der Film nur halb so gut geworden, er arbeitet das Drama unglaublich präzise heraus, weiß exakt, wo die Kamera zu plazieren ist und lässt Schatten und Licht in faszinierenden Kontrasten zueinander stehen.

Aber ohne die Brooks wäre der Film einfach nicht existent.

Die Büchse der Pandora Bild 1
Die Büchse der Pandora Bild 2
Die Büchse der Pandora Bild 3
Die Büchse der Pandora Bild 4
Die Büchse der Pandora Bild 5
Die Büchse der Pandora Bild 6
Die Büchse der Pandora Bild 7
Die Büchse der Pandora Bild 8
FAZIT:

Ein großartiger Höhepunkt der Filmgeschichte. Ein Film über die Macht der Verführung. Und ein Film für die Ewigkeit. Und wenn es nur die Ewigkeit einer Ikone ist. Oder die Ewigkeit Louise Brooks' Haarschnitt, der bis heute Kultstatus genießt und immer noch modern ist.

WERTUNG: 9 von 10 Begegnungen mit dem Schicksal im Londoner Nebel
TEXT © Marcel
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Gregor | 27.12.2011 12:48
Vielen Dank für die Vorstellung dieses Films! Muss ja gestehen, dass da bei mir noch eine echte Bildungslücke klafft. Bisher habe ich von Papst nur TAGEBUCH EINER VERLORENEN im Düsseldorfer Filmmuseum gesehen. Da hat mich das Charisma der Brooks auch schon dermaßen beeindruckt, dass ich mir gleich eine Fotogalerie mit der holden Dame angelegt habe...

Verspreche diese Lücke nun zu schließen, damit ich dann kompetent entscheiden kann, ob es sich bei "M" tatsächlich um den besten deutschen Film aller Zeiten handelt... ;-)

Dann bleibt aber immer noch die zweite, nicht minder brennende Frage: Sind wir eigentlich auch wirklich Papst?
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