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Die Nacht des Mörders

Die Nacht des Mörders

OT: Muri shinjù: Nihon no natsu
DRAMA: JAPAN, 1967
Regie: Nagisa Ôshima
Darsteller: Keiko Sakurai, Kei Satô, Tetsuo Ashida, Yoshiyuki Fukuda

STORY:

In einer heruntergekommenen Lagerhalle warten einige Männer darauf, dass sie zum Kampf in einem nicht näher definierten Bandenkrieg abberufen werden. Eher zufällig in deren Mitte geraten sind eine achtzehnjährige Nymphomanin und ein lebensmüder Mann. Gleichzeitig erschießt ein ausländischer Heckenschütze in der Stadt wahllos Leute. Letztendlich eskaliert die NACHT DES MÖRDERS in einer sinnlosen Orgie der Gewalt…-

KRITIK:

Das Backcover verspricht einen "Action-Thriller".

Doch darüber, ob es sich bei DIE NACHT DES MÖRDERS, einem wenig bekannten Werk aus dem umfangreichen Oeuvre des späteren IM REICH DER SINNE-Regisseurs Nagisa Ôshima, tatsächlich um einen solchen handelt, lässt sich wohl trefflich streiten. Actionfans und Hochspannungsjunkies dürften aber in der Regel etwas ganz anderes unter den Begriffen "Action" und "Thriller" verstehen als das, was DIE NACHT DES MÖRDERS im Angebot hat. Auch wenn im bleihaltigen letzten Drittel so gut wie der ganze Besetzungsstab sich in den Staub legen muss; das Sterben ist hier nüchtern und furztrocken in Szene gesetzt. Das heißt: keine Stunts, kein Budenzauber, kein Adrenalin, kein Pathos, keine Heldentode, kein Schnickschnack.

Aber freilich darf sich mit der dritten DVD aus dem Hause Polyfilm zu deren Japanische Meisterregisseure-Reihe auch eine ganz andere Klientel angesprochen fühlen. Nämlich interessierte Cineasten und die Anhänger des sozialkritischen, politischen, intellektuellen, aber auch provokanten japanischen Kinos der Sechziger. Also die Leute, die schon mit den vorangegangenen Werken Ôshimas DAS GRAB DER SONNE und SING A SONG OF SEX warm geworden sind.

Denn DIE NACHT DER MÖRDER aus dem Jahr 1967 steht den beiden genannten Filmen viel näher als dem Action- oder gar dem Thrillergenre; ist also ein weiterer kein Licht am Ende des Tunnels sehender Kommentar zur düsteren Lage der (japanischen) Nation seinerzeit. Unter dem Eindruck des Kennedy-Attentats und den Rassenunruhen in den USA der Sechziger geht Ôshima in vorliegendem Film sogar so weit, dass er ein Portrait Japans zeichnet, welches sich verdächtig nahe am Rande zur blutigen Anarchie bewegt.

In der NACHT DES MÖRDERS wollen alle zu den Waffen greifen; wollen die Umwälzung - nur allein fehlt es ihrer Revolution an Idealen. Was sich im letzten Akt des Films in einer haltlosen Tötungsorgie niederschlägt, wo beim besten Willen nicht mehr nachvollziehbar ist, warum A jetzt B erschießt und weshalb A danach eine Kugel von C einfängt, welcher gleich darauf vor die Flinte von D läuft, während E, F und G munter auf die Bullen ballern…

Vielleicht liegt der Sinn gerade in der Sinnlosigkeit der Gewalt, die sich völlig emotionslos quer durch das Schlussdrittel zieht. Um Missverständnissen vorzubeugen an dieser Stelle noch mal die Warnung an alle Anhänger des Heroic Bloodshed-Kinos, die beim letzten Satz eventuell Morgenluft gewittert haben: Die Schießereien in DIE NACHT DES MÖRDERS sind simpel und haben keine spektakulären Momente; es wird einfach geschossen und umgefallen…

Jetzt, wo wir das geklärt haben, kommen wir zur eigentlichen Essenz des Films und das ist das dialoglastige, in karge Bilder gehüllte Kammerspiel in der Lagerhalle, welches dem großen, sinnlosen Sterben vorangeht.

Und ja, das ist ein düsteres Szenario bar jeder Hoffnung; voll schwelender Gewaltbereitschaft und Todessehnsucht. Natürlich in Schwarz/weiß gedreht.

Eine triste Kulisse, die sich als zweischneidiges Schwert entpuppt. Einerseits unterstreicht sie die düstere, kaputte Grundstimmung des Films; andererseits kann aus ihr nicht die Bilderkraft eines GRAB DER SONNE entstehen. Zumal sich auch das Geschehen außerhalb der Lagerhalle in eher kargen Stätten abspielt - die einsame Straßen, eine Brücke, das verwaiste, ruinenhafte Stadtviertel, Schutthalden…

Die personifizierten Pendants dazu finden wir in dem Verschlag bei unseren abgestumpften Revoluzzern. Mit ihnen verbringen wir eine Stunde lang auf engstem Raum, aber sympathisch wird uns kaum jemand. Außer vielleicht das Mädchen, das als einzige Figur im Film so etwas wie Unbekümmertheit, Lebensfreude und Zuversicht ausstrahlt. Ihre Gefährten sind dagegen ein abgefuckter, desillusionierter Haufen von Mördern, Söldnern, potentiellen Mördern und Selbstmordkandidaten. Wenn am Ende die Kugeln fliegen, lässt das den Zuschauer ziemlich kalt, denn da sich keine Identifikationsfiguren herauskristallisiert haben, müssen wir uns auch um niemanden Sorgen machen…

Zumindest gilt dies für die männlichen Beteiligten. Nicht für die wunderbar spielende Keiko Sakurai, die unsere kleine Nymphomanin Nejiko verkörpert. Und nachdem wir bereits den Actionfans den Wind aus den Segeln genommen haben, müssen nun die Fleshhounds dran glauben. Auch wenn Nejiko aus ihrer Mannstollheit keinen Hehl macht; Hühnereiertricks aus dem REICH DER SINNE gibt sie nicht zum Besten. Ihre Figur zeichnet sich nicht durch Sexszenen aus -ihre Gefährten haben den Finger lieber an einem Abzug als an einer Frau-, sondern eher in deren konträr zum üblichen Bild der stillen, unterwürfigen Japanerin stehenden Charakter.

Sie zeigt sich als starke Frau, versteckt ihre Reize nicht und begegnet den Männern selbstbewusst. Neben Nejiko gibt es noch eine weitere hochinteressante, weil irgendwie bizarre Figur: Nämlich die des Amokschützen. Einer der seltsamsten Killer, der mir je untergekommen ist und einer in dem gewaltiges Interpretationspotential steckt.

Die Nacht des Mörders Bild 1
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FAZIT:

Die Lage der japanischen Nation in den 60ern? Nagisa Ôshima sagt wie immer: Beschissen wäre geprahlt! - Für das geneigte Publikum dürfte auch DIE NACHT DES MÖRDERS ein interessantes Artefakt des sozialkritischen japanischen Kinos sein und einige Kritiker sehen in diesem Film gar Ôshimas Meisterstück.
Eine Meinung, mit der ich persönlich als bekennender IM REICH DER SINNE-Fan nicht konform gehe. Die ganz starken Szenen sind diesmal etwas rarer gesät. Ebenso habe ich ein paar Identifikationsfiguren vermisst. Das dem letzten Gefecht vorangehende Kammerspiel ist düster, aber sperrig; die Actionelemente im düsteren Finale furztrocken und leider auch ziemlich unspektakulär. Eine Klasse für sich: Keiko Sakurai in der Rolle des unbekümmerten, mannstollen Teenagers, der sich eher zufällig an der Anarchistenfront wiederfindet… Und well, da ist dann noch Ôshimas Mut abseits der Norm Geschichten zu erzählen (oder besser: Zustände zu beschreiben) und dieser ausländische Heckenschütze…

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TEXT © Christian Ade
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