OT: Eyes Wide Open
DRAMA: IL/F/D, 2009
Regie: Haim Tabakman
Darsteller: Zohar Shtrauss, Ran Danker
Aaron ist ein orthodoxer Jude in Jerusalem. Nach dem Tod seines Vaters der Familienvater die koschere Fleischerei. Sein Alltag ist durchzogen von Routinen und Ritualen, die seine Religion vorgibt und er lebt in Harmonie mit seinem Glauben und seiner Gemeinschaft. Dies ändert sich, als er den jungen Herumtreiber Ezri als Gehilfen in seiner Fleischerei anstellt und sich eine leidenschaftliche Beziehung zwischen den beiden Männern entwickelt.
Es gibt ja heute kaum noch existentielle Dramen in der Liebe, entweder es ist eh alles gut oder es ist nicht mehr gut, dann trennt man sich und dann wird es wieder gut. Oder so ähnlich. Jedenfalls muss sich die Liebe - oder was auch immer - kaum noch gegen absolute Widerstände durchsetzen, Klassen- und ethnische Barrieren sind zum Glück nicht mehr die Hindernisse, die sie einmal waren und der universelle Lösungsansatz für alle Probleme besteht darin, darüber zu reden. Das funktioniert zwar nicht immer, aber die Möglichkeit steht einem zumindest immer offen. Eine Moral mit absoluten Werten wurde von einer Vereinbarungs- und Verhandlungsmoral abgelöst, was bessere Lebensbedingungen, aber weniger aufregende Geschichten für das Kino bedeutet.
Man muss schon in die fernere Vergangenheit oder ein in sich abgeschlossenes, von den Entwicklungen der modernen Welt unberührtes System blicken, um noch richtige Dramen zu finden. In diesem Film ist das abgeschlossene System das orthodoxe Judentum.
Mit kraftvollen schauspielerischen Darbietungen und einer die Enge und den Ausbruch daraus kongenial einfangenden Bildsprache erzählt der Regisseur Haim Tabakman die Geschichte des klassischen Konflikts Körper gegen Konvention, der Einzelne und seine Gefühle vs. die Gemeinschaft und ihre Regeln.
Wie streng alttestamentarische Strenge tatsächlich ist, kann man sich hier anschauen und ebenso, dass es Menschen gibt, die sich - bis zu einem bestimmten Punkt - scheinbar trotzdem gut in diesem System zurecht finden. Der Film gewährt neben der Schilderung der Beziehung zwischen den beiden Männern auch noch Einblicke in den Alltag eines orthodoxen jüdischen Ehepaares, angefangen von der klassischen Rollenverteilung über die Kleidervorschriften bis zum Auseinander- und Zusammenschieben der Betten, da ein Mann nicht mit einer menstruierenden Frau in einem Bett schlafen darf. Dabei wird dieses restriktive System durchaus als liebevoll ausgestaltet gezeigt, Aaron flüchtet nicht vor einer kaputten Ehe in eine Amour fou, sein Problem ist, dass auch ein angenehmes Leben nicht angenehm ist, wenn es nicht das Leben ist, das man führen will. "Ich war tot und jetzt lebe ich", sagt Aaron zu dem Rabbi, der ihn zur Rede stellt und darum geht's. Und die Frage, wie man seine Gefühle mit einer alles durchdringenden Religion vereinbaren kann und sich rechtfertigt vor einem allwissenden Gott...
Mutiges israelisches Kino erzählt die Geschichte einer Leidenschaft zwischen zwei Männern im orthodoxen Judentum und vom Konflikt zwischen Authentizität, Religion und Gemeinschaft. Mit guten Schauspielern und berührenden Bildern - poetisch, kraftvoll und wirkt noch lange nach.