GESELLSCHAFTSSATIRE/KRIMI: I, 1968
Regie: Roberto Faenza
Darsteller: Lino Capolicchio, Claudine Auger, Gabriele Ferzetti
Großindustriellensohn Luca zeigt wenig Ambition, den florierenden Familienbetrieb zu übernehmen, ist er doch mit Meditation, Sitar-Spiel, den Lehren Buddhas und dem Konsum entspannender Rauchwaren voll ausgelastet. Der gestrenge Papa schreckt selbst vor Entführung und Elektroschocktherapie nicht zurück, um den missratenen Filius zurück auf den Pfad der kapitalistisch verwertbaren Tugend zu bringen. Unterstützung kommt von der ebenso bildschönen wie undurchsichtigen Psychologin Carla Maria, die all ihre wissenschaftliche Expertise und Verführungskünste einsetzt, um den weltfremden Hippie zum gekämmten und gebügelten Geschäftsmann umzupolen. Mit Nebenwirkungen ist zu rechnen ...
ESCALATION ist das Spielfilm-Debut des italienischen Regisseurs, Autors und Universitätsprofessors Roberto Faenza. 1968 gedreht, also mittendrin in den nicht eben unbedeutenden gesellschaftlichen Umwälzungen dieser Zeit, funktioniert der Film als zeitgeschichtliches Dokument, aber auch als bittere Satire auf die aufkeimende Hippie-Kultur, deren Ideale von Love, Peace und spiritueller Erleuchtung nur wenige Jahre später, mit den Manson-Morden, auf brutalstmögliche Weise platzen sollten.
Von der Katerstimmung danach ist hier aber noch nichts zu spüren. ESCALATION ist eine gutgelaunte Gesellschafts-Groteske, die beschwingt vom Ennio Morricone-Soundtrack ihre ironischen Giftpfeile in alle erdenklichen Richtungen abfeuert: Naive weltfremde Hippies, autoritäre, patriarchalische Kapitalisten, rationalistische Technokraten und blind-fortschrittsgläubige Wissenschaftler, alle bekommen hier ihr Fett ab. Die Abwesenheit eines wirklichen Sympathieträgers macht es einem dabei allerdings nicht wirklich leicht. Zwischenfrage: Bin ich der einzige, der diesen kindischen Hippie-Clown am liebsten auf gut wienerisch gesagt spazieren gewatscht hätte?
Offenbar nicht. Wie sagt der Regisseur im Booklet so schön: "Der Unterschied zwischen mir und meinen Kollegen ist deutlich sichtbar. Die Werke dieser anderen Regisseure sind romantische Filme, in den Figuren spiegeln sie sich selbst wider, sie schauen mit Zuneigung und Nachsicht auf sie. In meinen Filmen gibt es für alle Figuren nur ein und dasselbe Maß: grausame Kritik."
So grausam ist der Film jetzt aber auch wieder nicht. Im Gegenteil: Auch wenn man in keine der Figuren wirklich hineinfindet und es die eine oder andere Länge zu überstehen gilt, ist der Film definitiv sehenswert, um nicht zu sagen ein Augenschmaus. Die Bilder: Ein Technicolor-Fiebertraum in stahlend restauriertem HD. Die Ausstattung: Psychedelisches Set-Design Marke IKEA auf Acid. Die Darsteller: Schöne Menschen in extravaganten Kostümen, die bizarre Dinge miteinander tun. Und die ausgesprochen reife und stilsichere Inszenierung des damals gerade einmal 25-jährigen Filmhochschulabsolventen Roberto Faenza.
Das neue Label FORGOTTEN FILM ENTERTAINMENT, bei dem die lieben Kollegen der Website italo-cinema.de involviert sind, macht seinen Namen alle Ehre und bringt diesen vergessenen Film in einer Form in die Regale, die wirklich keine Wünsche offen lässt. Neben den üblichen Extras (Interviews, Audiokommentar, Bildergalerien) liegt der Blu-ray eines der schönsten und informativsten Booklets bei, die mir jemals untergekommen sind. So und nicht anders sieht eine Veröffentlichung aus, die man ins Herz schließen kann. Besonders interessant: Die ausführliche Biographie von Regisseur Roberto Faenza. Der mir bislang völlig unbekannte Film COPKILLER (1983) mit Harvey Keitel und Ex-Sex Pistol Johnny Rotten wäre auch ein Kandidat für eine Veröffentlichung, meint ihr nicht, liebe Kollegen?
Der reiche Papa engagiert eine verführerische Psychologin, um den faulen Hippie-Sohn so lange gehirnzuwaschen, bis aus ihm ein geschnäuzter und gebügelter Business-Zombie wird. Das neue Label FORGOTTEN FILM ENTERTAINMENT holt diese knallbunte italienische Gesellschaftssatire von 1968, dem Jahr, in dem einiges eskalierte, aus der Versenkung. Eine aufwändige, liebevolle Blu-ray-Veröffentlichung, die man ins Herz schließen kann.
Eine Bemerkung zur Wertung: Für den Film selbst würde ich knappe 7/10 vergeben. Die Aufmachung der Blu-ray samt extrem umfangreichem & informativem Booklet verdient nichts Geringeres als die Höchstnote. Ergibt unterm Strich ...