HORROR/SATIRE: USA, 2016
Regie: Jordan Peele
Darsteller: Daniel Kaluuya, Allison Williams, Catherine Keener, Bradley Whitford
Kunstfotograph Chris ist seit fünf Monaten mit Rose zusammen. Irgendwann steht ein Besuch bei den Schwiegereltern in Spe an. Dass Chris schwarz ist, hat Rose ihren Eltern noch nicht gesagt. Warum auch? Ihre Eltern sind ja keine Rassisten, sondern aufgeklärte, liberale Obama-Wähler. Chris beschleicht dennoch ein ungutes Gefühl ...
Ohne viel zu verraten - im Gegensatz zum Trailer, der spoilert wie Sau (warum ich ihn trotzdem verlinke - ha, um die Menschheit zu erziehen, im Internet auch Texte zu lesen) - kann sich Chris auf den wohl furchtbarsten Schwiegereltern-Besuch der jüngeren Filmgeschichte einstellen.
Der Autor dieser Zeilen ist ja jemand, dem oberflächlicher, zwanghaft freundlicher Smalltalk-Horror mehr Angstschweiß bereitet als jeder Horrorfilm. Und diesbezüglich lässt GET OUT wirklich nichts aus. Man spürt förmlich Chris' Unbehagen und langsam hochkriechende Panik, als er einem reichen, weißen, ach-so kultivierten, charmanten und eloquenten Gast nach dem anderen vorgestellt wird.
Vielleicht hätte Chris den Titel des Films - Nichts wie raus hier! - schon viel früher beherzigen müssen. Ist es wirklich nur der Alkohol, der aus der plötzlichen Aggressivität des Sohnes spricht? Warum ist das Dienstpersonal schwarz? Warum verströmt das herrschaftliche Anwesen diese gespenstische Django-Unchained-Stimmung? Warum ist seine Hautfarbe überhaupt ein Thema? Lächerlich, denkt sich Chris, als sein verschwörungstheorie-affiner Freund von reichen Weißen erzählt, die sich Schwarze als Sexsklaven halten. Wirklich?
Man merkt dem Film an, dass Regisseur Jordan Peele hauptberuflich Comedy macht. Die Smalltalk-Konfrontationen sind messerscharfe, satirische Beobachtungen eines Alltagsrassismus, der jemanden, der selbst nicht betroffen ist, wohl gar nicht auffällt. Was Chris hier erlebt, ist kein vulgärer, rechtspopulistischer "Neger"-Hass. Niemand trägt hier weiße Kapuzen und stellt brennende Kreuze im Garten auf. Natürlich nicht, auch wenn der Film im tiefen Süden Alabamas spielt. Es handelt sich vielmehr um einen sehr subtilen, vermutlich sogar wohlmeinenden, positiv-diskriminierenden Rassismus. "Intellectualize my blackness" heißt ein alter Song von Skunk Anansie, der mir während des Films in den Sinn gekommen ist.
Bemerkenswert ist, wie virtuos der gelernte Comedian Jordan Peele dabei auf der Klaviatur des Horrorkinos spielt. Dass hinter aufgeräumten Fassaden das Böse besonders fröhliche Urstände feiert, ist ja nun wirklich keine Neuigkeit. Jeder zweite David Lynch-Film erzählt davon. Neu ist, dass es eine dezidiert linksliberale, Obama-wählende Vorzeige-Familie ist, von der hier die Bedrohung ausgeht. Billiges, populistisches Weißen- bzw. Bobo-Bashing kann man Jordan Peele allerdings nicht vorwerfen. Ich gehe nämlich davon aus, dass die Dialoge authentisch und aus dem echten Leben gegriffen sind.
"Jeder Schwarze kennt die Situation, in der sein weißes Gegenüber unermüdlich seine Liebe zu schwarzer Kultur und schwarzen Prominenten betont, um damit zu zeigen, wie wenig rassistisch er oder sie sei. Was aber natürlich die gegenteilige Wirkung hat. Aber vor allem teilen Chris und ich eine Grunderfahrung, die jeder Afroamerikaner kennt. Man erlebt Rassismus, doch das weiße Gegenüber leugnet ihn. Immer wieder sind wir es, die sich hinterfragen sollen, obwohl wir selbst das Opfer der rassistischen Worte oder Taten sind. Das ist ein ziemlich verstörendes, bisweilen traumatisierendes Gefühl. Fast entwickelt man diesbezüglich eine gewisse Paranoia, weil irgendwer immer behauptet, man würde sich den Rassismus einbilden. Chris wird aufgrund dieser Erfahrung zum idealen Protagonisten für einen Horrorfilm. Denn er hat dieses "schwarze" Gespür dafür, dass etwas nicht stimmt."
(Aus einem Spiegel-Interview mit Regisseur Jordan Peele.)
Suspense wird groß geschrieben, und mit einem brutalen Twist zieht einem der Regisseur sprichwörtlich den Boden unter den Füßen weg. GET OUT ist ein ausgesprochen spannender, unheimlicher Film, der seinen sensationellen finanziellen Erfolg in den USA definitiv verdient hat. OmU (was anderes ist, glaub ich, undenkbar) im Gartenbaukino.
So böse sind Obama-Wähler: Die in den USA sensationell erfolgreiche Horror-Groteske GET OUT seziert den Alltagsrassismus der liberalen Eliten. Beachtlicher, spannender und durchaus unheimlicher Film.