OT: Deux de la Vague
DOKUMENTATION: FRANKREICH, 2010
Regie: Emmanuel Laurent
Darsteller: Islid le Besco, Francois Truffaut, Jean-Luc Godard, Jean-Pierre Leaud
"Godard trifft Truffaut" erzählt die Geschichte der Freundschaft der beiden Regisseure, die das Kino revolutioniert haben, sich aber schließich durch ihre unterschiedlichen Aufassungen voneinander entfremdeten.
KRITIK:Wenn es über dieses Thema, wie ich vermute, nicht ohnehin schon zwanzig TV-Dokus im Fundus von Arte, 3Sat oder France 5 usw. gab, dann war dieser Film längst überfällig. Nicht weil dieser Film an sich so toll ist: Dokumentarfilme zu rezensieren ist generell ein bisschen schwierig, weil sie filmisch in den nur wenigsten Fällen interessant sind, sondern weil die Geschichte dahinter so toll ist, die man ja wohl kaum kommentieren (spoilern) möchte, weil man sich den Film ja sonst gleich sparen kann. Also liebe cinephile deutschsprachige Bevölkerung, vorliegender Film ist im Grunde eine 08/15-Dokumentation auf TV-Niveau, aber trotzdem ist sie Pflichttermin.
Warum soll uns dieser Schinken über zwei Regie-Opas interessieren, wo wir doch Terrence Malick, Paul Thomas Anderson, Lars von Trier und Quentin Tarantino haben, werdet ihr euch fragen. Weil die nur so gute Filme machen können, weil sie zuvor u.a. Godard und Truffaut studiert haben. Deswegen!
Was da in Frankreich in den 1960er Jahren passiert ist, war wohl einer der definierenden Momente des Film, dem Medium des zwanzigsten Jahrhunderts. Ganz im Sinne des berühmten Zitats, wonach "die Weltgeschichte aus Fußnoten der Lebensgeschichte großer Männer besteht", kann man die Geschichte der Nouvelle Vague und des modernen Kinos der 1960er Jahre an Jean-Luc Godard und Francois Truffaut festmachen.
Zuvor, in den 1950ern bildeten die beiden gemeinsam mit Claude Chabrol, Eric Rohmer und Jaques Rivettes, "die jungen Türken" (wie sie tatsächlich genannt wurden), die Redaktion der legendärsten Filmzeitschrift aller Zeiten, den "Cahiers de Cinema" (sozusagen das filmtipps.at aus den 50ern;-), wo sie literarische Ambitionen, Filmmanie und Leidenschaft unter der Aufsicht von André Bazin gekonnt unter einen Hut zauberten, eine eigene Stammleserschaft von Filmfreaks heranzüchteten und das Kino mit zur wichtigsten Kunstform der Epoche erhoben.
Sie interviewten und analysierten die großen Regisseure, Alfred Hitchcock, Orson Welles, Ingemar Bergman, Jean Renoir, Firtz Lang; pickten sich das Beste bei ihnen heraus und schufen somit ein neues Kino, das sie mit den Erfolgen von Truffauts und Godards Erstlingswerken ("Sie küssen und sie schlugen ihn" und "Außer Atem") auch endlich in die Tat umsetzen konnten, und das Weltkino damit nachhaltig veränderten.
Sie hatten nicht vor, den Regeln des klassischen Kinos zu gehorchen, sondern machten sich Gedanken wie man das Kino näher an die Menschen heranbringen könnte, wie man Männer, Frauen, Freiheit, Liebe, Sexualität, Krieg, Gewalt usw. filmte um es wahrhaftiger, echter und ehrlicher erscheinen zu lassen.
Dabei schufen sie eine neue inhaltliche wie formale (u.a. Jumpcut!) Ästhetik, welche die der aufkommenden 68er Bewegung, ihren Drang hinaus auf die Straße, ihr Bemühen die alten Strukturen zu zerbrechen, in Kleinform vorwegnahm. Es scheint, dass Kunst, Kultur, Politik und Wissenschaft in ihren jeweiligen Epochen sehr eng miteinander verbunden sind. "Nichts ist stärker, als eine Idee, deren Zeit gekommen ist", heißt es so schön.
Einstein und Picasso verschränkten gleichzeitig den Raum, ohne die Werke des jeweils anderen zu kennen, die Regisseure der Nouvelle Vague strebten nach Ehrlichkeit, Intimität, Revolte gegen das schwerfällige, tradierte und indoktrinierte Film-Establishment und nahmen dabei dabei durch ihre Bilder und das vermittelte Lebensgefühl vorweg, wie die revoltierenden Massen an Arbeitern und der Jugend gegen das poltische Establishment aufstanden und prägten die Kinoästhetik bis zum heutigen Tage.
Der aus armen Verhältnissen stammende Truffaut wurde mit der Zeit selbst Teil des Establishments, der großbürgerliche Godard hingegen immer abgehobener, politischer und kompromissloser. Der eine wollte das Kino verbessern und es unschuldiger machen, der andere es benutzen um Faschismus und Kapitalismus zu bekämpfen. Das konnte natürlich auf Dauer nicht gut gehen, nicht für die Freundschaft, und nicht für die Nouvelle Vague ...
Soviel zu den (oberflächlichen) Hintergünden, liebe Leser, für die Details kann ich nur sagen: Seht selbst...
"Godard triff Truffaut" ist wohl praktisch DIE Dokumentationen für Filmnarren. Sie erinnert uns daran, das Kino eben mehr sein kann als seichte Berieselung, dass es Menschen gab, die das Kino so sehr liebten, dass sie sich ganz unvoreingenommen Gedanken gemacht haben wie man dieses Medium einsetzen konnte um unsere Herzen und unseren Verstand zu bemühen und zu berühren, weil, wie Godard einmal sagte "Kino Wahrheit sei, 24 mal in der Sekunde". Diesen Film also keinesfalls versäumen!!!
Im Wiener Top-Kino.