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Gradiva

Gradiva

OT: Gradiva (C´est Gradiva qui vous appelle)
DRAMA/EROTIK/MYSTERY: Belgien, 2006
Regie: Alain Robbe-Grillet
Darsteller: James Wilby, Arielle Dombasle, Dany Verissimo, Farid Chopel

STORY:

Dem Orientalisten John Locke (James Wilby) werden in Marrakesch Dias mit überwiegend erotischen Zeichnungen zugespielt, die aus einem verschollenen Skizzenbuch des Malers Eugène Delacroix stammen sollen. Viele Bilder zeigen Delacroix´ einstmalige Sklavin und Geliebte Gradiva, die von dem Künstler später hingerichtet wurde. Mysteriöser Weise begegnet John Locke in der Stadt immer wieder einer geheimnisvollen Frau (Arielle Dombasle), die erstaunlich der Gradiva gleicht. Die Geschichte von Delacroix und Gradiva ist Locke auch deshalb nicht sehr fern, da er selbst eine Art von Beziehung mit seiner Dienerin Belkis (Dany Verissimo) führt. Doch je mehr der Forscher das Geheimnis um Gradiva zu ergründen versucht, desto mehr verschwinden die Grenzen zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart und zwischen Traum und Realität.

KRITIK:

Als der bis dahin ausschließlich als Schriftsteller tätige Alain Robbe-Grillet sein erstes Drehbuch verfasste, wurde der fertige Film LETZTES JAHR IN MARENBAD (Alain Resnais, 1961) gleich eines der wichtigsten und zugleich rätselhaftesten Werke der Filmgeschichte. Obwohl sich zahllose Interpreten an einer Entschlüsselung des sperrigen Meisterwerks abgearbeitet haben, hat der Film bis heute sein absurdes Geheimnis bewahrt. Nach diesem fulminanten Einstieg in die Filmwelt - LETZTES JAHR IN MARIENBAD gewann unter anderem den Goldenen Löwen in Venedig und das Drehbuch erhielt eine Oscar-Nominierung - drehte Robbe-Grillet sehr bald selbst Filme wie TRANS-EUROP-EXPRESS (1967), EDEN AND AFTER (1970) und DIE SCHÖNE GEFANGENE (1983). All diese Filme sind ähnlich komplex und rätselhaft wie LETZES JAHR IN MARIENBAD, doch im Gegensatz zu der Verfilmung von Alain Resnais wirken Robbe-Grillets eigene Regiearbeiten noch intellektueller und noch kälter. Alain Robbe-Grillet sagt selbst, dass es das Verdienst von Resnais war, eine Wärme in den Film hineinzubringen, die in dem von ihn geschriebenen Drehbuch nicht enthalten war.

GRANDIVA (2006) ist die zwei Jahre vor dem Tod des Künstlers entstandene letzte Regiearbeit von Robbe-Grillet. Der Film basiert auf der gleichnamigen Novelle des Deutschen Autors Wilhelm Jensen aus dem Jahr 1903. Das Buch "Gradiva" war das erste Werk der Literatur, zu dem Sigmund Freud eine psychoanalytische Deutung verfasste. Alain Robbe-Grillets bis heute wenig beachteter letzter Film unterscheidet sich von seinen vorherigen Regiearbeiten unter anderem dadurch, dass in GRADIVA genau die Art von Wärme enthalten ist, die seinen vorherigen Regiearbeiten abgeht. Filme wie EDEN AND AFTER haben bei aller Faszination, die von ihnen ausgeht immer etwas Formelhaftes, dass sie immer ein wenig wie zwar sehr ausgeklügelte intellektuelle Übungen, aber vielleicht nicht ganz wie ausgereifte Kunstwerke erscheinen lässt. GRADIVA vereinigt einerseits eine ganze Fülle an Themen aus den vorherigen Filmen Robbe-Grillets, ist erstaunlicherweise jedoch zugleich zugänglicher, als jene. Vielleicht liegt hier die Ursache dafür, dass der Film bis heute ein wenig im Schatten seiner bekannteren Vorgänger steht.

Der von James Wilby gespielte Orientalist John Locke ist ein intellektueller Kunstliebhaber und das leicht erkennbare Alter Ego des Regisseurs. Locke verkörpert das rationale, während die ihm in jeder Form zu Diensten stehende Belkis (Dany Verissimo) ganz ihren Gefühlen folgt. Zu Beginn ist Belkis zwar sehr verschlossen und geht auch gerne mal auf ihre Art auf Opposition zu ihrem Herren. Doch im Verlaufe der Handlung öffnet sie sich und beginnt echte Gefühle für John Locke zu entwickeln. Im Gegensatz zu Belkis wirkt die von Arielle Dombasle dargestellte Gradiva/Leila recht spröde und unterkühlt. Leila ist fast wie eine weibliche Ausgabe des Autors. Sie ist eine Schriftstellerin, die gerade die Handlung schreibt, die der Film GRADIVA zeigt. In sofern ist sie ein Widerhall des Schriftstellers in TRANS-EUROP-EXPRESS, der ebenfalls den gerade laufenden Film schreibt und umschreibt. Aber vielleicht ist Leila auch jemand, der die Fähigkeit hat, sich als Gradiva in die Träume verschiedener Menschen zu begeben. So genau kann man das nicht sagen, schließlich ist dies ein Robbe-Grillet-Film.

Das Spiel mit verschiedenen Wirklichkeitsebenen ist eine Konstante im Werk des Künstlers. GRADIVA treibt dieses Spiel in verschiedener Hinsicht noch auf die Spitze. So sind in den Film immer wieder Ausschnitte aus EDEN AND AFTER eingestreut. Das ist die dritte Verwertung dieses Filmmaterials, nachdem Robbe-Grillet L´ÉDEN ET APRÈS zuvor bereits zu N. A PRIS LES DÉS... umgeschnitten hatte. Dieses alte Bildmaterial passt und passt nicht in den neuen Film. Von der gestalterischen Seite her sind die Szenen aus EDEN AND AFTER im Vergleich zu den neuen Szene in GRADIVA fast klinisch kalt und steril. Inhaltlich handelt es sich zumeist um Traumsequenzen sadomasochistischer Gewalt, die dem Marquis de Sade sicherlich auch Freude bereitet hätten und die sich in ähnlicher Art im neuen Bildmaterial von GRADIVA ebenfalls gehäuft finden. Es darf vermutet werden, dass es sich bei dieser Thematik um eine persönliche Obsession Alain Robbe-Grillets handelt. Nicht umsonst stammt die Romanvorlage zu Radley Metzgers expliziten BDSM-Klassiker THE IMAGE aka THE PUNISHMENT OF ANNE (1975) von einer gewissen Jean de Berg, einem Pseudonym hinter dem sich Alain Robbe-Grillets lebenslange Ehefrau Catherine Robbe-Grillet verbirgt.

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Gradiva Bild 8
Gradiva Bild 9
FAZIT:

Alain Robbe-Grillets viel geschmähter letzter Film GRADIVA ist wesentlich besser, als sein Ruf. Das surreale Erotikdrama ist ein würdiger Schwanengesang und markiert einen letzten Höhepunkt im an Höhepunkten reichen Werk des Drehbuchautors von LETZTES JAHR IN MARIENBAD.

WERTUNG: 9 von 10 "Je ne sais pas monsieur!"
TEXT © Gregor Torinus
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