OT: Jigoku shôjo
ANIME/HORROR: JAPAN, 2005
Regie: Takahiro Omori
Darsteller: -
Sie werden schikaniert, gedemütigt? Jemand lässt keine Gelegenheit aus, um Ihnen oder einer Ihnen nahestehenden Person Schaden zuzufügen? Vielleicht werden Sie auch erpresst, verfolgt oder jemand hat Ihnen etwas Wertvolles gestohlen oder gar jemanden in den Tod getrieben, den Sie lieben. Stellen Sie sich vor, jemand tut Ihnen andauernd Unrecht, doch Sie sind zu schwach, um sich zu wehren oder rächen. Trotzdem hassen Sie diesen Jemanden so abgrundtief, dass Sie ihn buchstäblich zum Teufel wünschen. Wenn dies so ist, kann Ihnen geholfen werden! Haben Sie schon vom "Hell-Link" gehört? Diesem mysteriösen Internet-Dienst, der sich nur Punkt Mitternacht aufrufen lässt? Nicht? Na, dann googeln Sie mal danach! Um Mitternacht! Wenn Sie Glück haben (oder Pech- je nach dem), wird sich der "Hell-Link" öffnen und ihnen wird die einmalige Gelegenheit geboten, schreckliche Rache an Ihrem Peiniger zu nehmen ...
KRITIK:Geben Sie hierzu einfach dessen Namen in eine dafür vorgesehene Zeile ein und drücken Sie auf "Send". Ihre E-Mail wird direkt im Briefkasten der Hölle ankommen und eine freundliche Mitarbeiterin in leitender Stellung, das HELL GIRL herself, wird Ihnen umgehend einen Besuch abstatten und Ihnen eine schwarze Strohpuppe mit einem um den Hals gebundenen roten Band überreichen. Wenn Sie diese Schleife lösen, dann wird Ihr Pakt mit der Hölle wirksam. Dann werden sich das HELL GIRL und ihre drei mysteriösen wie gespenstischen Erfüllungsgehilfen um Ihren Feind kümmern und diesen mit sofortiger Wirkung in die Ewige Verdammnis schicken.
Geld kostet dieser Handel mit dem Teufel nicht. Kostenlos ist er freilich auch nicht. Denn wer immer die Schleife löst, bezahlt gleichfalls mit seinem Seelenheil. Auf den "Hell-Link"-Nutzer warten - Zitat unseres Höllenmädchens "You will never know the Joys of Heaven..." - ebenfalls die Qualen der Hölle. Freilich erst nachdem die reguläre Lebensuhr abgelaufen ist. Und da dem Menschen Rache süß ist, zahlen im Laufe dieser Horror-Reihe so ziemlich alle Beteiligten diesen hohen Preis nur allzu gerne!
So mit diesem kleine Werbetext für die Ich-AG des HELL GIRL sollte wohl auch klar sein, dass das HELL GIRL nicht etwa die kleine Schwester vom HELLBOY ist; auch wenn der auch aus der Hölle kommt und seinen Ursprung in einem Comic hatte.
Des Weiteren ist das HELL GIRL trotz langen schwarzen Haaren und glühenden Augen nicht unbedingt die Anime-Version moderner J- Horror-Heroinen wie etwa jenen aus RING oder JU-ON. Erst ganz am Ende der 26 Episoden und fette 635 Minuten umfassenden ersten Staffel mutiert Ai Enma (so der bürgerliche Namen der Titelfigur) vom leisen, melancholischen Höllenengel zu einem unversöhnlichen Rachegeist, der dann wirklich der RINGschen Sadako ziemlich nahe kommt.
Auch wenn immer mal wieder die Stilmittel aus den vorgenannten japanischen Real-Horrorfilmen verwendet werden und ein Todesfluch praktisch in jeder Folge ausgesprochen wird, hat man hier mitnichten einen animierten RING-Klon vor sich. Dafür konzentriert sich die Reihe zu sehr auf die tragischen Vorspiele dieser Flüche. Die Ungerechtigkeiten und Demütigungen, die eine Person (meistens ein junges Mädchen) zu diesem letzten, verzweifelten Schritt treibt, sind stets wichtiger Bestandteil einer HELL GIRL-Folge.
Was uns gleich zu einem der raren, aber auch zum größtem Kritikpunkt bringt, den man dieser düsteren, herrlich (morbide) gezeichneten Anime-Serie von Schöpfer Hiroshi Watanbe und Regisseur Takahiro Omori zur Last legen kann. Der werte Kollege und Anime-Kenner Andreas hat mich schon vorgewarnt und gemeint, dass das HELL GIRL ziemlich "repetiv" sei. Und das hat Andreas scharf beobachtet. Hier wird beim munteren Verfluchen Abwechslung nicht gerade großgeschrieben. Das HELL GIRL und ihre drei Mitarbeiter haben ihre Richtlinien und an die wird sich strikt gehalten.
Ähnliches gilt für die Drehbücher der einzelnen Episoden. Im ersten Drittel werden wir Zeuge von den meist hundsgemeinen Schikanierungen, Verrätereien und Erniedrigungen, die das bedauernswerte Opfer schließlich vor den Computer treibt, um zu sehen, ob an dieser urbanen Legende des Höllenlinks tatsächlich etwas dran ist. Um Mitternacht wird dann der Link aktiviert und das HELL GIRL bekommt Post. Sie schlüpft in ihren Höllenkinomo, besteigt die Höllenkutsche und reist in die Welt der Lebenden, um mit der designierten Fluchaussprecherin die vertraglichen Modalitäten zu besprechen und noch einmal -fair ist frau ja!- ausdrücklich aufs Kleingedruckte hinzuweisen.
Im zweiten Drittel zaudert die Schikanierte etwas und wägt ab, was mehr wiegt: Rache oder Seelenheil? Diese Frage wird dann zumeist vom Peiniger geklärt. Der mit einer noch infameren Gemeinheit für den berühmten Tropfen sorgt, der das Fass zum Überlaufen bringt. Der Faden wird gelöst, der Schlussakt beginnt. Das HELL GIRL und ihre höllischen Helfer treten auf den Plan. Der Feind bekommt mit übernatürlichem Psychoterror einen Vorgeschmack auf die Qualen der Hölle, bis er schließlich in letztere vom HELL GIRL persönlich geschippert wird.
Das Opfer kann nun den Rest seines Lebens ohne Schikanen und im Bewußtsein der vollendeten Rache unbehelligt verbringen; ist aber mit einem Mal an der Brust gebrandmarkt. Dieses schwarze Zeichen erinnert daran, dass irgendwann auch auf den Fluchaussprecher die Hölle wartet. Ob dass die Genugtuung der Vergeltung wert war, bleibt im Raum stehen und so ganz unbe-HELL-igt ist man indirekt ja dann wohl doch nicht.
Ob ihres gleichförmigen Verlaufs bleiben viele der nach etwas verhaltenen Einstieg stärker werdenden Geschichten häufig den Überraschungseffekt schuldig, so dass sich schnell Eintönigkeit, wenn nicht sogar Langeweile einstellen könnte. Doch Fans des HELL GIRL (und die hat sich die gute(?) Ai ob ihrer Atmosphäre, Morbidität und der prächtigen Musikuntermalung auch redlich verdient) könnten darin aber auch ein lieb gwonnenes Ritual sehen.
Zumal das Schema immer dann etwas geändert wird, wenn sich das Rezept der Episoden auf fatale Weise abzunutzen droht. Als Beispiel sei dafür die Folge "The Woman in the Tall Tower" genannt und natürlich noch mehr der Serieneintritt (ab Episode 8) des Reporters Shibata und seiner kleinen Tochter, die in einer seltsamen telepathischen Verbindung mit dem HELL GIRL zu stehen scheint. Mit diesem neuen Handlungsstrang durchbricht die Serie erstmals die Souveränität ihrer Folgen und schafft sich einen folgenübergreifenden, roten Faden, der sich bis zum Ende der hier besprochenen ersten Staffel durchziehen wird.
Aber auch hier werden Kritiker nicht ganz zu unrecht mokieren, dass die Geschichte um die weit in die Vergangenheit reichende Verbindung zwischen den Shibatas und dem Höllenmädchen Ai lange, lange auf der Stelle tritt und sich erst im furiosen Schlussdreiteiler am Ende der ersten Staffel auflöst. Und dann sich auch kontrovers und ernsthaft mit dem Thema Rache, Schuld und Sühne auseinandersetzt.
Damit ist die Geschichte des HELL GIRL aber immer noch nicht zu Ende erzählt. Der hier besprochenen ersten Staffel, die dennoch einen relativ abgeschlossenen Eindruck hinterlässt, folgten noch zwei weitere umfangreiche Seasons. In diesem Sinne heißt es also bald wieder: "Oh pitiful shadow lost in the darkness, bringing torment and pain to others. Oh damned soul wallowing in your sin. Perhaps it is time to die ..."
Die Hölle hat einen Internet-Dienst, den die Verzweifelten und Gepeinigten in Anspruch nehmen, wenn sie Schikanen und Ungerechtigkeiten nicht mehr ertragen können. Dann kümmert sich das HELL GIRL persönlich um die Peiniger. Doch der Preis ist hoch...
Dann und wann schleicht sich tatsächlich Routine und Eintönigkeit in die wenig abwechslungsreichen Fluch- und Rachefeldzüge des HELL GIRL und deren gespenstischen Mitarbeiterstab. Doch da sind auch die morbiden und atmosphärisch gestalteten Geschichten, die erhabene Melancholie des Höllenmädchens und vor allem dieser wirklich fulminante Score, der mittlerweile völlig zu Recht seinen verdienten Platz auf nicht weniger als fünf Soundtrack-CDs gefunden haben.