OT: In This World
SEMIDOKUMENTARISCHES DRAMA: UK, 2002
Regie: Michael Winterbottom
Darsteller: Jamal Udin Torabi, Enayatullah
Enayat, der Sohn eines Elektronikhändlers und Jamal, ein afghanischer Waise leben in Peschawar (Pakistan). Die Stadt am östlichen Ausgang des Chaiber-Passes gehört zu jenen Städten mit der höchsten Flüchtlingsrate weltweit. Mit der Aussicht auf ein besseres Leben in London, nehmen die Beiden eine beschwerliche und vor allem eine gefährliche Reise auf sich...
Gegenwertig sind weltweit über 50 Millionen Menschen auf der Flucht (Quelle: UNHCR). Das ist die höchste Anzahl an Flüchtlingen seit dem zweiten Weltkrieg. Wenn auch schon 2002 entstanden, erscheint IN THIS WORLD also zeitgemäßer denn je. Da eine authentische Dokumentation zu dieser Thematik wohl kaum möglich gewesen wäre, entschied sich der britische Regisseur Michael Winterbottom (JUDE, THE ROAD TO GUANTANAMO, THE TRIP) dafür, einen semidokumentarischen Spielfilm zu drehen, um die Geschichte möglichst realistisch erscheinen zu lassen.
Deshalb wurden die beiden Hauptdarsteller direkt in Peschawar gecasted. Nicht nur ihre ethnische Herkunft - beide sind Paschtunen - sondern ebenfalls ihr improvisiertes Spiel führen in der Tat zu einer gewissen Art von Authentizität. Generell gehört die schauspielerische Leistung - ausnahmslos alle Darsteller sind Laien und spielen sich teilweise quasi selbst - mit zum Besten was der Film zu bieten hat. In vielen figuralen Szenen verschwimmt die Grenze zwischen Realität und Fiktion dermaßen stark, sodass man wirklich den Eindruck hat, eine Dokumentation zu sehen.
Auf diesen Sinneseindruck zielt auch das laut Angaben der Macher äußerst knappe Drehbuch ab. Dieses soll auf realen Erfahrungsberichten basierende Handlungsabläufe beinhalten und sich im Laufe der Dreharbeiten durch Gespräche mit Flüchtlingen ständig weiter entwickelt haben. Mehrfach trägt dieser Umstand aber weniger zu einer authentischeren Erzählweise, als vielmehr zur Verwirrung des Publikums bei. Oftmals denkt man noch über eine Begebenheit nach, während sich der Film schon inmitten einer anderen befindet. Zeit das Gesehene zu verarbeiten, hat man kaum.
Man sagt, manchmal müsse die Wahrheit zur Fiktion werden damit sie gedacht werden könne. Genau hier sehe ich das größte Problem von IN THIS WORLD. Von Anfang an begleitet die Kamera und somit der Zuschauer die Protagonisten nur, verstehen kann sie/es diese aber nicht. Die Fiktion wird zugunsten des "Realen" zurück gedrängt. Mit Off-Kommentaren und Landkarten soll dem Publikum eine reale Welt in einem fiktiven Film präsentiert werden. Eine reale Welt in der sich ständig und fortwährend menschliche Schicksale ereignen. Dramen die so schrecklich sind, dass sie vom Verstand kaum erfasst werden können. Die "reale" Kamera Winterbottoms kann sie zwar erfassen, aber erzählen kann sie sie nicht. Die filmische Fiktion hätte es vielleicht gekonnt.
So aber werden lediglich Bilder gezeigt, die zwar augenblicklich wirken, alsbald aber wieder im Dunkeln des Verstands verschwinden. Was bleibt ist die Erinnerung an Geräusche, Geräusche der Verzweiflung, Geräusche des Klopfens, Geräusche eines langsam schwächer werdenden Atems. Das bedrückende Dunkel eines Frachtcontainers ist jenes Nichtbild, das sich ins Gedächtnis brennt. Im Schwarz des Containers werden die Qualen der Flüchtlinge laut, ihre Stimmen aber bleiben stumm.
IN THIS WORLD ist der Versuch in semidokumentarischer Form auf die Leiden von Flüchtlingen aufmerksam zu machen. Hier hat er sich vielleicht sogar den Friedenspreis der Berlinale verdient. Während jedoch die Pseudoauthentizität der Bilder Überhand nimmt, gerät die erzählerische Kraft der Fiktion ins Hintertreffen. Man sollte sich vom Goldenen Bären nicht allzu sehr täuschen lassen, filmisch ist dieser nicht gerechtfertigt.