OT: Hannie Caulder
WESTERN: GB, 1971
Regie: Burt Kennedy
Darsteller: Raquel Welch, Robert Culp, Ernest Borgnine, Christopher Lee ua.
Drei nicht mehr ganz traufrische, aber agile Banditen-Brüder flüchten nach einem Banküberfall vor einer etwas lächerlich aussehenden, rosarote Unterhosen tragenden Gruppe Soldaten übers Land und durch die Wüste.
Auf einer Pferderanch mitten in der Einöde erschießen sie einen gewissen Jim Caulder, vergewaltigen seine Frau Hannie und zünden vor ihrem Wegritt noch die Farm an.
Hannie überlebt verletzt und gedemütigt. Sie sinnt auf Rache.
Kurz darauf freundet sich die vom Schicksal gebeutelte Frau mit einem sympathischen Kopfgeldjäger an, der ihr den Umgang mit dem Revolver beibringen soll...
Ein britischer Western, der gemeinhin als naher Verwandter des Italowestern gehandelt wird und mit Namen wie Raquel Welch in der Hauptrolle sowie Ernest Borgnine (u.a. bekannt aus Das schwarze Loch, "Klapperschlange" und diversen 80er Jahre TV-Serien) und Christopher Lee im Cast aufwartet, hat mich natürlich neugierig gemacht.
Die wenigen Reviews, die man im Netz dazu findet, hinterließen bei mir den Eindruck, dass man als Italowestern-Fan nicht viel falsch machen kann mit dem Kauf von "Hannie Caulder". Außerdem soll der Film laut diversen Kommentaren einen feministischen Aspekt haben. Die weiblichen Hauptrollen sind im Westerngenre sehr rar und ein Rape and Revenge Film im Gewand eines Westerns kann ja nicht so schlecht sein. Oder?
Um mit dem Positiven zu beginnen: die Kameraeinstellungen, Landschaftsaufnahmen (spanische Almería), Kostüme und Kulissen können mit mittelmäßigen bis guten Italowestern locker mithalten. Raquel Welch ist eine optische Augenweide und der exzentrische Kopfgeldjäger Thomas Luther Price, der vermutlich eine Inspiration für die Figur des Dr. King Schultz im Sklavendrama Django Unchained (nein, es ist kein Italowestern!) war, ist ein cooler Charakter.
Ich hätte nie gedacht, dass ich mal so etwas schreibe und es klingt jetzt vielleicht blöd, aber: Die Pferde wurden auch gut gecastet!
Diesen Satz lasse ich jetzt einfach mal so stehen ...
Der Regisseur Burt Kennedy (bei dem Namen beinahe überflüssig, hinzuzufügen, dass er Amerikaner ist) wollte vermutlich mal so richtig die Sau raus lassen. Schon in den ersten Minuten gibt es viel Blutsuppe zu sehen. Der rote Saft spritzt bei jedem Schuss in hohem Bogen durch die Gegend und erinnert irgendwie an "Lady Snowblood" oder andere Samurai-Filme.
Die Vergewaltigungsszenen sind nicht von der grausamen Intensität wie bei einem "I Spit on your Grave" (1978), aber für die damalige Zeit drastisch und dramatisch inszeniert. Leider büßt der Film an dieser Stelle dann recht bald an Glaubwürdigkeit ein, wenn Hannie zwar etwas ramponiert und splitterfasernackt unter ihrem Poncho, aber immer noch sexy aussehend aus dem Haus torkelt.
Es wurde sehr darauf geachtet, dass Frau Welch einfach den ganzen Film über immer hübsch und adrett aussieht. Und das in jeder Lebenslage. Egal, ob nackt unterm Poncho oder in Hosen. Ihr langes Haar trägt sie stets offen, was für eine Revolverheldin ziemlich unpraktisch ist. Besonders am Ende, wo ein Wind weht und sie ständig die Haare im Gesicht hat. Dafür wird sie ja auch beinahe erschossen...
Sie lernt zwar den Umgang mit dem Schießeisen und wird eine relativ brauchbare Schützin, benötigt dafür aber vergleichsmäßig länger als ihre männlichen Kollegen wie zum Beispiel der Lehrer in Faccia a Faccia oder der Protagonist in "Silver Sattle".
Um auf das in Zusammenhang mit dem Film häufig bemühte Feminismus-Thema einzugehen: Nur weil es um eine Frau geht, die übrigens zuerst Opfer werden muss, bevor sie auf die Idee kommt, in die Männerdomäne der Revolverhelden einzutauchen, ist das noch lange nicht feministisch oder revolutionär.
Im Gegenteil: Trotz vielem Üben benötigt die gute Hannie bei jeder Schießerei immer noch die Hilfe von männlichen Kollegen, die ihr dann auch noch das Leben retten müssen, weil sie schlichtweg überfordert ist mit dem, was sie tut. Außer gut aussehen kann sie nicht viel. Aber genau das kommt ihr zugute und die Männer, die von ihr angetan sind, helfen ihr bei der Umsetzung ihres Racheplans. Wenn das Feminismus wäre, dann hätten Frauen immer noch kein Wahlrecht oder würden zumindest einen Mann an ihrer Seite haben, der ihnen zeigt, wie und wo man das Kreuzchen beim Wahlzettel setzt.
Christopher Lee als Waffenschmied und seines Zeichens Experte auf diesem Gebiet wirkt ganz sympathisch, aber blass. Er wohnt mit seinen Kindern und angeblich auch einer Frau (von der er nicht spricht und die man nicht zu Gesicht bekommt) irgendwo in der Einöde Mexikos. Price und Hannie suchen ihn auf, um eine für die lernwillige Witwe maßgeschneiderte Frauenpistole (!) zu ergattern und in Ruhe Schießübungen zu machen.
Die drei diebischen und skrupellosen Brüder, von denen nur einer einen IQ von über 60 zu haben scheint, sollen mit kauzigen Dialogen für lustige Momente sorgen. Tun sie aber nicht.
"Hannie Caulder" befindet sich irgendwo auf dem schmalen Grat zwischen seichtem Exploitationkino und ernst zu nehmender Geschichte. Leider gelingt der Balanceakt nicht. Das Drehbuch wirkt sehr konstruiert und der Film schafft es trotz erstklassigen SchauspielerInnen nicht, Emotionen zu wecken.
Wenn man das Italowestern-Genre bereits abgegrast hat, kann man mal zu Ergänzung und Horizonterweiterung einen Blick riskieren. Wenn nicht, sollte man seine Zeit für bessere europäische Western aufwenden.