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Leave the World Behind

Leave the World Behind

DRAMA: USA, 2023
Regie: Sam Esmail
Darsteller: Julia Roberts, Mahershala Ali, Ethan Hawke, Farrah Mackenzie

STORY:

Eine New Yorker Familie aus der oberen Mittelschicht (Julia Roberts, Ethan Hawke, Farrah Mackenzie, Charlie Evans) gönnt sich einen Luxusurlaub auf Long Island. Ein bisschen Ruhe von der Hektik, ein bisschen Strandleben, Familie etc. Kleinere Sachen fangen an zu nerven. Zum Beispiel fallen das Internet und das Telefonnetz aus.

Und dann kracht ein riesiger Öltanker ohne zu bremsen in den Strand, auf dem Familie gerade noch in der Sonne gedöst hat. Kurz danach kommt der Eigentümer des Luxushauses, das die Familie gemietet hat (Mahershala Ali) mit seiner Tochter (Myha'la Herrold) und berichtet, dass es in New York einen totalen Stromausfall gebe, weswegen er leider hier nächtigen müsse. Die beiden Familien beschnuppern einander misstrauisch, aber immer mehr erschreckende Hinweise deuten darauf hin, dass da nicht ein paar Kids Hacker spielen, sondern etwas weite Größeres im Gange ist. Und etwas viel Schlimmeres ...

KRITIK:

Sam Esmails Weltuntergangs-Film ist nichts für Leute, die atemlose Action sehen wollen. Hier kommt die Apokalypse in kleinen, langsam größer werdenden Schritten, und wir sehen sie durch die Sicht gewöhnlicher Menschen. Trotz der mysteriösen Elemente ist das auch nicht wirklich ein Mystery-Thriller, sondern mehr eine Kritik am Verdampfen des Kitts, der die US-amerikanische Gesellschaft bislang mühsam zusammengehalten hat.

Es geht hier auch nicht darum, warum die Katastrophe geschieht und wer dahintersteckt, sondern, was von einer Figur sogar direkt angesprochen wird, um den Aspekt der Selbstzerstörung von Gesellschaften, eine Selbstzerstörung, die ein möglicher Angreifer dann bloß noch triggern muss.

"Leave the World Behind" ist eine Art nicht satirische Version von "Don't Look Up!" und eine Spur zu gut gemeint, sammelt aber Pluspunkte mit einer fantastischen Besetzung und einem rührenden, wenn auch sicher für manche unbefriedigenden Ende.

Minuspunkte gibt es für die über weite Strecken schwammige Positionierung des Films zwischen Mystery-Thriller, Schwarzer Komödie und Moraldrama sowie für einige allzu irreale Dinge, die da passieren.

Da der Film als Warnung vor dem Zerfall demokratischer Gesellschaften von innen heraus verstanden werden kann, wiederhole ich gerne, was ich seit Jahren versuche, begreiflich zu machen. Die Feinde der Demokratie, und von denen gibt es nicht wenige und sie haben massig Mittel, wissen genau, was unser großer Schwachpunkt ist bzw. die Bruchstelle, an der sie ansetzen können: Der Konsens über die Wirklichkeit.

Wenn Rechte, um ein Beispiel zu nehmen, gegen die gleichgeschlechtliche Ehe sind und Progressive bzw. Linke dafür, dann können beide Seiten darüber streiten und vielleicht zu einer Einigung gelangen. Wenn Rechte über Progressive oder Linke aber denken: "Das sind lauter Teufelsanbeter und Kinderschänder, die uns auf Anordnung jüdischer Außerirdischer und Echsenwesen ausrotten wollen", wie soll dann aus Sicht dieser Rechten irgendeine Form von Kompromiss, ja auch nur Zusammenleben noch möglich sein?

Umgekehrt trifft das natürlich auch zu. Wenn für mich jeder, der rechts von meiner Position steht, ein "Nazi" ist, dann kann ich mit dem natürlich nicht koalieren oder sonst wie zusammenarbeiten. Und ja, mir ist völlig bewusst, dass es Nazis wirklich gibt, Echsenwesen aus dem Weltraum, die unsere Gesellschaftspolitik bestimmen wollen, aber nicht, doch darum geht es gerade nicht. Es geht um Fakten. Faktisch richtig ist, dass nicht mal ansatzweise alle Rechten Nazis sind. Zu viele, aber in Wahrheit (noch?) eine Minderheit.

Es geht um den Verlust der gemeinsamen Basis. Die Anzeichen sind leider allerorten zu sehen, verstärkt seit Covid, als große Teile der Rechten beschlossen, Wissenschaft nicht mehr anzuerkennen (und auf der "linken" Seite z.B. in der Genderfrage, wo teilweise Biologie geleugnet wird). Wenn wir uns aber nicht mehr in unserer großen Mehrheit darüber einig sind, dass Lungenerkrankungen gefährlich sind, Impfungen vor Krankheiten schützen und es tatsächlich biologische Geschlechter gibt (neben den sozialen, gell), wird es eng mit der Demokratie. Genau deswegen reiten die Feinde der Demokratie ja auch so versessen auf diesen und ähnlichen Themen herum. Sie wissen, dass die Bude sturmreif ist, sobald wir uns nicht mehr darüber halbwegs einig sind, was real ist und was nicht.

Leave the World Behind Bild 1
Leave the World Behind Bild 2
Leave the World Behind Bild 3
Leave the World Behind Bild 4
FAZIT:

Sam Esmail, bekannt durch die Verschwörungsserie ?Mr. Robot?, lässt auf Netflix die Welt untergehen. Dass Barack und Michelle Obama als Produzent:innen involviert waren und wohl einiges an Insider-Wissen mit eingebracht haben dürften, erhöht den Beklemmungsfaktor dieses Films, der letztlich von der Selbstzerstörung demokratischer Gesellschaften handelt.

WERTUNG: 8/10
TEXT © Bernhard Torsch
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