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Lost in Beijing

Lost in Beijing

DRAMA: CN, 2007
Regie: Li Yu
Darsteller: Tony Leung Ka Fai, Fan Bingbing, Tong Dawei

STORY:

Ping Guo und ihr Mann An Gun sind vom Land "geflüchtet" um in Peking ein neues Leben anzufangen. Sie arbeitet in einem Massagesalon, wo sie eines Tages von ihrem Chef vergewaltigt wird. Als sie dann auch noch schwanger wird, gerät ihre Welt völlig aus den Fugen.

KRITIK:

Dieser Film wurde in China verboten. Aus fadenscheinigen Gründen. Er sei verdorben und pornografisch. (Man sieht einmal eine halbe Frauenbrust und ein paar Glückspielszenen.) Zuerst kam eine gekürzte Fassung ins Kino, aber im Vorfeld der olympischen Spiele will man jedes bisschen schiefe Optik vermeiden. Jetzt werden sogar die DVDs zurückgeholt.

Die ersten zwanzig Minuten hat man das Gefühl, man sitzt in einer (ernsten) Sexklamotte. Ping Guo treibt's mit ihrem Mann An Gun. Dann wird ihre beste Freundin aus dem Massagesalon rausgeworfen. Sie besaufen sich. Sie geht betrunken in die Arbeit, wo sie ihren Chef anmacht, der darauf anspringt. Irgendwann kommt sie dann drauf, dass das gar nicht ihr Mann ist und aber da lässt sich der Chef nicht mehr abbringen und vögelt sie trotzdem.

An Gun, der Fensterputzer ist, schaut genau in dem Augenblick beim Fenster rein und erwischt die beiden. Zuhause streiten die beiden und treiben es dann wieder um ihre Aggressionen abzubauen. Da der Chef nichts zahlen will, geht An Gun zu dessen Frau und erzählt ihr alles. Diese meint, es passt ihr nicht, dass ihr Mann rumvögelt, aber sie halte dennoch zu ihm. Also bietet sie ihm an mit ihr zu vögeln, so können sie sich beide rächen und sie tun es. Zu allem Überfluss kommt dann auch noch raus, dass Ping Guo schwanger ist...

Wenn man das einmal hinter sich hat, die Figuren sozusagen in Stellung gebracht wurden, kippt der Film auf einmal völlig in die Tragödie um. Alle vier extrem gut gespielte und sehr komplexe Protagonisten taumeln zwischen systematischer Selbstzerstörung und erbarmungslosen Schicksalsschlägen.

Die Essenz des Films findet sich in einem beiläufigen Satz, der im Krankenhaus gesprochen wird: M1278 ist nicht der Vater von C6739. Zahlen, Faktoren, Menschen als Güter, Sex als Zahlungsmittel. Die ganze Welt scheint nur noch aus finanziellen Werten zu bestehen. Sogar Schmerz wird in Geld aufgewogen, die Seele völlig vergessen.

Der Kapitalismus frisst seine Kinder, denn fast hat man das Gefühl, die Protagonisten sind Kinder. Sie haben es noch weniger in der Hand als wir, sie können überhaupt nicht umgehen mit dieser neuen Welt und diesen neuen Gesetzen des Marktes, weil sie sie nicht hinterfragen, sondern sich diesen Gesetzen radikal vereinfachter Marktmodelle fügen.

Die Menschen werden so zu Taschenrechnern, die nur auf ihren kurzfristigen Erfolg aus sind und entsprechende Transaktionen durchführen, indem sie mit sich selbst und ihren Körpern handeln. Auf lange Sicht bedeutet das ihren Untergang, aber keiner erkennt das und keiner schafft, es aus diesem Kreis auszubrechen.

Als vorsichtiger Zuseher, mit dem Bewusstsein dafür, dass man diese fremde Kultur nicht beurteilen sollte, da man sie womöglich nicht ganz versteht, denkt man sich die meiste Zeit, das kann doch nicht wahr sein was man da sieht. Man hat fast das Gefühl, dass die Menschen ihr furchtbares Schicksal selbst heraufbeschwören. Aber dann ertappt man sich bei dem Gedanken, dass wir das alle tun, ob Chinesen, Russen, Europäer oder Amerikaner.

Nichtsdestotrotz, wenn das eine Bestandsaufnahme der heutigen chinesischen Kultur war, dann hat diese Gesellschaft noch einen weiten Weg vor sich. Kein Wunder, warum man diesen Film aus dem Verkehr gezogen hat, denn er vermittelt ein Bild, das die Partei sicher nicht wahrhaben möchte. Es bleibt nur zu hoffen, dass der Film gerade dadurch im Untergrund weite Kreise ziehen kann und zumindest einige Menschen zum Nachdenken bringen wird.

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FAZIT:

Ein äußerst schmerzhaft anzusehendes, zeitgenössisches Drama aus China, das Einblicke in eine Gesellschaft gewährt, deren Mitglieder eingeengt zwischen einem übermächtigen freien Markt und einer autoritären politischen Führung agieren wie ein sprichwörtlich in die Ecke gedrängtes Tier.

WERTUNG: 8 von 10 Fußmassagen
TEXT © Ralph Zlabinger
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