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GOOD MOVIES FOR BAD PEOPLE
Mommy

Mommy

DRAMA: Kanada, 2014
Regie: Xavier Dolan
Darsteller: Anne Dorval, Antoine-Olivier Pilon, Suzanne Clément

STORY:

Steve ist eine unfassbare Krätze von einem Sohn - aufbrausend, ordinär und aggressiv. Und dennoch, seine verwitwete, arbeitslose Mutter Diane 'Die' liebt ihn über alles. Und auch Steve liebt seine Mutter. Das hindert ihn aber nicht daran, ihr gegenüber regelmäßig komplett auszurasten. Eines Tages tritt die geheimnisvolle, ausnehmend schüchterne Nachbarin Kyla in das Leben der beiden. Und obwohl alle äußeren Umstände dagegen sprächen, wachsen die drei Außenseiter zusammen und alles wendet sich fürs Erste zum Besseren.

KRITIK:

Ich habe es an dieser Stelle schon mal erwähnt: ich verehre Xavier Dolan über alles. Erst im Herbst 2014 war in unseren Kinos sein Thriller Sag nicht, wer du bist zu sehen - ein Film der nicht annähernd die Resonanz erreichen konnte, die ihm gebührt hätte. Ganz anders nun der noch vor Ende 2014 nachgelegte "Mommy", der in Cannes den Preis der Jury gewann.
Mit "Mommy" arbeitet sich Dolan erstmals nicht an einem Gender-Thema ab. Ähnlich wie in seinem Debutfilm I Killed My Mother steht eine Mutter-Sohn-Beziehung im Zentrum des Films, die allerdings - ganz anders als im ersten Film - von bedingungsloser Liebe geprägt ist.

Dolan setzt die Handlung in einem fiktiven Kanada an, in dem von der neuen Regierung ein Gesetz erlassen wurde, das es Eltern ermöglicht, ausnehmend verhaltensgestörte Kinder der Obhut von Krankenhäusern zu überlassen. Eine Option, die für Die allerdings nicht in Frage kommt. Auch wenn sie, die nie einen Beruf erlernt hat und seit dem Tod von Steves Vater alleinstehend ist, kaum selbst über die Runden kommt. Also nimmt sie ihren mit ADHS diagnostizierten Sohn nach einem erneuten Zwischenfall im Jugendheim wieder zu sich. Weil sie ihn liebt. Und auch er liebt seine Mutter abgöttisch.

Liebe, das ist der kleinste gemeinsame Nenner in dieser Kleinstfamilie, die nun versuchen muss, wieder zusammen zu wachsen. Doch auch wenn beide bereit sind, alles füreinander zu geben, so steht dem immer und immer wieder Steves psychische Störung im Weg, die so weit geht, dass er seine Mutter körperlich bedroht.

Eines Tages jedoch taucht ein rettender Engel in Gestalt der Nachbarin auf. Kyle ist offenbar traumatisiert, wirkt zerbrechlich und bringt kaum ein Wort über ihre Lippen. Und doch erobert sie die Herzen der beiden im Sturm. Selbst verheiratet und Mutter einer kleinen Tochter, verbringt sie von da an scheinbar mehr Zeit bei Die und Steve als bei ihrer eigenen Familie. Und so ungleich das neue Dreiergespann scheint, so gut tun sie einander. Miteinander scheinen sie so etwas wie Glück gefunden zu haben. Schließlich dehnen Steves Hände bei einem gemeinsamen Ausflug plötzlich die Enge des quadratischen 1:1 Formats des Films in die gesamte Breite der Leinwand und sorgen damit für einen der ganz großen Kinomomente. Denn mit diesem an sich simplen visuellen Meisterstück wird schlagartig auch für den Zuseher spürbar, wie frei diese Drei sich in eben diesem Moment fühlen und wie beklemmend ihre Leben davor für sie waren.

Auch sonst schwelgt Dolan in Stilmitteln, die er meisterhaft beherrscht wie kein anderer. Er dehnt scheinbar unbedeutende Szenen nahe der Unerträglichkeit aus bis sie beinahe einen hypnotischen Sog erreichen. Er arbeitet mit Zeitlupen wie es außer ihm nur der große Martin Scorsese kann. Er schöpft aus dem Musikkatalog und reiht Pop, Trash, Klassik, Rock und Schlager mit einer dermaßenen Selbstverständlichkeit aneinander und komponiert damit Szenen, die mitreißend, erschütternd, hinreißend und beglückend zugleich sind. Und so erwischt man sich dabei, dass man bei einem Celine Dion Song erstmals im Leben Gänsehaut und bei einer Andrea Bocelli Nummer Tränen in den Augen hat.

Währenddessen kämpfen Die, Steve und Kyla sowohl gemeinsam als auch jeder für sich voller Leidenschaft um ihre ganz spezielle Form der Kleinfamilie, probieren alles, um das Glück festzuhalten. Ein Kampf, der Dank der famosen Schauspieler in jeder Sekunde glaubhaft und ergreifend ist. Ob das Dies Mutterliebe ist oder ihre aufrichtige Freundschaft zur so ungleichen Kyla. Ob das Steves liebenswerter Kern ist, der trotz seiner erschreckenden und gefährlichen Tobsuchtsanfälle immer wieder durchscheint - er hat tatsächlich das Charisma, mit dem Die beim Ersten Treffen mit Kyla erklärt, warum er trotz seines Verhaltens ein guter Junge ist. Und schließlich Kyla, die sich dem Zuseher nie ganz erschließt und bis zum Schluss rätselhaft bleibt, und zwischen deren Zerbrechlichkeit immer wieder auch eine Stärke und Robustheit aufflackert, die erklärt, warum sie Die und Steve so viel Respekt abringen kann.

Nachdem Dolan nun im Alter von 25 Jahren mit "Mommy" bereits Meisterwerk Nummer 6 abgeliefert hat, wage ich kaum zu hoffen, was da noch kommen mag.

Mommy Bild 1
Mommy Bild 2
Mommy Bild 3
Mommy Bild 4
Mommy Bild 5
FAZIT:

Ein alles andere als leicht zugänglicher Film. Ein überlanger, spröder Film. Der bei seiner Sprödheit dennoch voller Pathos und Gefühl ist. Der das Herz nicht im Sturm erobert, sondern langsam, dafür aber nachhaltig. Ein Film, der alle Mühen mehr als wert ist.

WERTUNG: 9 von 10 Mix-CDs
Dein Kommentar >>
Bernhard | 31.12.2014 12:56
Viel zu viele gute Filme. Glaub der geht sich heuer leider nicht mehr aus :)
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Harald | 30.12.2014 14:32
Toll geschrieben wie immer, aber das mit dem Celine
Dion-Song kann ich dir nicht glauben, das
übersteigt einfach mein Vorstellungsvermögen ;-)
Monika | 30.12.2014 14:43
Ich schwöre!
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