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Pi

Pi

EXPERIMENTALFILM: USA, 1998
Regie: Darren Aronofsky
Darsteller: Sean Gullette, Mark Margolis, Ben Shenkman

STORY:

Das Mathematik-Genie Max Cohen (Sean Gullette) ist besessen von Zahlen. Er glaubt die Natur anhand von Zahlen erklären zu können. Seine Vermutung: Hinter allem Natürlichen steckt eine Struktur die berechnet werden kann. Somit könne die Welt mit Zahlen verstanden und erklärt werden. Er stößt bei seinen Berechnungen auf eine geheimnisvolle 216-stellige Zahl. Der Schlüssel die Welt zu verstehen? Mehrere Gruppen werden auf ihn aufmerksam. Unter anderem eine Wall-Street-Firma und religiöse Juden. Cohen leidet schon seit Jahren an starken Kopfschmerzen. Je näher er der Lösung des Geheimnisses der mysteriösen Zahl kommt, desto stärker werden die Schmerzen, hinzu kommen seltsame Halluzinationen ...

KRITIK:

Pi beginnt bei dem Ursprung allen menschlichen (natürlichen) Seins, bei den elementaren Fragen die uns alle umtreiben: Wer sind wir? Was wollen wir hier? Wo gehen wir hin? und die vermutlich wichtigste Frage: Was, verdammt nochmal, soll das alles hier?

Darren Aronofsky schickt das Mathematik-Genie Max Cohen auf einen fiesen Trip und lässt dem Zuschauer dabei keine andere Wahl, als sich mitreissen zu lassen. Irgendwann kommen einem beim Betrachten unweigerlich diese Fragen in den Kopf, sie spuken darin herum, so wie irgendwas (oder irgendwer) sein Unwesen in Cohens Kopf treibt.

Und auch in seiner Rechenmaschine, seinem Computer Euclid (nebenbei bemerkt: ein griechischer Mathematiker), macht sich irgendwas zu schaffen. Wie ein vergifteter Gedanke, der sich in Cohens Kopf eingenistet hat, die Idee die Welt anhand von Zahlen erklären zu können, so nisten sich auch kleine Ameisen in Euclid ein. Wie kleine Monster zerstören sie diese riesige Rechenmaschine und legen sie völlig lahm. Das Natürliche bahnt sich seinen Weg. Für mich bleibt der Vergleich nicht aus, die Ameisen mit den Mensch gleich zu setzten, die auf der Welt ihr Unwesen treiben und sie immer mehr lahm legen. Aber das nur am Rande.

Pi ist gerade so aktuell wie nie zuvor. Cohen sucht nacht Strukturen im Natürlichen, nach einem Muster, das alles und jedes erklärt. Er ist eine einsame Gestalt, zieht sich von der Welt zurück, die ihn vielleicht überfordert. Die meiste Zeit verbringt er in seinem Apartment, das mehr wie eine kleine enge Kammer anmutet. Zugestellt mit Technik, dunkel und unwirklich. Wie ein Bunker, in dem er sich von der Außenwelt versteckt, von der vergifteten Welt, die ihm keine Fragen auf seine Antworten gibt. Diese fremde Welt, die er sich zu erklären versucht, nicht mit Wärme und Verständnis, nicht mit Liebe und Zuneigung, mit keinem menschlichen Gefühl, sondern mit nüchternen Zahlen, mit klaren Strukturen und mathematischen Regeln.

Wir leben in einer Zeit in der sich jeder von uns nach einer Erklärung sehnt, nach Strukturen die uns Halt geben, nach Antworten auf die essentiellen Fragen. Die Welt wächst immer mehr zusammen und zerbricht daran. Unsere Wirtschaft steht auf wackeligen Beinen, wir wissen nicht wohin mit dem ganzen Atommüll und gerade heute wurde die Marke der 7 Milliarden Menschen überschritten. Unsere Probleme sind hausgemacht und immer noch zerstören wir uns und unsere Umgebung weiter durch einen nicht endenden Egotrip.

Und die Antwort auf die Sinnfrage bleibt aus. Einige von uns suchen Trost in der Religion, andere in der Nüchternheit. Doch alle wollen wir eine Erklärung, eine Struktur, eine Ordnung des Chaos. Max Cohen scheint eine Lösung gefunden zu haben: Eine 216-stellige Zahl als Antwort auf alle unsere Fragen? Ist diese Zahl der Schlüssel zum Weltverständnis? Eine Wall-Street-Firma ist genauso an dem Geheimnis interessiert, wie religiöse Juden. Um in feinster kapitalistischer Manier weiter Geld damit zu scheffeln, oder um ins Paradies zu gelangen, der Ursprung ist ein Egotrip. Jeder hat die ultimative Wahrheit für sich gepachtet.

Der Versuch Cohens mit einer Struktur, mit einem übergeordneten System, die Welt zu erklären basiert auf einer reinen kühlen mathematischen Kalkulation. Doch vielleicht ist diese 216-stellige Zahl der göttliche Funke, der unserer Welt erst Leben einhaucht? Max Cohen dreht sich im Kreis, so wie wir alle. Der Kreislauf des Lebens, die Kreiszahl Pi, der goldene Schnitt, natürlich in der Welt verankert, in der Natur. Bei dem Versuch in alledem einen Sinn zu finden muss man scheitern. So wie Cohen. Die einzige (Er-)Lösung scheint im Nichtwissen zu liegen. Dafür entscheidet sich auch der Hauptdarsteller, um nicht daran zu verzweifeln und kaputt zu gehen (wie schon sein Mentor).

>> Spoiler: Cohen entschließt sich bewusst und unter dem Druck der immer stärker werdenden Schmerzen zu einem drastischen Schritt: Sich selbst, mit einem Bohrer, ins Gehirn zu bohren, um erlöst zu werden. << Spoiler Ende.

Die Bildästhetik des Films ist großartig. Für mich als alten David Lynch Fan drängt sich der Vergleich mit Eraserhead auf. Fantastisch grobkörnige Schwarz-Weiss-Aufnahmen, die mich doch sehr an die finstere Maschinenwelt aus Eraserhead erinnern. Für Max Cohen scheint die Welt ein kühler Ort zu sein und so versucht er sie auch kühl und nüchtern zu erklären. Auch Henry aus Eraserhead lebt in einer kühlen Welt, die von Maschinen geprägt ist (von Technik), nichts Natürliches.

All das spiegelt sich in der Ästhetik des Films wieder. Dunkel und düster wie die Thematik selbst ist auch die Optik. Die Besessenheit von Max Cohen, die sich in seinem Kopf manifestiert und ihn zu (vielleicht göttlichen, religiösen) Halluzinationen treibt macht auch die Enge des Films aus. Die Enge im Gedankenspiel und die Enge des Raumes selbst. Der kleine technisierte Bunker, in dem er lebt. Und seine Welt erlebt. Die Dichte des Films und des Themas, die Eingeschränktheit der menschlichen Existenz, verdichtet sich auch im gesamten Erscheinungsbild.

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FAZIT:

Eines steht für mich fest: Pi ist ein Gedankentrip, der tief rein geht, wenn man sich drauf einlässt. Wer das Risiko nicht scheut sich darin zu verlieren, der wird die Welt ein bisschen anders betrachten. Darren Aronofsky hat mit Pi einen verstörend schönen Film geschaffen, der viele Fragen stellt und auch einige Antworten gibt. Sean Gullette als Max Cohen ist großartig in der Rolle des paranoiden Mathematik-Genies.

WERTUNG: 9/10
TEXT © Nicky
Dein Kommentar >>
Schwuppe | 05.11.2011 15:01
Eine Seele besitzt der Film meiner Meinung nach, wenn er mich emotional mitreißt. Das war bei Pi nicht der Fall. Und Requiem for a Dream ist ähnlich, da hat nur Ellen Burstyn was rausgerissen. Das hat aber auch dann schon fast wieder genervt, genauso wie der Soundtrack. Requiem versucht auf Teufel komm raus dramatisch zu sein. Bei The Wrestler geschieht das viel subtiler, was vor allem auch an Mickey Rourke liegt.
Und Pi hat dann so gut wie gar nichts, aber auch gar nichts zu bieten als vielleicht eine mysteriöse Story und 'ne gute Kameraarbeit. Das ist unterm Strich viel zu wenig. Pi hat man einmal gesehen und dann auch schon wieder vergessen.
nicky | 06.11.2011 13:48
was hälst du von The Fountain?
Schwuppe | 06.11.2011 22:27
Noch nicht gesehen.
nicky | 07.11.2011 00:42
Dann würd ich ihn dir echt empfehlen, wenn du in Aronofskys Filmen nach Seele verlangst.
Andreas | 07.11.2011 10:03
...oder nach unsäglichem, widerlichem kitsch.
nicky | 07.11.2011 12:32
der ansatz war nicht schlecht, aber leider wirkt es tatsächlich oft kitschig.
>> antworten
Schwuppe | 03.11.2011 16:46
Pff, dann habt ihr alle nicht "The Wrestler" gesehen. Banausen!
Schwuppe | 03.11.2011 16:48
Ach ja: 9/10 für "The Wrestler".
Und übrigens auch der einzige Film von Aronofsky, der sowas wie eine Seele besitzt. "Pi" und Co. sind reinster Style-over-Substance-Quatsch.

Pi: 6/10
nicky | 04.11.2011 13:09
He, ich hab The Wrestler gesehen, aber für mich lassen sich die beiden Filme gar nicht miteinander vergleichen. Was verstehst du denn unter Seele? Für mich besitzen all seine Filme Seele, sie behandeln nur ein anderes Thema. Gerade in Pi geht es um die kühle Kalkulation, um Mathematik, um eine Berechnung, also verdichtet sich das auch durch den gesamten look des Films.
>> antworten
Andreas | 02.11.2011 08:41
Ganz großartiger Film. Sicher auch Aronofsky's Bester. Bleibt nur noch zu erwähnen, dass der Soundtrack auch total cool zu den Bildern passt.
(8 von 10 Gehirnbohrungen)
Marcel | 02.11.2011 11:36
Ja, Aron's bester. Zumindest zusammen mit Requiem. Ebenfalls 8/10.
>> antworten