FANTASY: USA, 2023
Regie: Yorgos Lanthimos
Darsteller: Emma Stone, Willem Dafoe, Marc Ruffalo, Ramy Youssef
Die junge schwangere Frau (Emma Stone) ist des Lebens überdrüssig und springt in die Themse. Ein Chirurg (Willem Dafoe), der auf den total bescheidenen Namen God hört, zieht sie aus dem Wasser und holt sie ins Leben zurück. Einen experimentellen hirnchirurgischen Eingriff später springt Bella mit dem Wesen eines Kleinkindes und dem Körper einer erwachsenen, sexuell erwachten Frau durchs Mad Scientist-Labor, wo es ihr bald zu eng und zu langweilig wird. Bella zieht es hinaus in die große weite Welt, nach Lissabon, Nordafrika und Paris. So viele Abenteuer, so viel zu erleben - und so viele Männer. Schöne Männer, hässliche Männer, wohlerzogene Männer, stinkende Männer, einfühlsame Männer, grausame Männer, armselige Männer, poor things eben ...
Wenn ein (Arthouse)-Film schon Monate vor seinem Kinostart wie verrückt gehyped und zum besten, über alle Maßen großartigsten Werk der mindestens jüngeren Filmgeschichte erklärt wird, bin ich schnell mal skeptisch. Natürlich nicht aus irgend einer doofen Distinktionshaltung heraus, sondern weil sich der Hype schon oft genug als übertrieben erwiesen hat. Für mich zumindest. Schlagt mich, aber ich fand THE LIGHTHOUSE, THE BANSHEES OF INSHIRIN, TRIANGLE OF SADNESS oder zuletzt BARBIE eh ganz ok. Aber halt keineswegs so überirdisch super, wie alle tun.
Und siehe dar, auch POOR THINGS, der neue, allseits frenetisch gefeierte Film des griechischen Regie-Exzentrikers Yorgos Lanthimos, erweist sich nicht als ganz so "formidable", wie die Jubelberichterstattung verspricht. Aber der Reihe nach.
Wer liebt Lanthimos' Filme nicht? Von seinem schmerzhaften Debüt DOGTOOTH (2009) über die weirde - nennen wir sie mal "romantische Komödie" - THE LOBSTER (2015), die wirkt, als hätte sich Woody Allen auf bösen Drogen mit Michel Houellebecq und Franz Kafka in einem Pick-up-Seminarhotel aus der Hölle getroffen. Bis zum verstörenden Drama THE KILLING OF A SACRED DEER, wo Colin Farrell und Nicole Kidman um ihr Leben spielen und Barry Keoghan (ja, genau, der aus SALTBURN) für Albträume sorgt. Finsterer, morbider Humor war immer präsent im Werk von Lanthimos, auch in der Historienfilm-Groteske THE FAVOURITE (2018).
Aus eben diesem Film hat Lanthimos die viktorianischen Kostüme und die Fischaugen-Kamera (ich weiß nicht ob, das der filmtechnisch korrekte Begriff ist) mitgebracht. Und natürlich die fantastische Emma Stone, die bitte alle Oscars dieser Welt gewinnen soll für das, was sie hier aufführt: Man stelle sich "Weird Barbie" oder besser "Nymphomanic Barbie" in einer Performance der entgrenzten Choreografin Florentina Holziger vor, wo Guillermo del Toro die Kulissen gestaltet hat. Klingt "arg", oder? Man kommt aus dem Staunen gar nimmer raus, was mittlerweile im Kino wieder möglich ist, allen aufgeregten Diskussionen um "male gaze" und "Cancel Culture" zum Trotz.
Ja, POOR THINGS ist ein seeehr sexlastiger Film, bei dem die Intimacy Coordination Überstunden ohne Ende gemacht haben muss. Privattheorie meinerseits dazu: Seit bei angloamerikanischen Filmen Intimitätskoordination - also quasi Stunt-Choreographie für Sexszenen - verpflichtend vorgeschrieben sind, ist wieder mehr nackte Haut und Sex im Film möglich, selbst im Mainstream und mit A-List-Stars. Weil sich die DarstellerInnen beim Dreh sicher fühlen können, und auch die Produktion abgesichert ist. Wenn schwierige, körperlich fordernde (Nackt)-Szenen vorher mit der Intimacy Coodination geprobt werden, kann auch niemand nachträglich behaupten, von der Regie zu Szenen gedrängt worden sein, die man eigentlich nicht machen wollte.
Klingt doch alles sehr gut, oder? Aber warum hast du dann eingangs gesudert, fragt sich die aufmerksame Leserschaft jetzt gerade zu Tausenden. Nun denn: Yorgos Lanthimos packt einfach so viel in seinen Film hinein, dass er irgendwann unter der Last der Referenzen, Querverweise und philosophischen Exkurse - nein, nicht zusammenbricht, aber doch zu ächzen beginnt. Es schleichen sich Längen ein - no na bei 140 Minuten Laufzeit. Und er ist leider auch nicht frei von ästhetischen Fragwürdigkeiten. Die Fischaugen-Optik ist ein netter Gimmick, wird aber überstrapaziert. Und bei den grotesken, in ausgesucht giftigen Farben erstrahlenden Landschaftskulissen fragt man sich: Ist das noch Tim Burton auf narrischen Schwammerln oder schon Midjourney mit Augenkrebs?
Anyway, das ist letztlich Jammern auf hohem Niveau. Man verlässt den Kinosaal im Wissen, vielleicht nicht den besten, aber den exzessivsten und freizügigsten Film des Jahres gesehen zu haben. Wenn man so will, die Quersumme aus RE-ANIMATOR (sollte man kennen), FRANKENHOOKER (muss man nicht unbedingt kennen) und - ja, tatsächlich: BARBIE. Weniger als 8/10 Punkte trau ich mich einem Lanthimos-Film sowieso nicht zu geben.
Emma Stone als "Nymphomanic Barbie" im Mad Scientist-Labor von Willem Dafoe und Mark Ruffalo als Ron Jeremy. Unzählige "Must-be-seen-to-be-believed"-Momente in einem letztlich doch etwas zu langen, überladenen und ästhetisch - nun ja: eigenwilligen - Film-Monstrum des immer unberechenbaren griechischen Regisseurs Yorgos Lanthimos.