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GOOD MOVIES FOR BAD PEOPLE
Sirat

Sirat

DRAMA: F/E, 2025
Regie: Óliver Laxe
Darsteller: Sergi López, Stefania Gadda, Jade Oukid

STORY:

Ein Mann sucht seine Tochter, die bei illegalen Raves in der marokkanischen Wüste verschwunden ist. Er schließt sich einer Gruppe nomadisierender Raver an, die Richtung Süden wollen, zum nächsten Festival, "irgendwo in der Nähe von Mauretanien". Der Weg dorthin führt durch staubige Wüstenstraßen, Berge, Kriegsgebiete und wird zu einer traumatisierenden Erfahrung ...

KRITIK:

... und das ist noch ein Euphemismus. Aber dazu später mehr.

Der Film beginnt damit, wie Männer mitten in der Wüste eine Wand von Subwoofern aufbauen. Es ist Nachmittag, die Sonne brennt vom wolkenlosen Himmel herab, und Dutzende, Hunderte Menschen bewegen sich ekstatisch im Takt der Beats und wummernden Bässe. Am Anfang wähnt man sich in einer Dokumentation über eine eigenwillige Subkultur: Regisseur Óliver Laxe hat zehn Jahre lang in Marokko gelebt, und mit echten Ravern, Laiendarstellern also, gedreht, deren Vertrauen er erst einmal gewinnen musste. Das sind keine glamourösen Party-People, sondern Outcasts, Aussteiger, radikale Technofans vorgerückten Alters, die ihre Verletzungen, mental wie physisch, nicht verstecken.

Dieser verschworenen Gemeinschaft, die in umgebauten Lastwägen die Wüste durchqueren, auf der Suche nach Partyplätzen, bewusstseinserweiternden Pflanzen und letztlich sich selbst, schließt sich ein verzweifelter Mann, Luis heißt er, an. Er sucht seine Tochter, die auf einem dieser Raves in der Wüste verschwunden ist. Sein Sohn und der treue Familienhund begleiten ihn, und der Minivan macht nicht unbedingt den Eindruck, als würde er die Fahrt über steinige Wüstenpisten lange überstehen.

Von Anfang an liegt eine entschieden unbehagliche Stimmung über dem Geschehen. Raves in der Wüste - woran denkt man da? Auch aufgrund der Vorberichterstattung, wonach dieser Film ans Eingemachte gehe, an die Grenzen des Erträglichen und Darstellbaren, hatte ich die ganze Zeit die Befürchtung, dass er auf ein Islamisten-Massaker wie am israelischen Nova-Festival hinauslaufen würde (zumal im Hintergrund diesbezüglich alarmierende Nachrichten-Fetzen aus dem Radio zu vernehmen sind).

Nein, das befürchtete Massaker tritt nicht ein. Erleichterung aber auch nicht. SIRAT ist eine dieser filmischen Grenzerfahrungen, die noch lange nachwirken. Am Ende war es totenstill im Kino. Und so manche Kinnlade ist auf Kniehöhe gekippt ob des nervenzerfetzenden Schreckens, der sich da in der letzten halben Stunde auf der Leinwand ausbreitet. Der Film handelt von den Schrecken der Realität, von dem, was man Conditio Humana nennt, der grundsätzlichen Tragödie des menschlichen Seins.

Und das Verblüffendste dabei: Es passieren eben keine Gewalttaten, kein Sadismus, keine Gräuel, wie sie uns in den Nachrichten täglich um die Ohren gehaut werden. Das hier ist ein "anderer" Film, eine - das klingt jetzt wahrscheinlich ein bisschen pathetisch - fast schon metaphysische Erfahrung. Und natürlich hochkünstlerisch: Auf analogem 16-Millimeter-Material unter widrigsten Umständen (brutale Hitze, Sandstürme) gedreht, von einem pulsierenden Elektronik-Score angetrieben, gelingen Oliver Laxe hypnotische Bilder, die sich in die Netzhaut einbrennen. Die Mad Max-Filme lassen visuell grüßen, mehr aber noch EL TOPO, dieser existentialistische, psychedelische Film-Trip des chilenischen Grenzgängers Alejandro Jodorowsky. Kinobesuch ist natürlich Pflicht.

Sirat Bild 1
Sirat Bild 2
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Sirat Bild 4
Sirat Bild 5
FAZIT:

Ein Kandidat für den "ärgsten" Film des Jahres? Ja, aber anders. Keine Gewalttaten, keine Gräuel, kein Sadismus. (Hochkünstlerischer) Schrecken der Realität, der ans Eingemachte geht, in hypnotische Bilder gegossen. Ein dringender Kinotipp, dem man sich auf der größtmöglichen Leinwand aussetzen sollte.

WERTUNG: 9/10
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