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Tag der Abrechung - Der Amokläufer von Euskirchen

Tag der Abrechung - Der Amokläufer von Euskirchen

DRAMA: DE, 1994
Regie: Peter Keglevic
Darsteller: Christoph Waltz, Christian Redl, Cornelia Froboess, Oliver Stritzel

STORY:

Euskirchen 9. März 1994: Nach seiner Verurteilung schießt ein Mann im Gericht wild um sich. Anschließend zündet er eine Bombe und sprengt er sich selbst in die Luft.

KRITIK:

Es war vielleicht ein halbes Jahr vergangen, nachdem Erwin Mikolajczyk in einer Nebenstelle des Amtsgericht Euskirchen Amok gelaufen war und einen Teil des Gebäudes in die Luft gesprengt hatte, als mit den Dreharbeiten zu "Tag der Abrechung" begonnen wurde. Und ausgerechnet RTL hatte den Film in Auftrag gegeben.

Ja, ja ich weiß schon was ihr denkt. Fernsehen? Oh Gott. Stimmt schon. Die meisten deutsche Fernsehfilme sind nämlich eins: Mies. Kitschig, überladen mit Klischees, oftmals nur peinlich, und vollgestopft mit Dialogen die auch Affen mit einer Schreibmaschine wohl nicht hölzerner hinbekommen hätten. Und die Briten und Amis haben es sowieso besser drauf, was solche Produktionen betrifft. Man denke nur an die altehrwürdige BBC, die immer wieder für einen netten Historienfilm oder eine Literaturverfilmung gut ist.

Allerdings gibt es, wie so oft, auch Ausnahmen. Also TV-Produktionen die man angucken kann ohne sich ständig an den Kopf fassen zu müssen ob der Klischees die man serviert bekommt. Und die nicht mit einem politisch korrekten Schluss alles zerstören.

Aber nun zurück zum Film und zu RTL. Allein schon die Beteiligung des Quoten-Skandal-Kanals verheißt eigentlich nichts Gutes. Und auch der überschnelle Drehbeginn lässt Böses erahnen. Den Vorwurf, die Tragödie schnellst möglichst ausschlachten zu wollen, musste sich RTL wohl oder übel gefallen lassen. Gerade deswegen überrascht der Film aber auch. Keine Ahnung was die RTL-Leute damals geritten hat, ich kann mir nur vorstellen, dass man wohl auf die Öffentlich-Rechtlichen schielte, deren Fernsehfilme damals noch mit "Anspruch" verknüpft wurden und deshalb Peter Keglevic mit der Regie beauftragten.

Und Keglevic war mehr daran interessiert herauszufinden, was denn Erwin Mikolajczyk zu seiner Tat getrieben hatte und wie dieser Mann getickt haben muss, als an der Quote. Darum ließ er sich von der Familie und den Umkreis des Täters dessen Lebensgeschichte erzählen. Deshalb wurde auch auf große Namen verzichtet. Stattdessen bemühte sich Keglevic die passenden Schauspieler für die Rolle zu finden. Eine Rechnung die aufging.

Dass der Film streckenweise sogar als Psychogramm eines Amokläufers durchgeht, liegt nämlich vor allem an den Darstellern. Und im Besonderen an Hauptdarsteller Christoph Waltz. Waltz war zu der Zeit zwar kein komplett Unbekannter mehr, hatte er doch gerade einen Achtungserfolg mit "König der letzten Tage" einfahren können, doch zu den großen Namen sollte er erst gehören, nachdem ein Hollywoodregisseur auf ihn aufmerksam wurde. Aber das ist eine andere Geschichte. Jedenfalls liefert Christoph Waltz eine verstörende Performance als ein sein ganzes Leben getriebener, unberechenbarer, psychisch kranken Mann, in dem sich langsam alles mehr und mehr hochschaukelt, bis er schließlich explodiert. Im wahrsten Sinn des Wortes.

Neben Waltz wurden aber auch noch andere Hochkaräter gecastet. Christian Redl ("Tattoo") zum Beispiel. Redl darf seine Figur wunderbar vielschichtig und zwiespältig anlegen. Er spielt Erwins tyrannischen Vater und schafft es aus seiner Figur auch gleichzeitig eine Art von Verletzlichkeit rauszukitzeln. Es wär ein leichtes gewesen Erwins Vater nur als dumpfen Schläger darzustellen, doch auf eine solche einfache Charakterzeichnung wurde verzichtet.

Beginnend von Erwins Kindheit wird versucht sein Leben nachzuskizzieren, um so einer Antwort auf das große "Warum?" näher zu kommen. Auffallend ist die Detailverliebtheit die sich im Setting und in der Garderobe widerspiegelt. Anhand von Episoden aus Erwins Kindheit wird versucht sich der Person zu nähern. Erwin wird als ein Außenseiter eingeführt, der schon in seiner Kindheit beinahe so etwas wie seine eigene Welt hatte, aber sich gleichzeitig von klein auf durch ein überaus großes Aggressionspotential und eine überdeutliche Ich-Bezogenheit auszeichnete. Die Inszenierung ist anfangs durchaus subtil, so wird die brutale Erziehung, die Erwin und sein Bruder genossen, im Film nicht direkt gezeigt. Die Züchtigung findet hinter verschlossenen Türen statt. Lediglich die Schläge und Kinderschreie dringen nach draußen, während die Kamera sich auf die Mutter (Cornelia Froboess, ein weiterer darstellerischer Glücksgriff), konzentriert.

Ansonsten bietet die Inszenierung nicht wirklich viel Überraschendes und wirkt eher altbacken. Der Film ist nun mal nicht großes Kino. Es gibt zwar einen kleinen netten visuellen Einfall, der einige Male zum Einsatz kommt, aber das war’s dann auch schon.

Den Darstellern und dem ausgeklügelten Skript, das sogar ein paar tragikomische Momente beinhaltet, ist es wohl zu verdanken, dass die schwierige Thematik eine solch packende und auch realistische filmische Umsetzung fand. Einen Amokläufer, der mit Gummistiefel und einen Lackmantel bekleidet ist und ein Knoblauchzeh-Kreuz um den Hals trägt, nicht der Lächerlichkeit preisgeben zu lassen, schafft sicherlich nicht jeder. Bei einer solchen Geschichte und dem knapp bemessenen Zeitraum hätte mit Sicherheit einiges daneben gehen können.

Tag der Abrechung - Der Amokläufer von Euskirchen Bild 1
Tag der Abrechung - Der Amokläufer von Euskirchen Bild 2
Tag der Abrechung - Der Amokläufer von Euskirchen Bild 3
Tag der Abrechung - Der Amokläufer von Euskirchen Bild 4
Tag der Abrechung - Der Amokläufer von Euskirchen Bild 5
FAZIT:

Wo RTL drauf steht muss anscheinend nicht immer Bombast und Trash drinnen sein. Zumindest wenn man sich den im Rahmen der Christoph Waltz-Mania wieder ausgegrabenen Film "Tag der Abrechnung" ansieht, kann man nur verwundert und fast schon wehmütig den Kopf schütteln, ob der großen TV-Events die einen heutzutage heimsuchen. Sicher, der Film ist jetzt nicht großes Kino, aber dafür bietet er großartige Schauspieler (Waltz, Redel, Froboess), eine überraschend behutsame Inszenierung und eine packende Geschichte. Ganz ohne rührselige Lovestory und hölzerne Dialoge.

WERTUNG: 7 von 10 schwarzen Gummistiefeln
TEXT © Gerti
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Reinhard Skandera | 10.01.2019 17:17
93 Minuten und keine Sekunde Langeweile. Ich finde, das ist großes Kino, dafür braucht es keine bombastischen Bilder.Auch mich beschleicht Wehmut, wenn man sieht, was im deutschen Fernsehen möglich war. Die aktuelle Lage ist erschütternd.
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