WESTERN: USA, 2015
Regie: Quentin Tarantino
Darsteller: Samuel L. Jackson, Kurt Russell, Jennifer Jason Leigh, Tim Roth, Michael Madsen, Bruce Dern
Die beiden Kopfgeldjäger Major Marquis "The Bountyhunter" Warren (Samuel L. Jackson) und John "The Hangman" Ruth (Kurt Russell) treffen in einem Schneesturm auf ihrem Weg nach Red Rock unfreiwillig aufeinander. Ruth hat Daisy "The Prisoner" Domergue (Jennifer Jason Leigh) im Gepäck. Auf ihren Kopf sind 10 000 Dollar ausgesetzt. Und noch ein Vierter gesellt sich zu ihnen: Chris "The Sheriff" Mannix (Walton Goggins). Der Schneesturm zwingt sie in Minnie's Haberdashery Halt zu machen. Bei Minnie haben sich aber bereits vier andere Gesellen breit gemacht: Bob "The Mexican" (Demián Bichir), der Henker Oswaldo "The Little Man" Mobray (Tim Roth), Joe "The Cowpuncher" Gage (Michael Madsen) und General Sandy "The Confederate" Smithers (Bruce Dern). Während draußen der Wind peitscht, bereiten sich drinnen The Hateful 8 auf einen Mexican standoff vor ...
Die Nacht bricht herein, der eisige Wind wirbelt Schnee durch die Gassen:
Ich hätte mir keinen besseren Tag vorstellen können, um The Hateful 8 anzusehen! Draußen weht mir der kalte Wind um die Ohren. Auf dem Weg ins Kino mache ich an einem Kiosk halt, um mir einen Kaffee zu erbeuten, nur damit ich mir die erfrorenen Bratzen daran wärmen kann. Wie ein lonely Ranger stapfe ich durch den Schnee, um den Kinosaal zu erobern. Wahrlich bietet die Stadt im Moment gute Voraussetzungen, um sich Filme wie The Hateful 8 oder The Revenant (der absolut großartig ist und von Harald zu Recht als möglicher Film des Jahres ausgerufen wurde!) anzusehen - auf der großen Leinwand freilich!
Schließlich ist die rettende Herberge in Sicht und ich kuschle mich mullig in den Kinosessel, verschmitzt lächelnd, wie ein kleines Kind, das an Heilig Abend vor der Wohnzimmertür wartet bis das erlösende Glöckchen endlich erklingt ...
Weihnachten im Januar ODER endlich Bescherung:
Kennt ihr das, wenn Ihr euch zu Weihnachten eine Barbie gewünscht habt, dann aber nur die billigere Kopie einer Barbie bekommt? Ihr freut euch natürlich trotzdem, aber nicht ganz so sehr wie über eine original Barbie. So ging es mir am Montag, denn leider kam ich nicht in den Genuss von Tarantinos 70-mm-Roadshow, sondern sah die Kinofassung.
Ich kuschel mich also gerade in den Sitz, als die Dame neben mir ihren Kaffee anfängt zu schlürfen. Ich weiß warum sie den erbeutet hat. Der Vorhang geht auf, das Glöckchen klingelt endlich, und die eingeschneite Landschaft im Großformat lässt mich meine Jacke bis unters Kinn ziehen.
Wir starten in alter Tarantino-Manier, mit langen wortgewandten Dialogen. Und gleich zu Beginn ist klar, die Besetzung ist wie immer hervorragend. Vor allem Jennifer Jason Leigh zeigt schon zu Anfang, warum sie die Oscarnominierung als beste Nebendarstellung verdient hat.
Chronologie der Tiefgründigkeit:
Ich bemerke gerade, dass ich sehr chronologisch vorgehe bei dieser Kritik. Das könnte Tarantinos Erzählweise geschuldet sein. Denn anders als in vielen seiner Filme, läuft The Hateful 8 bis auf zwei Rückblenden geradlinig. Das ist man so gar nicht von ihm gewohnt, unterstreicht aber einen wesentlichen Punkt:
Tatsächlich inszeniert Tarantino seine Hateful 8 wie ein Bühnenstück, 90 Prozent des Films spielen in Minnie´s Haberdashery, die Protagonisten umkreisen sich qualvoll in einem Mexican standoff bei dem es für beide Parteien keinen Ausweg zu geben scheint. Die langen Dialoge gipfeln in einem Showdown wie wir es von Tarantino in feinster durch-choreographierter Weise gewohnt sind.
Diese langen Dialoge sind gerade bei The Hateful 8 mehr als nur reines Sprachtalent, auf das Tarantino sich einen runterholt.
Tarantino, du tiefgründiger Hundling:
Angeblich soll Tarantino über den Western gesagt haben, dass dieser immer die Zeit widerspiegelt, in der er entstanden ist, und nicht die Zeit, in der er spielt.
In den wie immer hervorragenden Wortgefechten und Monologen verbirgt sich nämlich viel mehr, als nur großartiger Witz und schwarzer Humor. Zwischen den Zeilen geht es um Vorurteile, Hass, Angst, Rassismus, Unterdrückung, Auflehnung und so vieles mehr. Und dabei wird in keinster Weise Partei ergriffen. Hier schimpfen die Weißen über die Schwarzen, die Schwarzen über die Mexikaner, die Südstaaten über die Nordstaaten und andersherum. Sämtliche Ignoranz und Vorurteile, die immer in bedrohlichen Handlungen gipfeln, spiegeln sich hier wider. Und wie könnte das nicht gerade in so vielerlei Hinsicht hochaktuell sein!
Will man diesen Gedankenspiel auf die Spitze treiben, dann würde man sagen: Nur einer behält den Überblick, der Schöpfer dieser widerwärtigen Welt selbst. Der hier kein geringerer als Tarantino selbst ist. Er allein wacht über seine Inszenierung, ist scheinbar allwissend. Und vermittelt den Aussenstehenden (in diesem Fall dem Zuschauer selbst) aus dem Off Hintergrundwissen. Dabei ist das keinesfalls religiös zu verstehen, ganz im Gegenteil. Ein scheinbar allwissender Schöpfer, der seine Schachfiguren beobachtet, ist nichts geringeres als der Glaube daran, dass wenn es einen Gott gibt, ihm das scheißegal ist, was seine Schäfchen da unten so treiben. Da kann man noch so viel beten und endet doch genauso wie ein Ungläubiger.
Der Gott des Gemetzels:
(das hab ich aus einer anderen Kritik zu The Hateful 8 geklaut, aber es gefällt mir so gut, dass ich es hier verwenden möchte)
Wie gesagt, will man das ganze auf die Spitze treiben. Denn keine Angst, das klingt jetzt alles ein bisschen überkandidelt, aber in erster Linie bleibt The Hateful 8 ein Tarantino-Film und macht wie alle seine Filme auch ebenso viel Spaß!
Denn es war und ist sicherlich auch in seinem 8. Film nicht Tarantinos Absicht den Moralapostel zu spielen. Die Metzeleien lassen einen wie immer in seinen Filmen nämlich eher kalt. Irgendwie drängt sich ja auch das Gefühl auf, dass es jeder von seinen Protagonisten verdient hat. Was ich schon wieder herrlich finde, wie doppelmoralig wir doch alle letztendlich sind. Ich steh drauf, wenn mir jemand den Spiegel vorhält und das dann noch auf so unterhaltsame Weise!
Der doppelte Boden:
Ihr glaubt doch nicht, dass ihr bei Tarantino ohne einen doppelten Boden davonkommt?! Ich liebe diesen Satz gerade so sehr! Warum, das bleibt mein Geheimnis.
Auch hier bleibt eine Wendung natürlich nicht aus, auch wenn sie einen nicht ganz so unvorhergesehen trifft wie in seinen anderen Filmen. Macht aber nichts, ich hab mich trotzdem köstlich amüsiert. Mehr zu verraten, wäre eine Schande. Das wäre als würde ich eure Geschenke auspacken ...
Was für die tiefgefrorenen Ohren:
An dieser Stelle soll ein essenzieller Charakter des Films nicht unerwähnt bleiben. Denn niemand Geringerer als Ennio Morricone hat die Filmmusik zu The Hateful 8 beigesteuert! Reine Formsache, zu erwähnen, dass die Musik mehr als gelungen ist. Tatsächlich blieb sie mir auf dem gesamten Heimweg in den Ohren. Somit konnte der eisige Wind und die Kälte ihnen nichts mehr anhaben.
Gebt dem Mann seinen verdienten Oscar!
The Hateful 8:
Wirklich jeder, absolut JEDER Charakter in The Hateful 8 ist großartig besetzt. Und gerade das Zusammenspiel dieser Talente lässt den Film zu keiner Sekunden zu lang wirken. Ich möchte aber nicht unerwähnt lassen, dass ich mir durchaus vorstellen könnte, dass einige sich mehr "Action" erhofft haben. So großartige die Dialoge auch sind und obwohl wir ja wissen, dass es eines der großen Talente von Tarantino ist, mit Sprache umzugehen, wird der ein oder andere sich mehr Gemetzel erhofft haben. Ich finde ja gerade die Spannung davor viel interessanter, als die Tat an sich. Und wenn wir ehrlich sind, ist das Warten auf die Geschenke auch immer viel aufreibender, als das Auspacken an sich.
Die Sprache, Ausdruck meines Seins:
Und nun etwas ganz Wesentliches: Gerade weil hier so viel gesprochen wird und die Sprache so ein wichtiger Punkt ist: Bitte nur im Originalton anschauen! (Shitstorm los!)
Ich möchte mir das nicht in der Übersetzung vorstellen, nein, bitte nicht. Habt ihr schonmal Attack the Block auf Deutsch gesehen? Da dreht es einem die Fußnägel auf! Bei The Hateful 8 möchte ich das meinen abgefrorenen Zehen nicht antun, nein wirklich nicht.
Deswegen bleibt einem auch nur eines übrig: Raus in die raue Natur, durch Wind und Schnee, und rein in den Kinosessel:
The Hateful 8 empfangen Euch mit einer warmen Tasse Kaffee (aber Vorsicht: wo The Hateful 8 draufsteht, sind auch The Hateful 8 drin)
Ab 28. Jänner im Kino
Die 70mm-Roadshow-Fassung wird exklusiv im Wiener Gartenbaukino gezeigt.
Bedarf es wirklich eines Fazits? Wer bis hierher gelesen hat, der schnallt schon die Schneeschuhe an und macht sich auf den Weg ins Kino. Wer erst ab hier liest: Ich glaube The Hateful 8 könnte fast mein Lieblings-Tarantino sein! Also: Sofort ins Kino!