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Tokyo!

Tokyo!

EPISODENFILM: Japan, 2008
Regie: Michel Gondry, Leos Carax, Bong Joon-ho
Darsteller: Ayako Fujitani, Denis Lavant, Teruyuki Kagawa uvm.

STORY:

Drei Geschichten, drei Regisseure, eine Stadt: Tokyo!

KRITIK:

Interior Design von Michel Gondry

Ein junges Paar kommt nach Tokio, um hier neu anzufangen. Sie wohnen erst einmal bei einer Freundin. Während der junge Filmemacher Akira die Zeit bis zu seiner Filmpremiere mit einem Gelegenheitsjob als Geschenkeinpacker überbrückt, versucht Hiroko verzweifelt eine Wohnung für die beiden zu finden.

Michel Gondry (Science of Sleep) erzählt hier zu Beginn eine sehr geradlinige Geschichte, mit interessanten Charakteren und durchaus sehr lustigen Momenten. Das junge Paar hat sich irgendwie ein bisschen verlaufen in den Häuserschluchten Tokios und bleibt bei Zeiten zwischen den Häuserspalten hängen, in denen die Geister wohnen, wie Akira feststellt und was ihn auch gleich auf eine neue Filmidee bringt. Hiroko hingegen scheint keine Ambitionen zu haben, weshalb sie sich ihrer eigenen Nutzlosigkeit bewusst wird.

Darum spinnt sich auch der weitere Verlauf des Films, bis circa 10 Minuten vor Schluss eine überraschende Wendung kommt, welche diese kurze und feine Geschichte auf ein ganz anderes Level erhebt. In einer aberwitzigen Szene passieren Dinge, die man so gar nicht zuordnen kann, auf die einige absurde Momente folgen. Großartige Momente! Zu erwähnen ist hier eine fantastische Verwandlung, die ich übermäßig genossen habe!

So viel sei noch verraten: Hiroko findet ihre Bestimmung im Leben und fühlt sich zum ersten Mal wirklich nützlich ...

Merde von Leos Carax

Monsieur Merde steigt aus dem Untergrund Tokios, verwüstet die Stadt, steigt wieder hinab, kommt an anderer Stelle wieder an die Oberfläche und sprengt unzählige Menschen in die Luft. Daraufhin wird er verhaftet und ihm der Prozess gemacht.

Monsieur Merde dürfte einigen bekannt sein, nämlich aus Holy Motors. Tatsächlich entstand Tokyo! allerdings vor diesem Film. Auch in der Episode Merde wird Monsieur Merde von Denis Lavant gespielt, aufgrund dessen Darstellung entschied sich Carax später überhaupt erst ihm Holy Motors auf den Leib zu schreiben.

Ich war allerdings kurz vom Stuhl gefegt als ich Monsieur Merde in Tokyo! entdeckte. Dazu muss man sagen, dass ich Holy Motors für einen überragenden Film halte und von Tokyo! nichts wusste. Also kam hier Monsieur Merde völlig überraschend für mich, was mich zu Freudensprüngen veranlasste.

Und es war eine weise Entscheidung Lavant später in Holy Motors wieder Monsieur Merde spielen zu lassen. Diese Figur ist einfach zu interessant und wahnsinnig, als das man sie nur einmal benutzen sollte. In ihm verkörpert sich all unser Ekel, all unsere Unzulänglichkeit, all unser latenter, unterschwelliger Rassismus. All das Übel in der Welt, das wir nur zu gerne auf eine hässliche Figur projizieren, die im Untergrund leben muss, ohne jegliche Moral und Anstand.

Aus diesem Grund halte ich diese Figur auch für so interessant und damit Merde für die beste Episode von Tokyo!, weil sie uns permanent und ohne, dass wir es merken, den Spiegel vorhält. In der Tat eine der interessantesten Filmfiguren der letzten Jahre. Noch dazu ist die Geschichte auf den ersten Blick so aberwitzig und unterhaltsam zugleich, dass sie bis zu ihrem großartigen Ende unterhält und einem auf jeden Fall nachhaltig im Gedächtnis bleibt.

Shaking Tokyo von Bong Joon-ho

Ein junger Mann hat seit 10 Jahren sein Haus nicht mehr verlassen. Er mag die Menschen nicht, er mag das Licht nicht. Er folgt strengen Ritualen, jeden Samstag lässt er sich eine Pizza liefern, dabei vermeidet er den Augenkontakt zum Lieferanten. Doch an diesem Samstag sieht er hoch, sieht ein junges Mädchen und dann fängt die Welt an zu beben.

Damit verändert sich alles, jetzt geht es nicht mehr weiter wie zuvor. Er muss sein Haus verlassen, um sie wiederzusehen.

Auch Bong Joon-ho (The Host) dürfte einigen bekannt sein. Ich liebe seine Filme, weil sie durch Witz und unglaubliche Tiefgründigkeit bestechen, was wahnsinnig schwer zu vereinbaren ist und ihm zum Beispiel in The Host scheinbar mühelos gelingt.

Auch in Shaking Tokyo schafft er diesen Spagat. Die Rituale des Mannes sind traurig und lustig zugleich. Enthalten Banales und sind gerade deshalb so vielsagend. Er ist eine traurige Gestalt und erkennt doch aus eigener Kraft was jetzt zu tun ist.

In so einer kurzen Geschichte so viel Essenzielles unterzubringen, ist eine Meisterleistung. Dabei ist gerade das sehr interessant, das sich uns nicht sofort erschließt, über das wir auch danach noch ein wenig nachdenken wollen.

Drei Geschichten, drei Regisseure, eine Stadt: Tokyo!

Ein Film den man sich nicht entgehen lassen sollte, vereint er doch drei großartige Regisseure, die uns hier mit drei Episoden wunderbar unterhalten. Jede für sich genommen ist einzigartig, der rote Faden ist die Stadt Tokio, in der scheinbar alles passieren kann. Und seit Enter the Void würde ich für derartige Geschichten auch keine andere Stadt vorziehen. Spiegelt sich doch in ihr jede menschliche Facette wider.

Tokyo! ist ein kleiner Geheimtipp für Leute die auf das Verrückte, Abgedrehte, Unerklärliche stehen. Die sich gerne Filme ansehen, bei denen sie nicht sofort alles verstehen und Dinge entdecken wollen über die sich das spätere Nachdenken lohnt. Auf der anderen Seite enthält Tokyo! auch einfach nur drei unterhaltsame Episoden die Spaß machen.

Tokyo! Bild 1
Tokyo! Bild 2
Tokyo! Bild 3
Tokyo! Bild 4
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FAZIT:

Drei Geschichten, drei Regisseure, eine Stadt: Tokyo!

Gondry, Carax und Joon-ho nehmen uns in diesen drei unabhängigen Episoden mit in eine verrückte Welt. In ihre verrückte Welt, in der alles passieren kann. Sie erzählen Geschichten von Liebe, Versagensangst, Wahnsinn und vielem mehr. Ein Film den man sich nicht entgehen lassen sollte!

WERTUNG: 9 von 10 Pizzakartons
TEXT © Nicky
Dein Kommentar >>
Andreas | 22.08.2014 09:13
Danke für das Review, ich hätte sonst diesen Film sicher übersehen.
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