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GOOD MOVIES FOR BAD PEOPLE
Tokyo Godfathers

Tokyo Godfathers

ANIMATION: JAPAN, 2003
Regie: Satoshi Kon
Darsteller: Yoshiaki Umegaki, Aya Okamoto, Toru Emori

STORY:

"Großvater, Großvater! Bitte erzähl uns nochmal die Geschichte, warum Du den japanischen Film so liebst!"
"Schon wieder?" lächle ich milde. "Also, na gut."
"Jaaaaaaa!" strahlen die Augen der kleinen Cineastenschar.
"Passt auf, also, das liegt daran, dass der japanische Film sich oft Thematiken und Settings annimmt, die anderenorts wohl nicht mal mit der Kneifzange angegriffen werden würden. Und trotz dieser Wahl wird der Film dadurch nicht zu einem unverständlichen, pseudointellektuellem Arthouse-Werk, den sich nur selbsternannte "Kunst"-Kritiker mit Hang zum cineastischem Masochismus antun. Nein, der japanische Film ist technisch state-of-the-art, professionell, mitreißend und spannend."
"Großvater, Großvater, und wie ist das mit den Helden?"
"Im Gegensatz zu Helden im Hollywood-Mainstream haben die Akteure auch ihre nachvollziehbaren Schwächen. So sind die Guten nie ganz gut und die Bösen nie ganz böse." Offene Münder staunen mich an. "Ja, und noch mehr: Die Geschichten sind nie vorhersehbar. Ob es ein Happy End gibt oder nicht, weiß man nicht. Das gilt auch für die Handlung selbst: Manchmal lustig, manchmal traurig, manchmal etwas zum nachdenken, manchmal einfach brachial."
"Undundundundund wie war das bei Tokyo Godfathers?" haspelt der kleine Fritzi und springt dabei von einem Bein aufs andere.
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Ja, wie also ist das bei Tokyo Godfathers? Tokyo Godfathers ist ein typisches Beispiel für einen der oben beschrieben japanischen Filme. Es geht um drei Obdachlose, Gin, Miyuki und Hana, die am Heiligabend im Müll ein weggeworfenes Baby finden. Sie beschließen sich des Babys anzunehmen, seine Mutter zu ermitteln, um sie dann zu konfrontieren, warum sie es verlassen hat.

Von allen möglichen Personen sind natürlich diese drei die denkbar schlechtesten Finder, die man sich für ein Baby vorstellen kann: Gin ist ein spielsüchtiger Alkoholiker, der durch seine Abhängigkeiten Frau und Tochter verloren hat. Miyuki eine Ausreißerin, die im Streit ihren Vater mit einem Messer lebensbedrohlich verletzte und Hana ein prostituierender Transvestit, der sich mit einem seiner Kunden angelegt hat. Sie alle sind auf der Straße gelandet und nun die Außenseiter der Gesellschaft.

Dies hört sich nun nach einem sehr tristen Setting an, aber der Film ist ungeheuer positiv. Durch das Baby kommt wieder so etwas wie Sinn in das Leben der drei Außenseiter, die sich selbst schon abgeschrieben hatten, eine Aufgabe, die es zu erfüllen gilt. Dabei werden alle drei von ihren eigenen berührenden Vergangenheiten eingeholt…

KRITIK:

Regisseur Satoshi Kon gilt seit seinem hochgelobten Debut "Perfect Blue" als Meister der ernsten und vielschichtigen Animes. Während seine anderen Werke, wie z.B. auch "Paprika", "Millennium Actress" oder "Paranoia Agent" aufgrund ihrer unglaublich verschachtelten Konstruktionen normalerweise eher die David Lynch-Fangruppen ansprechen, ist Tokyo Godfathers relativ geradlinig und dadurch auch sehr leicht zu folgen.

Man merkt Kon sein Fable für ungewöhnliche Akteure und Settings an. Aber nicht nur das: Er kann auch mit ihnen ambivalent umgehen: Er zeigt die Obdachlosen nicht nur als die "Armen, Schuldlosen", er gibt ihnen Vielschichtigkeit und Charakter. Aufgrund der Thematik müsste man auch eigentlich von einem eher düsterem Film ausgehen, aber Dank Kons speziellem Humor findet sich der Zuschauer öfter am Lachen als am Weinen. Ein Beispiel? Nachdem Gin von ein paar jungen Hooligans zusammengeschlagen wurde und blutüberströmt am Boden liegt und sich vor Schmerzen und im Alkoholrausch eine Engelerscheinung fantasiert, spricht die Lichtgestalt zu ihm: "Möchtest du meine Magie - oder einen Krankenwagen?"

Der Zeichenstil entspricht dem Wesen des Regisseurs: Ernst, professionell, realistisch, manchmal ein wenig übertrieben und überzeichnet. Er hat weltweit viele Fans, mir gefällt er einfach nicht, aber das lässt keine Rückschlüsse auf die Qualität zu, sondern nur auf meine persönlichen Vorlieben, so wie ich halt auch Rubens weniger als Caravaggio mag; dennoch sind beides großartige Künstler.

Soundmäßig ist alles in Ordnung, sofern man Weihnachtslieder auf Japanisch überhaupt in Ordnung finden kann. Wer die Möglichkeit hat und des Japanischen einigermaßen mächtig ist, erfreut sich am liebenswerten Transvestiten-Slang von Hana (Ob die das so bei der deutschen Sychro hinbekommen haben, wage ich zu bezweifeln).

Tokyo Godfathers Bild 1
Tokyo Godfathers Bild 2
Tokyo Godfathers Bild 3
Tokyo Godfathers Bild 4
Tokyo Godfathers Bild 5
FAZIT:

Eine ungemein positive und lebensbejahende Geschichte über die Außenseiter der Gesellschaft und ein gefundenes Baby, welches wie ein Wunder Gottes als Licht in die Tristesse der Obdachlosen kommt. Herzwärmend gewürzt mit viel schwarzem Humor.

WERTUNG: 7 von 10 Lichtgestalten im Delirium
TEXT © Andreas Berger
Dein Kommentar >>
Harald | 15.05.2010 15:55
Aber Großvater, ist es nicht so, dass es auch im amerikanischen Mainstream nur so vor zerrissenen, moralisch ambivalenten, von diversen Neurosen und Defekten geplagten Antihelden wimmelt? Das wird mir zumindest von der Fraktion der Comicverfilmungs-Auskenner (zu der ich mich ja nicht wirklich zähle ;-) zugeflüstert.
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