DRAMA: UK, 2011
Regie: Paddy Considine
Darsteller: Peter Mullan, Olivia Colman, Eddie Marsan, Ned Dennehy, Paul Popplewell
Joseph ist vermutlich kein guter Mensch. In einem Wutanfall tötet er seinen Hund, einfach so. Sein Alltag ist geprägt von Alkohol, Hass und Gewalt. In anderen Worten: Sein Leben geht unaufhaltsam den Bach runter. Bis er sich eines Tages in den christlichen Kleiderladen von Hannah verirrt. Anstatt ihn gleich rauszuwerfen, betet diese erst einmal für ihn. Auch wenn Joseph nicht viel von Gott hält, steht er kurze Zeit später wieder vor ihrem Laden ...
Bereits die ersten paar Minuten gehen an die Nieren. Ein Mann verlässt mitten in der Nacht ein Pub, nimmt den Hund der draußen auf ihn wartet an die Leine und beginnt im Weggehen wie von Sinnen auf das winselnde Tier einzutreten. Er lässt erst von seinem Hund ab, als dieser sich fast nicht mehr rührt. Der Hund war sein bester Freund. Und dennoch hat er es getan. Natürlich reut ihn die Tat im Nachhinein. So sehr, dass er den Schuppen, indem der Hund schlief, mit einem Vorschlaghammer abreißt. Zu Schmerzhaft ist die Erinnerung. Oder vielleicht doch nur das schlechte Gewissen?
Die Episode mit dem Hund zeigt, wie Joseph tickt. Und lässt erahnen, was für ein Mensch dieser Mann, der stets mit Jogginghose durch sein Viertel streift, ist. Geradezu rührend kümmert er sich um seinen vor sich hinsiechenden Hund, aber er trägt auch diese Wut in sich. Doch nicht nur sinnlose Gewalt prägt Josephs Leben. Auch die Einsamkeit nagt an ihm. Dass die Welt in der er verkehrt, zudem durch und durch trostlos ist, macht sein Leben nicht erträglicher. Es ist keine schöne Welt, in die uns der Schauspieler Paddy Considine in seinem Langfilmdebüt führt. Aber die Welt ist nun mal nicht immer schön. Sie kann auch grausam sein, kalt und schmerzhaft. Auch wenn wir all zu oft die Augen vor der ganzen Scheiße, die Tag für Tag passiert, verschließen. Oder in unseren Vorgefertigten oder durch die Medien propagierten Urteilen verharren.
Doch Tyrannosaur zwingt uns hinzusehen. Joseph mit all seinen Widersprüchlichkeiten anzusehen. Tyrannosaur ist sicher kein angenehmer Film. Kurze Momente des Glücks sind in dem Film so rar gestreut, dass man als Zuseher förmlich auf wenigstens ein Lächeln oder eine Umarmung wartet. Ich kann mich nur an eine einzige Szenen erinnern, in der die Protagonisten wirklich glücklich sind, für einen Moment ihre Sorgen vergessen und den Alltag hinter sich lassen.
Dramen, in denen es um soziale Verwahrlosung, Gewalt und ähnliche Thematiken gibt, sind natürlich weder neu oder sonderlich innovativ. Vor allem aus England kamen in den letzten Jahren einige interessante Beiträge. Filme, die die hässliche Fratze der Großstadt zeigen. Auf sich allein gestellte Kinder, Gewalt und dergleichen. Bisweilen versehen mit Horrorelementen, wurde die Thematik schon häufig durchgekaut.
Allerdings selten mit einer solchen Intensität wie Tyrannosaur sie bietet. Trotz der ganzen Tristesse und dem Milieu in dem der Film spielt, verzichtet der Film auf allzu plakative Bilder und Szenen. So wird beispielsweise Josephs Haus nicht als Drecksloch gezeigt. Blickt man in sein Wohnzimmer, stellt man überrascht fest, wie aufgeräumt und wie bieder das alles ist.
Der Film hat durchaus etwas Archaisches, es herrscht Gewalt und Machtmissbrauch überall. Der soziale Hintergrund der Protagonisten rückt im Laufe des Films mehr und mehr in den Hintergrund und der Film konzentriert sich zunehmend auf das Innere der Figuren selbst. Schonungslos werden ihre Abgründe ans Licht gebracht. Es geht um Wut, Liebe, Glaube, Rache und vielleicht auch Vergebung.
All dies zeigt der Film teilweise in Bildern, die für den Zuschauer nur schwer zu ertragen sind. Es sind jedoch nicht nur die Szenen physischer, sondern auch die Szenen psychischer Gewalt, die den Zuschauer mitnehmen. Dass der Film dem Zuseher so nahe geht liegt mit Sicherheit nicht zuletzt an den Schauspielern. Peter Mullan (Cargo) und Olivia Colman sind einfach nur großartig. Anders kann man es gar nicht ausdrücken. Wie sie sich gegenseitig annähern, verletzen, ihre Widersprüchlichkeiten und ihre Schwächen, das ist einfach nur großes Kino.
Peter Mullan nimmt man jeden Wutausbruch, jede Enttäuschung, einfach alles ab. Regisseur Considine ließ in einem Interview durchblicken, dass er bereits beim Schreiben der Geschichte Mullan im Kopf hatte. Und er wusste wohl warum. Dass Mullan ein begnadeter Schauspieler ist, ist ja nichts Neues. Aber hier hat er endlich mal eine Rolle, in der er auch wirklich alles geben kann.
Zu den positiven Überraschungen des Films gehört mit Sicherheit Olivia Colman, von der ich bis dato noch nie was gesehen oder gehört habe. Aber die Zerbrechlichkeit und Würde, die innere Stärke die sie ihrer Figur verleiht ist atemberaubend. Sie meistert ihre schwierigen Szenen fabelhaft. Tyrannosaur bietet Schauspielkino vom feinsten.
Der Film steckt voller wunderbarer Szenen zwischen Mullan und Considine. Vermutlich bekam der Film auch deshalb den deutschen Zusatz "Eine Liebesgeschichte" verpasst. Auch wenn dies vielleicht ein wenig irreführend sein mag.
Dass der Film es in die "Kino kontrovers"-Reihe geschafft hat, ist vermutlich auch diskussionswürdig. Sicher, Tyrannosaur ist keine leichte Kost und nichts für allzu zart besaitete, doch Tabus werden keine gebrochen. Tyrannosaur geht eher in die Richtung härteres, schonungsloses Drama. Allerdings sorgt der Stempel "Kino kontrovers" dafür, dass der Film eine Veröffentlichung erhält, die ihm mehr als nur würdig ist. Also massig Extras, und ein schönes Booklet. Unter den Extras findet man auch den Kurzfilm Dog Altogether, dem Tyrannosaur zugrunde liegt.
In Tyrannosaur kämpft ein Mann in einer kaputten Welt gegen seine unkontrollierbare Wut. Bis er auf eine Frau trifft, die ihn nicht verurteilt, die im Gegenteil, sogar freundlich zu ihm ist. Ein kurzer Glücksmoment, in dem Strudel aus Gewalt und Alkohol, der den Protagonisten Tag für Tag umgibt.
Tyrannosaur ist alles andere als leichte Kost.Der Film fühlt sich streckenweise an wie ein Schlag in die Magengrube, wühlt auf und lässt einen etwas benommen zurück.
Trotz der Tristesse, von der der Film erzählt und der kalten Welt in der er spielt, bietet die Tyrannosaur immer wieder auch wunderbar berührende Momente. Diese verdankt man nicht zuletzt den großartigen Hauptdarstellern. Tyrannosour ist aber auch ein Film über Kämpfer. Und sei es nur der Kampf mit den inneren Dämonen