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GOOD MOVIES FOR BAD PEOPLE
Undertow

Undertow

DRAMA/THRILLER: USA, 2004
Regie: David Gordon Green
Darsteller: Jamie Bell, Devon Alan, Josh Lucas, Dermot Mulroney

STORY:

John Munn lebt mit seinen Söhnen im schwülen Georgia, fern der Zivilisation. Als sein Bruder Deel aufkreuzt, setzen sie ihre familiären Konflikte aus der Vergangenheit fort und entlarven die Beziehungen zwischen sich und ihren Söhnen.

KRITIK:

Ich bin ja bekennender Fan des amerikanischen Independent-Films, wie man hier schon erfahren durfte. Und wieder einmal überzeugt mich ein Film derart, dass ich nicht anders kann als ihn wärmstens zu empfehlen.

Undertow spielt tief in den Wäldern von Savannah, Georgia. Im Fokus erleben wir den schroffen Witwer John Munn (wortkarg: Dermot Mulroney) und seine grundverschiedenen Söhne Chris (hervorragend: Jamie Bell) und Tim (Devon Alan). Chris, der ältere Sohn, ein pubertierender Knabe, der versucht sich gegen seinen Vater aufzulehnen, der sie beide vor der Außenwelt abschirmt. Sensibel, verletzlich und wütend.

Tim, das junge, fragile Küken, das unter dem Zwang, leidet Ungenießbares zu kosten, Farblack, Erde, Glas. Ein mysteriöses auto- aggressives Verhalten, das man als Zuseher nach und nach begreift. Undertow zeigt eine kleine Welt, die von Vater und Söhnen erzählt, von Brüdern, vom Kindsein und dem Erwachsenwerden.

Mit dem Erscheinen des aus dem Knast entlassenen Onkel Deel (unheimlich: Josh Lucas) beginnt schließlich ein entlarvendes Kapitel. Deel wirft John immer noch vor, dass er ihm die Frau ausgespannt hat. Deel lässt ahnen und spüren, dass das Vertrauen seines Vaters nicht gerade oft auf seiner Seite war und seine Liebe vermissen durfte. John, der "brave" Bruder weiß immer noch was er an seinem Bruder fürchten muss.

Als Deel den versteckten Familienschatz (im Rücken eines gemalten Familienportraits) findet, eskaliert der Bruderzwist und Deel ermordet John mit dem Messer von Chris. Den beiden Söhnen gelingt die Flucht vor dem rasenden Onkel. Der ist vorerst K.O., doch Chris befürchtet man würde ihm die Geschichte nicht glauben, da der eigentliche Mörder sein Messer mit seinen Fingerabdrücken benutzt hat. So beschließen beide, wie in einem amerikanischem Waisen-Märchen ein neues Leben zu beginnen. Mit dem Familienschatz auf der Flucht vor dem Mörder ihres Vaters. - Ein Abenteuer und eine Od(d)yssee beginnt.

Der Film strotzt nur so vor verstörender aber mitreißender Poesie. Aus jedem Bild springt einem eine expressionistisch - (teilweise nostalgische) - cineastische Schönheit entgegen und mit feinem, schwelgerischem Score, weiß der Film auch "hörige" Zuseher zu entzücken

Hier und da, wenn die Kamera durch das amerikanische Dickicht fährt, erwartet man fast schon, dass Huckleberry Finn oder der Wanderprediger Harry Powell (Robert Mitchum) durchs Bild hüpft. Elegisch führt er uns an Orte, Randbezirke des schwülen Staates und zeigt uns Aussteiger der Gesellschaft. Ein Ehepaar, das unfähig ist Kinder zu kriegen, und dieses Unglück kompensiert, in dem sie für den anderen selbst das Kind sind. Ein mittelloses Mädchen, in das sich Chris verlieben möchte, aber wieder nur ein Geschöpf entdeckt, das keinen Platz in ihrem Herzen hat für menschliche Zuneigung.

Sämtliche Charaktere sind Geschöpfe denen etwas fehlt. Denen etwas weggenommen wurde oder nie erhalten haben. Charaktere, die sich ihren Trost selbst bereiten um ihr Leid zu kompensieren.

Der Film endet schließlich in dem schönen Motiv eines Flusses (Styx), in das der Familienschatz wieder verschwindet und auch die Gier in einem finalen Kampf zwischen Mann und Junge, vielmehr zwischen Vater und Sohn.

David Gordon Green zeigt, dass er ein echter, intelligenter Ästhet ist, der auch nicht davor zurückschreckt ins Bild zu zoomen. Ohne Übertreibung gelingt ihm dieser Kniff auf beeindruckende Weise, der nie unangebracht oder ungenießbar wird und konsequent sogar seinen Stil und seine ausdrucksstarke Bildsprache definiert. Großartig!

Seine Vorbilder Terence Malick und Robert Altmann erkennt man ohne Zweifel. Man kann sich bei Undertow auf kein Genre festlegen. Hier und da bedient er sich bei einem unvergesslichen Original von Charles Laughton. Verspielt bedient sich der Film bei Märchen und Folklore. An Alttestamentarischem, wenn etwa der gierige Mann seinen Bruder tötet. An Mythologie, wenn erzählt wird, wie der Großvater einst den Familienschatz erstand. - Es ist bewundernswert, wie reich und flüssig Green seine Zitate ins Drehbuch pflanzte und auch inszenatorisch meisterte.

Somit ist dieser Autorenfilmer (u.a. neben P.T. Anderson, Solondz, Field, Noah Baumbach) eine weitere Hoffnung aus dem US-Indie-Segment, und mit nur 33 Jahren (und bereits 7 Werken) ein junges, frisches und tüchtiges Talent.

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FAZIT:

Eine gelungene Neu-Interpretation von Die Nacht des Jägers an dem so ziemlich alles richtig gemacht worden ist und ebenso poetisch und faszinierend ist wie das Original. Definitiv ein moderner Independent-Klassiker! Geheimtipp!

WERTUNG: 9 von 10 Löchern im Fuß
Gastreview von Nicolae
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