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Until the Light Takes Us

Until the Light Takes Us

OT: Until the Light takes us
DOKUMENTARFILM: USA, 2009
Regie: Aaron Aites, Audrey Ewell
Darsteller: -

STORY:

Unter dem Einfluss früher harter Metalbands wie Venom, Hellhammer/Celtic Frost und Bathory und beseelt durch die düstere, misanthropische Ideologie der damaligen skandal- und geheimnisumwitterten Undergroundband Mayhem fanden sich im Norwegen der ausgehenden 80er, beginnenden 90er einige blutjunge, talentierte Musiker zusammen, funktionierten ihre Gesichter mit schwarzer und weißer Farbe zu gespenstischen Fratzen um und schickten sich an, um den Black Metal zu revolutionieren. Entgegen eigener Behauptungen haben sie damals das Corpsepaint zwar nicht erfunden; diese Ehre gebührt wohl eher Kiss und King Diamond; doch sie haben mehrere musikalische Ausrufezeichen gesetzt. Auf ihre Art grandiose, atemberaubende Alben wie "A blaze in the northern sky" sind mit ihrer kalten, rohen, ja bösen Atmosphäre heute zu Recht Genreklassiker und Bands wie Darkthrone, Burzum, Ulver und Emperor wurden zu musikalischen Speerspitzen dieser neuen extremen Subkultur. Doch im Gegensatz zu so vielen Metalbands, die nur zu harmlosen Budenzauberzwecken über Tod und Teufel singen, wollte man in Norwegen den Worten Taten folgen lassen.

Zunächst tat man dies mit markigen Sprüchen in diversen Fanzines, mit denen man gegen den Florida-Death Metal, gegen die Kommerzialisierung des Metals und Trendscheiße im Allgemeinen in kindisch-rotznäsiger Manier wetterte und ankündigte, dass man im Gegensatz zu anderen Bands das eigene böse Image durchaus ernst nahm. Später folgten dann tatsächlich drastischere Schlagzeilen: Ein bizarrer Selbstmord, Morddrohungen; und als die ersten Kirchen brannten, begann schließlich ein beispielloses Medienspektakel um den "True Norwegian Black Metal". Doch die letzte Grenze war erst überschritten, als zwei der jungen Musiker zu Mördern wurden…-

KRITIK:

Das Kölner Label Rapid Eye Movies, das uns üblicherweise mit Perlen aus Asien und Bollywood versorgt, wagt sich diesmal tief hinein in die kalte, nordische Finsternis und bergt aus dieser eine neunzigminütige Dokumentation der beiden Amerikaner Aaron Aites und Audrey Ewell.

UNTIL THE LIGHT TAKES US schildert weder die musikalische noch die kriminelle Entwicklung des norwegischen Black Metals so fundiert, minutiös und nachvollziehbar wie dies Aites und Ewells Landsmann Michael Moynihan in seinem 1998 erschienenen in diesen Punkten zwar gut recherchierten, ansonsten aber mit äußerster Vorsicht zu genießenden Buch "Lords of Chaos" tut. Dafür gibt es in UNTIL THE LIGHT TAKES US kein unerträgliches Sympathisieren mit rechtsextremen Gruppierungen und Gedankengut wie bei Moynihan, der insbesondere in den Schlussteilen seines Sachbuchs jegliche journalistisch-kritische Distanz vermissen lässt.

Derartigen Kontroversen gehen Aites und Ewell ziemlich konsequent aus dem Weg, indem sie ihr gesammeltes Film-, Archiv- und Interviewmaterial ganz einfach unkommentiert lassen.

Man darf und soll sich seine eigenen Gedanken machen, wenn Darkthrone-Schlagzeuger Gylve "Fenriz" Nagell, der damals wie heute zum harten Kern der Szene gehörte, aber an keinen Verbrechen beteiligt war und der zum Zeitpunkt der Filmproduktion noch inhaftierte Varg Vikernes, den man im Hochsicherheitstrakt eines Trondheimer Gefängnisses interviewt hat, Rede und Antwort stehen.

Nagell berichtet uns von den Anfängen des norwegischen Black Metal; von den Eigenheiten dieser Musik, von seinem Wesen und dessen stark ausgeprägten Underground-Bewusstsein. Außerdem gewährt er uns kurze, aber aufschlussreiche Einblicke in seine private Seite und widerspricht dabei sicherlich dem gängigen und sicherlich falschen Bild, welches der gemeine Spießbürger vom "Black Metal-Satanisten" haben dürfte. Wir lernen einen gemäßigten, nachdenklichen und ruhigen Menschen kennen, der in einem Telefoninterview mit der deutschen Metal-Postille Legacy einen köstlichen Sinn für Ironie beweist. Wenn die Sprache auf die damaligen Verbrechen kommt, schweigt er zwar nicht, enthält sich aber einer eindeutigen Positionierung.

Dafür gibt das Burzum-Mastermind Vikernes detailliert und wortgewandt Auskunft über seine Beweggründe und Verbrechen und zeigt auch sechzehn Jahre später nicht die Spur von Reue.

Des Weiteren kommen der ebenfalls wegen Mordes verurteilte ehemalige Emperor-Drummer Bard Eithun zu Wort und wir sehen wie Satyricons Frost in Italien für den umstrittenen Künstler Bjarne Melgaard eine bizarre Performance in Italien gibt.

Ob diese Dokumentation allerdings dem eigens von deren Macherin Audrey Ewell formulierten Anspruch "UNTIL THE LIGHT TAKES US "chronicles the history, ideology and aesthetic of Norwegian Black Metal" genügt, wage ich zu bezweifeln. Die Musik, Stimme und Herz des Black Metal, fällt praktisch völlig unter den Tisch und seine Anfänge werden in drei kurzen Einblendungen von Plattencover der Inspirationsquellen Venom, Celtic Frost und Bathory abgehandelt. Und die Veranschaulichung seiner Ästhetik hätte man besser auch jemanden anderem als Bjarne Melgaard überlassen - hier spricht wohl allein Fenriz’ peinlich berührter Gesichtsausdruck, mit dem er durch eine entsprechende Ausstellung des australischen Künstlers geht, Bände.

Auch wenn die Macher von UNTIL THE LIGHT TAKES US nicht kommentieren, werten oder urteilen; irgendwie werde ich trotzdem das Gefühl nicht los, dass hier weniger der Black Metal als solcher, sondern viel mehr sein dunkelstes Kapitel behandelt werden soll. Ob diese Dokumentation ohne depressive Musiker, die sich mit einer Schrotflinte die Schädeldecke wegschießen, ohne brennende Kirchen und ohne Mord- und Totschlag entstanden wäre? Eher nicht.

Freilich bezieht UNTIL THE LIGHT TAKES US gerade daraus seine bedrückende, düstere, morbide Atmosphäre und füttert diese mit Interviewsequenzen aus dem Hochsicherheitstrakt und Nachrichtenbildern mit lichterloh brennenden und in sich zusammenstürzenden Gotteshäusern.

Eingefleischten Black Metallern, die die Geschichten und Legenden um die Verbrechen im Dunstkreis von Mayhem und Konsorten in- und auswendig kennen, wird dieser Film keine neue Erkenntnisse bringen und Leuten, die hier thematisches Neuland betreten, möglicherweise nicht genug, um das Phänomen Black Metal zu begreifen. Eine Ahnung davon wie es zu den Verbrechen, die Anfang der Neunziger Jahre in Norwegen im Namen des "True Norwegian Black Metal" begangen wurden, kommen konnte, vermittelt dieser Film allemal.

PS: Hartnäckig brodeln die Gerüchte, dass niemand Geringeres als der Japaner Sion (LOVE EXPOSURE) Sono, sich demnächst den norwegischen "Lords of Chaos" spielfilmtechnisch annehmen wird und dass dann der aus TWILIGHT (!) bekannte Jackson Rathborne (!!) in die Rolle von Varg Vikernes (!!!) schlüpfen soll. Ohne jetzt zynisches Wortspiel betreiben zu wollen; aber das hört sich fast schon zu absurd an, um wirklich wahr zu sein…

Until the Light Takes Us Bild 1
Until the Light Takes Us Bild 2
Until the Light Takes Us Bild 3
Until the Light Takes Us Bild 4
Until the Light Takes Us Bild 5
Until the Light Takes Us Bild 6
Until the Light Takes Us Bild 7
FAZIT:

Waren die zahlreichen Kirchenbrände in Norwegen der frühen Neunziger nun späte Retourkutschen militanter Neoheiden für die Christianisierung Skandinaviens oder doch nur pervers falsch verstandene Imagepflege junger Heavy Metal-Musiker? - In UNTIL THE LIGHT TAKES US lässt man die Protagonisten und Täter des norwegischen Black Metals zu Wort kommen; ohne zu kommentieren oder werten. Eine düstere und sehenswerte Dokumentation, in der Schlüsselfiguren der Szene wie Varg Vikernes (Burzum) und Gylve Nagell (Darkthrone) Rede und Antwort stehen.

WERTUNG: 7 von 10 finsteren Plattenläden in Oslo
TEXT © Christian Ade
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Dein Kommentar >>
Johannes | 07.11.2010 14:06
Schöne Kritik, Chris!

Nic | 07.11.2010 14:47
warte schon ne weile drauf. erfreulich dass es sich auszahlt.
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