DRAMA/HORROR/THRILLER: USA/GB, 2011
Regie: Lynne Ramsay
Darsteller: Tilda Swinton, Ezra Miller, John C. Reilly
Das Kind war ungeplant, die Geburt der blanke Horror. Doch das war nichts im Vergleich zu dem, was da noch kommen sollte: Irgendwann realisiert die verzweifelte Mutter, dass sie ein Monster geboren hat, das sie fertig machen will. Mit seinem ständigem Gebrüll, mit seiner gehässigen Art, und später, als Teenager, mit seinem unverhohlenem Sadismus gegenüber der Mutter und der kleinen Schwester. Ja, die Eltern hätte über Kevin reden sollen. Doch dafür ist es jetzt zu spät ...
Am Anfang steht die Farbe Rot. Die Nachbarn haben Evas schäbiges Häuschen mit roter Farbe beschmiert. Rot steht für die Schuld. Aber auch für Erinnerungen an ein glücklicheres Leben. An ein Leben vor Kevin, als die rastlose, ziemlich neurotische Eva (perfekte Besetzung: Tilda Swinton) glaubte, als Reisejournalistin in Europa ihre Erfüllung zu finden.
Dann dann kam die ungeplante Schwangerschaft dazwischen, und die Mutterliebe wollte sich nicht auf Knopfdruck einstellen. Möglicherweise hat Eva ihr Baby unbewusst für den Verlust ihrer Freiheit verantwortlich gemacht. Ihm die Liebe versagt. Wir wissen es nicht. Und es ist auch gut so, dass Regisseurin Lynne Ramsay keine billigen, trivialpsychologischen Antworten gibt.
WE NEED TO TALK ABOUT KEVIN muss für werdende Eltern ungefähr das sein, was das Psychodrama BLUE VALENTINE für frisch Verliebte war: Ein genuin beunruhigender Film, der von schleichender, aber unaufhaltsamer Entfremdung erzählt. Ohne Schuldzuweisungen, ohne einfache Erklärungen, ohne Lösungen. Während aber in BLUE VALENTINE "nur" eine Beziehung zerbricht, passiert in KEVIN wesentlich Schockierenderes.
Was, das wurde in so gut wie jeder Kritik, die ich bisher gelesen habe, gleich im ersten Satz gespoilert. Ich hatte aber glücklicherweise vorweg jegliche Information über diesen Film verweigert (mit Ausnahme der nachdrücklichen Empfehlungen meiner üblichen verdächtigen Filmfreunde auf Facebook).
Aus dem Eben-Nicht-Wissen, worauf diese Geschichte hinausläuft, bezieht der Film einiges an Spannung. Für eine Roman-Verfilmung ist KEVIN bemerkenswert dialogarm ausgefallen; das Bemühen der Regisseurin, die Geschichte mit den Mitteln des Kinos, also bildhaft zu erzählen, ist deutlich spürbar. Viel wird mit Rückblenden gearbeitet, collagenartig werden Bild, Ton und Musik (Johnny Greenwood!) über den Kinosaal ausgebreitet.
Leider hat der Film dann für mich doch nicht die fesselnde Sogkraft entwickelt, die ich erwartet hatte. In manchen Momenten des mit 110 Minuten doch etwas zu langen Werks hätte ich mir gewünscht, lieber das Buch in der Hand zu halten.
Wie sich der Film im direkten Vergleich mit der Literaturvorlage schlägt, wird euch die geschätzte Kollegin Gerti erzählen, die das Buch kennt und die DVD von Kino Kontrovers (VÖ: 18.11.2012) vorbestellt hat.
Ein dämonisches Kind treibt seine Mutter in den Wahnsinn: WE NEED TO TALK ABOUT KEVIN ist das OMEN des amerikanischen Indie-Films. Ein stellenweise etwas zäher, aber höchst beunruhigender Film zwischen psychologischem Drama und Horror, nach dem man die Gründung einer Familie besser noch einmal überdenken sollte. ;-)
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