OT: Chi l'ha vista morire (Who saw her die?)
GIALLO: ITALIEN/DEUTSCH, 1972
Regie: Aldo Lado
Darsteller: George Lazenby, Anita Strindberg, Adolfo Celi, Nicoletta Elmi
Eine unheimliche Witwe hat es ganz anscheinend auf rotgelockte Mädchen abgesehen. Auch die Tochter eines Bildhauers verschwindet in Venedig und wird später tot aus dem Canale Grande gezogen. Da sich die Polizia im selbstgefälligen Nichtstun gefällt, nimmt der Vater (Ex-Bond George Lazenby mit Schnauzbart) die Ermittlungen auf eigene Faust auf - und stößt auf ein Wespennest.
KRITIK:Ein totes Mädchen, Venedig im Nebel, eine geheimnisvolle Frau, ein trauernder Bildhauer in einer zerbrochenen Beziehung, fast könnte man meinen, Aldo Lado hätte sich rotzfrech bei WENN DIE GONDELN TRAUER TRAGEN bedient - wenn der Film nicht ein Jahr vor Nicholas Roegs Mysterythriller entstanden wäre.
THE CHILD ist Aldo Lados zweiter Wurf nach MALASTRANA, und was für einer! Lado zeigt seine dem Tode geweihte Heimatstadt aus dem Blickwinkel eines Fremdenführers, der den Gast erst über die Schönheiten der Stadt staunen lässt, um ihn dann unmerklich immer tiefer ins Gassenlabyrinth zu ziehen.
Verwirrung und falsche Fährten haben natürlich bei einem Giallo Methode und gehören zum guten Ton. Auch die übrigen Zutaten sind ausreichend vorhanden: hübsche Damen in tollen Klamotten, bizarre Typen mit einem Hang zur Perversion, die Verdächtigen geben sich die Klinke in die Hand, schwarze Handschuhe und scharfe Messer fehlen selbstverständlich auch nicht.
Allenfalls die Morde sind nicht so aufreizend inszeniert wie sonst genreüblich. Fotografiert ist das dagegen mal wieder sensationell, geschnitten fast noch besser, da tauchen unmerklich Flashbacks, die sich erst nach einigen Momenten als solches zuordnen lassen, und dennoch so und nicht anders dahin gehören.
THE CHILD ist ein echtes Giallo-Schmuckstück, unterlegt und getragen von der überirdischen Musik von Morricone. Wer sonst wäre auf den Gedanken gekommen, Mordszenen ausgerechnet mit einem hypnotischen Lalala-Kinderchor zu unterlegen? Sicher gehörte dazu auch eine Menge Mut, aber 1972 war so etwas eben noch möglich. Und es ist gut denkbar, dass Nicholas Roeg diesen Film in irgendeinem italienischen Provinzkino gesehen hat, sich von seiner Qualität inspirieren ließ und dachte, was für eine coole Sau dieser Aldo Lado doch ist.
Dreh dich nicht herum, denn eine schwarze Witwe geht um. THE CHILD fesselt ab der ersten Minute mit seinen traumhaften Bildern der morbiden Lagunenstadt und seiner hypnotischen Musik. Und die Gondeln tragen Trauer.