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Die Frau mit der 45er Magnum

Die Frau mit der 45er Magnum

OT: Ms. 45
THRILLER: USA, 1981
Regie: Abel Ferrara
Darsteller: Zoë Lund, Editta Sherman, Albert Sinkys, Darlene Stuto

STORY:

Die stumme Thana (Zoë Lund) arbeitet als Näherin in New York. Auf dem Rückweg von der Arbeit wird sie von einem Mann (Abel Ferrara !!!) in einem Hinterhof auf einer Mülltonne vergewaltigt. Als sie später völlig zerstört nach Hause kommt, wartet in ihrer Wohnung bereits ein Einbrecher auf sie, der sie ebenfalls vergewaltigt. Thana kann sich jedoch wehren und erschlägt den Mann mit einem Bügeleisen. Sie nimmt seine 45er Magnum an sich und zerstückelt die Leiche, um sie später portionsweise über die ganze Stadt verteilt zu entsorgen.

Als ein Mann sie dabei beobachtet, wie sie eine der Tüten mit den Müllsäcken mit den Leichenteilen an der Straße liegen lässt, hebt er die Tüte auf und bringt sie ihr hinterher, da er denkt, sie hätte diese vergessen. Thana erschießt den Mann im Affekt. Von nun an beginnt sie langsam immer gezielter unliebsame Männer zu jagen und zu erschießen. Dazu verwandelt sie sich auch immer mehr von der anfänglichen grauen Maus in eine grell geschminkte Femme fatale ...

KRITIK:

Abel Ferrara war von den frühen 80ern bis Anfang der 90er Jahre einer der wichtigsten Independent-Regisseure der USA. In dieser Zeit avancierte er zum ungeschlagenen König des New Yorker Crime-Dramas und schuf so großartige Meisterwerke wie KING OF NEW YORK (1990) und BAD LIEUTENANT (1992). Doch schon bald darauf verloren seine Filme rapide an Relevanz und dementsprechend wurde es immer ruhiger um diese verrückte, katholische Koksnase aus der Bronx. So drehte Ferrara z.B. 1998 die unsägliche William Gibson-Verfilmung NEW ROSE HOTEL und 2005 zog er dann von New York nach Rom. Ob er da die Nähe zum Vatikan sucht, oder einfach nur leichter an sein weißes Pulver kommt, ist mir nicht bekannt ...

Anscheinend pendelte dieser Mann schon immer zwischen der Gosse und dem Glauben. Und genau diese Widersprüchlichkeit kennzeichnet auch viele seiner Charaktere und macht den besonderen Reiz seiner besseren Werke aus. Seine ersten Spielfilme waren dann auch ein billiger Porno (NINE LIVES OF A WET PUSSY, 1976) und ein kleiner Sicko (DRILLER-KILLER, 1979). Doch schon mit seinem dritten Film schuf Abel Ferrara sein erstes großes Meisterwerk. Und dabei handelt es sich um den hier besprochenen MS. 45 aka DIE FRAU MIT DER 45ER MAGNUM.

Die Inhaltsangabe lässt erwarten, dass es sich bei MS. 45 um ein krasses Rape & Revenge-Movie a la LAST HOUSE ON THE LEFT oder I SPIT ON YOUR GAVE handelt. Und ganz ohne Frage ist dieser Low Budget Film ein Exploitation-Flick vom feinsten. Aber was Ferrara da in nicht einmal 80 Minuten Film hineingepackt hat, ist trotzdem soviel mehr ...

Zunächst einmal ist da die stumme Protagonistin Thana, genial verkörpert durch Zoë Lund. Die durch ihre körperliche Behinderung bedingte Kommunikationslosigkeit spiegelt Thanas innere Isolation. Bereits vor den auf sie erfolgten tätlichen Übergriffen scheint sie sehr zurückgezogen gelebt zu haben. Als Thana ihrer neugierigen Nachbarin einmal abends sagt, sie übernachte heute bei einer Freundin, wundert sich die Dame, wer damit gemeint sein könnte. Anscheinend hat Thana also überhaupt keine Freunde.

Eine stumme Hauptdarstellerin bedingt natürlich auch, dass wir es hier mit einem relativ dialogarmen Film zu tun haben, in dem die Darstellerin Zoë Lund alle Gefühlsregungen ihres Charakters über rein nonverbale Signale deutlich machen muss. Und das gelingt ihr in ganz beeindruckender Weise!

Aber nicht nur die Hauptdarstellerin, sondern auch Abel Ferrara selbst ist durch dieses Handikap seiner Protagonistin zusätzlich gefordert. Und so zeigt sich seine Meisterschaft unter anderem gerade darin, wie er die Handlung über rein filmische Mittel verständlich macht. Auch wenn ich es noch nicht selber versucht habe, bin ich mir ganz sicher, dass man MS. 45 auch mit abgeschalteten Ton restlos verstehen kann, da hier im Prinzip alles über Bilder erzählt wird. Somit ist MS. 45 auch ein sehr gelungenes Experiment in Sachen reiner Film!

Ist DIE FRAU MIT DER 45ER MAGNUM überhaupt ein richtiges Rape & Revenge-Movie? Ich würde ganz klar sagen: Jein! - Natürlich hat der Film alles, was das Genre ausmacht: relativ fiese Vergewaltigungsszenen am Anfang, die später zu einem blutigen Rachefeldzug führen. Doch wenn man genau hinschaut, ist hier trotzdem alles anders:

Das heilige Grundprinzip jedes anständigen Rachethrillers, sei es mit oder ohne Vergewaltigung, liegt ja darin, dass die üble Tat der Bösen zu Beginn, die darauf folgenden, oft noch viel übleren Taten der Guten legitimiert. Und wurden schließlich alle Übeltäter auf möglichst grausame Weise ausgeschaltet, sind alle Traumata überwunden und die Welt ist wieder in Ordnung, da die Gerechtigkeit gesiegt hat!

Aber in MS. 45 läuft die Sache dann doch ein wenig anders: den ersten Vergewaltiger sieht Thana nie wieder, den zweiten tötet sie in Notwehr gleich vor Ort. Dahingegen nimmt ihr eigentlicher "Rachefeldzug" immer psychotischere Züge an. Den Endpunkt bildet hier nicht die Ermordung der Täter, sondern die Tötung von in jeder Hinsicht unschuldigen Personen. Die hier gezeigte "Rache" führt also nicht zur Heilung der zugefügten inneren Wunden. Stattdessen ist gerade sie der Ausdruck von Thanas durch die traumatischen Ereignisse beschädigten Persönlichkeit.

Der Katholik Ferrara zeigt mit seinem Film ganz klar, dass die durch Hass bedingten Handlungen keine Lösung sein können, da der Hass selbst Ausdruck der erlittenen Schädigung ist. Das ist für das Genre des Rachefilms eine wahrlich revolutionäre Botschaft, und DIE FRAU MIT DER 45ER MAGUM erweist sich somit als der bis heute durchdachteste und in dieser Beziehung auch beste Rachefilm aller Zeiten. Da können selbst die philosophischen Rachereflexionen eines Park Chan-wooks nicht ganz mithalten. In seiner genialen Rachetrilogie analysiert der Koreaner zwar vielfältigste Gründe, die ganz unbescholtene Bürger zu den blutigsten Rachetaten treiben können. Aber die Rache an sich wird von ihm letzten Endes doch nie hinterfragt.

Der einzige mir bekannte Film, der versucht an MS. 45 anzuknüpfen ist Neil Jordans DIE FREMDE IN DIR aus dem Jahr 2007. Der zeigt zwar sehr genau, wie die Protagonistin (Jodie Foster) gerade durch ihren Drang zur Rache noch tiefer in ihre persönliche Krise stürzt. Aber der Film ist nicht nur stellenweise unerträglich kitschig, sondern scheitert aufgrund seines völlig inkonsequenten konventionellen Endes. Doch mit MS. 45 hat Abel Ferrara eindrucksvoll bewiesen, wie man auch mit sehr geringen Mitteln, wesentlich mehr erreichen kann!

Die Frau mit der 45er Magnum Bild 1
Die Frau mit der 45er Magnum Bild 2
Die Frau mit der 45er Magnum Bild 3
Die Frau mit der 45er Magnum Bild 4
Die Frau mit der 45er Magnum Bild 5
Die Frau mit der 45er Magnum Bild 6
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Die Frau mit der 45er Magnum Bild 8
Die Frau mit der 45er Magnum Bild 9
FAZIT:

Abel Ferraras Frühwerk DIE FRAU MIT DER 45ER MAGNUM ist ein kleines, dreckiges Low-Budget-Exploitation-Flick und zugleich sein vielleicht größter Geniestreich überhaupt. Der Film bedient einerseits alle an einen Rape & Revenge-Film gestellten Erwartungen und führt zugleich das gesamte Genre ad absurdum, in dem er aufzeigt, dass dessen fundamentale Grundannahmen grundlegend falsch sind.

WERTUNG: 9 von 10 von der Killern im Nonnengewand feierlich geweihte Patronen
TEXT © Gregor Torinus
OK? MEHR DAVON:
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Dein Kommentar >>
uncut71 | 22.06.2012 02:01
in memorian of zoe lund (tamerlis) too young to
die... Toller Revenge-Thriller! Die ganzen
Altmeister aus den 70ern80ern kriegen heute
eh nix mehr zustande,vielleicht auch besser
so. Sollen lieber in Rente gehen,sorry! Time
was then and time is now
>> antworten
Nic | 24.09.2010 09:26
ja damals war Abel noch "Kult", jetzt kann man ihn wie carpenter vergessen ;). wird zeit für ein remake oder dass ein anderer aktueller trashfilm die figur "zitiert" ;)
>> antworten