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Gemini - Mörderischer Zwilling

Gemini - Mörderischer Zwilling

OT: Sôseiji
MYSTERY: JAPAN, 1999
Regie: Shinya Tsukamoto
Darsteller: Masahiro Motoki, Ryô, Yasutaka Tsutsui, Masako Motai

STORY:

Erst kommen die Eltern des jungen Arztes Yukio kurz hintereinander auf mysteriöse Weise ums Leben - dann taucht plötzlich ein Fremder auf, der dem Mediziner wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Dieser unheimliche, scheinbar aus dem Nichts gekommene Zwilling hasst und beneidet sein Ebenbild mit teuflischer Inbrunst. Und er hat es auf weit mehr als nur Yukios Leben abgesehen ...

KRITIK:

Zunächst einmal ist GEMINI wohl der erste Film mit einer FSK 12-Freigabe, bei dessen Vorspann immer wieder Bilder von wimmelnden Gewürm und einem verwesenden Hundekadaver, an dem Ratten fressen, dazwischengeschaltet werden.

Schon diese Eröffnung sollte eigentlich unmissverständlich klar machen, dass wir es hier mitnichten mit einem unbeschwerten Familienfilm zu tun haben.

Andernfalls hätte wohl schon ein flüchtiger Blick auf die Credits genügt. GEMINI kommt nämlich von Shinya Tsukamoto. Und dieser Herr sollte den deutschen Filmprüfstellen eigentlich bestens bekannt sein; schließlich haben sie mindestens ein Werk von ihm (nämlich den zweiten TETSUO) auf den Index verbannt. GEMINI ist zwar ganz weit weg von hemmungslosen Splattereskapaden, aber ebenso fern liegen die Ufer der jugendfreien Unterhaltung.

GEMINI ist ohne Abstriche düsterer Erwachsenenhorror. Somit führt die FSK 12-Freigabe alle in die Irre: Die Zwölfjährigen, für die der Film in vielen Belangen nicht geeignet ist, aber auch die älteren Filmfreunde, weil der grüne Flatschen harmlose Jugendunterhaltung suggeriert, die GEMINI mitnichten ist. Doch von FSK-Freigaben sollte man sich als mündiger Bürger sowieso nicht beeinflussen lassen, also beenden wir das leidige Thema und kommen zum Punkt.

GEMINI. Der mörderische Zwilling. Ein sinistrer, ein wunderschöner Film. Schon der Klappentext gibt viel über die Seele von GEMINI preis. Er gibt Auskunft darüber, dass GEMINI Tsukamotos Verfilmung einer literarischen Vorlage von Edogawa Rampo ist. Konkret handelt es sich dabei um die Kurzgeschichte "Sôseiji" des japanischen Pendants zu Edgar Allan Poe. Eine Zeile darunter wird in filmischer Hinsicht dann eine Parallele zu David Lynch gezogen.

Obgleich auf manchen DVD-Hüllen mitunter die abenteuerlichsten Vergleiche angestellt werden, wurde hier der Nagel auf den Kopf getroffen. GEMINI ist die Verfilmung einer Edogawa Rampo-Geschichte mit Anleihen bei Lynchs verschlüsselten Erzählstil. Und seltener, aber manchmal doch erinnert die entfesselte, fast hysterische Kameraführung sowie wie das intensive Spiel der famosen Darsteller(innen) gar an die Werke Andrzej Zulawskis.

Aber natürlich zeigt der Film in erster Linie die Handschrift seines Regisseurs. Shinya Tsukamoto gehört bekanntlich zu jener Gattung Filmemacher, die sich nie in ein Korsett von Konventionen stecken lassen; die unbeirrt (und unberechenbar) ihre eigenen Pfade bahnen. Teils im Abseitigen, teils im Avantgarde verwurzelt packt Tsukamoto die unterschiedlichsten Themen mit konsequenter Eigenwilligkeit an.

Waren seine TETSUO-Filme noch cyberpunkiger Bodyhorror, so ging er in VITAL das Thema Tod ernst, schmerzhaft und tieftraurig an. In HAZE beschreibt er 49 Minuten lang die Vorhölle der menschlichen Existenz in einer immer erdrückender werdenden Großstadt, während A SNAKE OF JUNE die dunkle Seite der Erotik beleuchtet. In HIRUKO krabbeln munter Menschenköpfe auf Spinnenbeinen in einer verlassenen Schule herum und hier interpretiert Tsukamoto Edogawa Rampo.

Es ist so wie immer. Tsukamoto provoziert. Experimentiert. Fasziniert und irritiert. Mit GEMINI fasziniert er vor allem. Dieser Film ist nach meinem persönlichen Empfinden vielleicht der beste Tsukamoto bislang.

Rampos Vorlage hat einige böse Überraschungen in petto, die auch im Film ausgespielt werden. Somit bleibt GEMINI auch inhaltlich beweglich und spannend, während er inszenatorisch und audiovisuell die ganze Zeit über fesselt. Da ist jedes Bild eine Komposition für sich. Bestechend ist die (psychologische) Düsternis; augenöffnend das Surreale. Die Ausgestoßenen des Elendsviertels etwa. In ihrer sonderbaren Bekleidung, die sich teils aus Tierfellen, teils aus buntesten Gauklerkostümen zusammensetzt. Ihre Straßen sind ein bizarrer Karneval.

Auf der anderen Seite das Haus des jungen Arztes; von einer unguten Atmosphäre durchzogen. Und auf seinem Grund und Boden findet sich auch ein tiefer, dunkler Brunnenschacht, der klamm an einen anderen berühmten japanischen Horrorfilm erinnert. Die merkwürdige, augenbrauenlose gespenstische Anmut der Darstellerin Ryô; die Verwandlungen von Menschen in etwas Animalisches und wieder zurück ... Die vielen psychologisch codierten Szenen.

Es gibt viel zu sehen in GEMINI. Doch man verlässt sich nicht nur auf den dunklen, ästhetisch hochwertigen Bilderrausch. Tsukamoto erzählt auch eine in vielen Belangen vielschichtige Geschichte. Es geht um Identitätentausch, Identitätenraub. Die Furcht vor dem Verlust der sozialen Stellung. Der noch größeren Furcht vor der Machtübernahme des eigenen bösen Ichs (oder der Weniger Privilegierten). Und wie immer bei Rampo geht es auch um Dekadenz, morbide Erotik und entgleitende Moral. Dieser Film ist ein gespenstisches, wunderschönes Fest. Ach ja: Das Hauptthema des Soundtracks ist ein gänsehautmachender Killer!

Gemini - Mörderischer Zwilling Bild 1
Gemini - Mörderischer Zwilling Bild 2
Gemini - Mörderischer Zwilling Bild 3
Gemini - Mörderischer Zwilling Bild 4
Gemini - Mörderischer Zwilling Bild 5
Gemini - Mörderischer Zwilling Bild 6
FAZIT:

Der abseitige Avantgardist und Regieexzentriker Shinya Tsukamoto inszeniert virtuos eine düstere, psychologisch doppelbödige Kurzgeschichte des japanischen Poe Edgawo Rampo. Herausgekommen ist ein gespenstisches, wunderschönes Fest von einem Film, der mal an Lynch, mal an Zulawski erinnert, aber 100% Tsukamoto ist. In einem Wort: Haunting!

WERTUNG: 9 von 10 Geburtsmale
TEXT © Christian Ade
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