DOKU: UK/A/NL, 2006
Regie: Sophie Fiennes
Darsteller: Slavoj Zizek
Der slowenische intellektuelle Popstar (Philosoph, Kulturkritiker und Psychoanalytiker) Slavoj Zizek versucht die Psychoanalyse Jacques Lacans anhand von Filmen zu erklären. Oder umgekehrt, vielleicht sind es auch die Filme, die Zizeks Psyche erklären...
KRITIK:Ich muss vorweg gestehen, ich bin wahrlich kein Experte auf dem Feld der Psychologie. Ich hab zwar durchaus einige Texte von Freud und Konsorten gelesen, aber dennoch neige ich wie vermutlich die meisten Menschen zu sogenannten küchentischpsychologischen Anschauungen und Interpretationen. Slavoj Zizek ist mit Sicherheit ein Experte. Dennoch werfen ihm seine Kritiker Sprunghaftigkeit, Widersprüchlichkeit, Redundanz und Oberflächlichkeit vor. Und ich habe eigentlich weder das Werkzeug, noch die Kenntnisse um die eine oder die andere Seite zu verteidigen oder kritisieren. Ich habe nur meine subjektive Wahrnehmung und meine Vorlieben um diesen Film zu reszensieren. Ich hoffe das reicht.
Slavoj Zizek ist ein Phänomen. Ein Intellektueller, der es zum Popstarruhm gebracht hat, weil er es verstanden hatte, komplizierte Zusammenhänge und Hypothesen nicht nur verständlich zu erklären, sondern auch noch unterhaltsam. Wer in Europa (ich weiß die amerikanischen Philosophieprofessoren machen das dauernd, z.B: Hegel ist McDonalds, Kant dagegen Burgerking) erklärt schon Freud und Kant unter Zuhilfenahme von Hollywoodblockbustern?
Dazu kann man ihm sein Charisma nicht absprechen. Ein Urgwalt von Mensch, mit dickem Vollbart, leicht schielenden Augen, wilder Gestikulation und einer faszinierenden Sprache irgendwo zwischen Akzent und Sprachfehler. Früher oder später wurde es wohl Zeit, dass sich Zizek nicht philosophisch-psychologischer Themen mithilfe von Filmen abhandelte, sondern Filme mit Hilfe seiner psychologischen Schule analysierte.
Zizek ist der Meinung, dass unsere Wünsche (Desires) nicht so sehr an ihrer Erfüllung kranken, sondern schon viel früher am Problem der Bewusstwerdung dessen, was und wie wir überhaupt begehren. Unsere Wünsche sind daher künstlich, wir müssen sie erlernen. Und das Kino hilft uns dabei als perverse Kunstform, die uns nicht gibt, was wir uns wünschen, sondern uns nur zeigt und lehrt, was wir begehren. Diese künstlichen Unwirklichkeiten dringen daher in die Realität ein und verzerren sie. "Wünsche sind eine Wunde der Realität". Das Kino spielt und manipuliert diese Wünsche, erfüllt sie aber niemals, weil die Distanz immer gegeben bleibt, die Begehren werden domestiziert, während jedoch die Emotionen, die wir erleben echt sind, und das obwohl wir wissen, dass es künstlich ist (bestes Beispiel Lars von Triers Dogville).
Zizek ist daher der Meinung, dass unser wahres Problem nicht darin liegt, Fiktionen zu ernst zu nehmen, sondern im Gegenteil, Fiktionen nicht ernst genug zu nehmen (wobei ich hier als Religionskritiker einwerfen möchte, dass wir einige Fiktionen durchaus viel zu ernst nehmen, und zwar die biblischen Mythen). Denn vielleicht ist unser wahres Selbst genau in diesen Fiktionen verborgen, während unser reales Selbst eine durch Erziehung und gesellschaftliche Zwänge entstandene Verzerrung darstellt. "Im virtuellen Raum kann man viel wahrhaftiger sein". Daher brauchen wir das moderne Kino um hinter der verzerrten Wirklichkeit die "echte" Realität zu finden. "Look into the Fiction".
Die Filme, die Zizek dabei analysiert sind u.a.: Blue Velvet, Mulholland Drive, Lost Highway, Vertigo, Psycho, The Birds, Lichter der Großstadt, The Great Dictator, The Exorzist, The Marx Brothers, Tarkovsky's Solaris und Stalker, The Conversation, The Matrix, Drei Farben Blau, Dogville, Fight Club, Die Klavierspielerin, Possessed, Der Zauberer von Oz und Walt Disney's Pluto unter Anklage.
Der besondere Clou, den sich Zizek und seine Regisseurin Sophie Fiennes (übrigens ein weiteres Mitglied des schöpferischen Fiennesclans neben Ralph und Josef) ausgedacht haben, ist es, Zizek in die Filmszenen hineinzukopieren und an ihnen als Statist oder manchmal sogar als Protagonist teilhaben lässt. Es mögen nicht immer neue oder besondere Erkenntnisse sein, die Zizek präsentiert, aber interessant, unterhaltsam und vergnüglich ist dieser psychologisierende Ausflug in die Welt des Filmes allemal und er macht vor allem Lust sich die analysierten Werke wieder einmal anzusehen oder neu zu entdecken.
Zizek's Pervert's Guide to Cinema ist vor allem für gefährlich halbgebildete Filmliebhaber wie mich ein außerordentlich anregendes und interessantes analytisches Vergnügen um sich über so manche oft ausgeklammerte oder ignorierte Dimension künstlerischen Wirkens bewusst zu werden und nachzudenken. Unbedingt ansehen!