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Der fremde Sohn

Der fremde Sohn

OT: Changeling
DRAMA: USA, 2008
Regie: Clint Eastwood
Darsteller: Angelina Jolie, John Malkovich, Jeffrey Donovan, Gattlin Griffith

STORY:

Für Christine Collins (Angelina Jolie) wird ein Albtraum wahr: als sie nach der Arbeit nach Hause kommt, findet sie ein menschenleeres Haus vor - ihr Sohn Walter ist spurlos verschwunden. Das von Korruption zerfressene LADP der 20er Jahre ist zuerst untätig, gerät dann aber doch unter öffentlichen Druck, in diesem Fall Ergebnisse zu liefern. In der Tat wird Christine Monate nach dem Verschwinden vor versammelter Presse ihr wiederaufgetauchter Sohn präsentiert - doch schnell wird ihr klar: "Das ist nicht mein Sohn." Für die alleinerziehende Mutter beginnt ein einsamer Kampf gegen Polizei und Politik, welche die Rückkehr ihres vermeintlichen Sohnes in den Medien lieber als großen Triumph gefeiert gesehen hätten.

KRITIK:

Clint Eastwood ist endlich wieder zurück und kann nach dem (für seine Verhältnisse) eher enttäuschenden Gesamtwerk FLAGS OF OUR FATHERS und LETTERS FROM IWO JIMA wieder mit einem großartigen Film auftrumpfen. Immerhin ist diessmal auch weit und breit kein Steven Spielberg zu sehen, den Eastwood unverständlicherweise für seine beiden Kriegsfilme hinzugezogen hatte. Nein, einen Spielberg-verseuchten Eastwood-Film wollen wir wirklich nie wieder sehen.

CHANGELING, oder zu Deutsch wenigstens diesmal nicht ganz unpassend "Der fremde Sohn" betitelt, ist dabei sowohl was Story als auch Straczynskis Buch betrifft, wie maßgeschneidert für Eastwoods klassisch-eleganten, ruhigen Regie-Stil.

In blassen Farben und mit einer seltsam beunruhigenden Gemütlichkeit spinnt Eastwood hier die Story fort, konzentriert sich nahezu frenetisch auf die Charaktere, lässt mal Bilder, mal Worte sprechen, und konstruiert so ein von Anfang an ein bedrückend-pessimistisches Szenario.

Meisterhaft wird hier vor allem Angelina Jolie, der diese ernste, traurige Rolle sichtlich gut tut, in Szene gesetzt. Ihre für die restliche Farbstimmung des Films viel zu roten Lippen und ihr tief im Gesicht sitzender Hut distanzieren sie von ihrer Umwelt - nicht nur von derer im Film, auch vom Publikum im Saal. So schafft es Eastwood, dass der Zuseher zu keiner Zeit ein Gefühl der Hoffnung hat, obwohl dieses Gefühl in Christine Collins sehr stark ist und ihr Kraft für ihren oft aussichtslosen Kampf gibt.

Interessant ist auch John Malkovich in der Rolle des Reverend Gustav Briegleb, lange Zeit die einzige Person, die versucht, Christine zu helfen und selbst schon einen lange währenden Kampf gegen die Korruption und die Gewalt im LAPD ausficht. Malkovich wirkt wie eine ernstzunehmende Version von Arthur Spooner, spielt für seine Verhältnisse reserviert und passiv.

Hervorzuheben ist hier auch noch Jeffrey Donovan der in der Rolle des selbstherrlichen Captain J.J. Jones, der einfach ein vorzügliches Arschloch abgibt. Auch wenn der Charakter teils überzogen dargestellt wirkt, zweifelt man trotzdem nicht an der Glaubwürdigkeit und daran, dass er selbst davon überzeugt ist, zu jeder Zeit das Richtige getan zu haben. Sein Unverständnis und sein Ärger darüber, dass eine Frau sich tatsächlich erdreistet, zu behaupten die Polizei oder gar er persönlich hätten einen Fehler gemacht, ist maßlos. Selbst überzeugendste Argumente wie dass Walter seit seiner Rückkehr 10 Zentimeter kleiner ist oder eine Zahnlücke "einfach so" verschwunden ist, prallen an ihm ab. Eine schlechte Mutter sei sie, die sich vor ihrer Verantwortung drücken will, weil sie sich an das schöne und angenehme Leben ohne Kind gewöhnt hätte.

Clint Eastwood ist ein Segen für das moderne Kino. Er ist einer der wenigen der es versteht, zeitlose Filme zu machen, die einerseits alle Regeln der modernen Filmkunst konsequent ignorieren, trotzdem aber nicht wie eine Produktion aus längst vergangenen Zeiten wirken. Dies lässt die Filme besonders authentisch erscheinen, noch ganz ohne offensichtliche Elemente wie Schauspieler oder die Kulissen zu bewerten. Natürlich, CHANGELING bietet ein L.A. der 20er so natürlich und echt, wie es nur sein kann. Es ist alleine ein Genuss dem Geschehen auf einer belebten Hauptstraße zu folgen, das mit fixer Kameraeinstellung während eines Großteils der End-Credits im Hintergrund gezeigt wird.

Doch das ist es nicht ... es ist die Art wie respektvoll Eastwood mit dem Medium Film umgeht, wie er es behandelt als wäre es feinstes, zerbrechliches Porzellan. Selbst Kamerafahrten setzt er so vorsichtig und spärlich ein, als könnte ein "zu viel" davon das gesamte Konstrukt einstürzen lassen.

Der alte Cowboy ist wahrlich zu einem ganz großen Filmemacher herangewachsen und ja, natürlich, weiß man das schon viel länger als seit CHANGELING. Aber die lange Pause seit dem letzten Film, vor allem wenn man die Spielberg-Ausrutscher wegrechnet, ruft dieses Wissen umso mehr wieder in Erinnerung. CHANGELING steht wieder wie ein Fels in der Brandung in einem Meer von Spezialeffekten, rasanten Schnitten, Wackelkameras und überdramatisierter Kamerafahrten, allessamt unerträglich ausgelutscht und zu einem gegenseitigen An-die-Spitze-treiben verflucht. Doch CHANGELING steht auch gegen überkünsteltes Arthouse, zeigt dass Filmkunst nicht neu erfunden werden muss, um "modern" oder "arty" zu sein.

Leider unterlief Eastwood allerdings auch ein grober Schnitzer: als sich im letzten Drittel des Films einige Geheimnisse lüften, als manches aufgeklärt wird und sich scheinbar manches zum Guten wendet, kostet Eastwood das zu sehr aus, zelebriert zu sehr dass am Ende doch das "Gute" über das "Böse" siegen kann, wenn auch bestenfalls in Teilbereichen. Trotzdem hat es einen Happy-End-Beigeschmack obwohl es noch lange nicht das Ende ist. Hier wäre ein zarteres, zurückhaltenderes Statement besser gewesen. Die schwere Last, die Christine trotz allem zu tragen hat, tritt oft zu sehr in den Hintergrund.

Doch das sei dem freundlichen Mann mit dem weißen Haaren und dem von tiefen Furchen zerfahrenen Gesicht verziehen: er ist im tiefsten seines Herzens einfach auch ein Romantiker, und manchmal bricht das bei ihm zu sehr durch.

Der fremde Sohn Bild 1
Der fremde Sohn Bild 2
Der fremde Sohn Bild 3
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Der fremde Sohn Bild 6
FAZIT:

Ein wundervoll inszenierter Film, in typischer Eastwood-Manier todernst klassich inszeniert - eine Wohltat. Auch wenn vor allem das letzte Drittel nicht mehr ganz das Niveau halten kann, ist es für mich immer wieder ein Erlebnis, mit wie wenig stilistischen Mitteln ein großartiger Film entstehen kann. Die Einblendung zu Beginn, dass es sich um eine wahre Geschichte handelt, hätte man sich sogar sparen können ... Eastwoods in jeder Hinsicht authentisches Werk hätte auch so zu keiner Zeit Zweifel aufkommen lassen, dass sich eine solche Geschichte damals genau so zutragen hätte können. Und das ist sicher eines der besten Komplimente, das man einem Film machen kann.

WERTUNG: 8 von 10 kalten Cornflakes
TEXT © Bernhard König
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Dein Kommentar >>
Nic | 29.01.2009 18:04
ebenfalls 8/10.
jolie ist hier ein bischen zu emotional mMn, ansonsten gelungen - wie man es von eastwood erwartet :)
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