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Der seltsame Fall des Benjamin Button

Der seltsame Fall des Benjamin Button

OT: The Curious Case of Benjamin Button
DRAMA: USA, 2008
Regie: David Fincher
Darsteller: Brad Pitt, Cate Blanchett, Tilda Swinton, Elias Koteas

STORY:

Die Biographie des seltsamen Benjamin Buttons…

KRITIK:

In den Filmen von David Fincher fand bisher immerzu ein scharfer Pessimismus Gehör. Die Farben in diesen Welten waren meist dunkel und gedämpft. Mit der Verfilmung einer Kurzgeschichte von F. Scott Fitzgerald weht nun aber ein frischer Wind und auch in qualitativer Hinsicht spielt Finchers neuster Film in einer anderen Liga. Während einige von der dreistündigen Biographie zutiefst gerührt sein werden, erkennen andere aus dem Gebrauch von umgerechnet knapp einer Million Dollar pro Filmminute einen David Fincher als herzlosen Technokraten heraus, über dessen neusten Film eine seltsame Kälte und Langatmigkeit liegt.

Benjamin Button wird nach dem 1. Weltkrieg als Greis geboren und altert fortan rückwärts. Zwar wird sein Geist immer älter, doch sein Körper scheint sich stets zurückzuentwickeln, sodass er am Ende eines langen Lebens als Säugling sterben wird. Mit der Geburt Benjamins beginnt die knapp drei Stunden umspannende Handlung, die vom Werdegang Benjamins erzählt und dabei ansatzweise auch den Wandel von Raum und Zeit binnen neun Jahrzehnten porträtiert. Parallel zum Leben von Benjamin verläuft eine als Rahmenhandlung fungierende zweite Geschichte, der allerdings nur wenig Aufmerksamkeit zugesprochen wird: 2005 liegt die alt gewordene Daisy im Sterben, als das Krankenhaus, in dem sie untergebracht ist, von Hurrikan Kathrina bedroht wird. Als es auf ihre letzten Stunden zugeht, bittet Daisy ihre Tochter ihr aus dem Tagebuch von Benjamin Button vorzulesen.

Mit dem Voranschreiten der Handlung spitzt sich der Film immer stärker zu einem Liebesdrama zu. Schon in der Kindheit lernt Benjamin die gleichaltrige Daisy kennen. Obwohl sie sichtlich Gefallen an ihrer Zweisamkeit finden, werden sie von Benjamins mysteriösem Altern getrennt. Erst als sie beide erwachsen sind und sich auch vom Aussehen her immer ähnlicher werden, können sie ihre Liebe leben und zeugen ein Kind. Doch weil Benjamin befürchtet, kein guter Vater sein zu können - schließlich wird seine Tochter schon bald älter als er aussehen -, will Benjamin ihre Beziehung beenden.

Adäquat zum distanzierten, dokumentarischen und gänzlich unpointierten Erzählstil inszeniert, fühlen sich die Bilder von Der seltsame Fall des Benjamin Button merkwürdig abschreckend und unmenschlich kühl an. Fincher begeht den Fehler, stilistisch an seinen alten Filmen festzuhalten, obwohl sich diese thematisch in ganz anderen Bahnen abspielen. Verliehen gerade die dunkel-düsteren Szenenbilder Filmen wie Se7en den letzten Schliff und sorgten dafür, dass sich diese problemlos in der Filmgeschichte etablieren konnten, hätten sie für Der seltsame Fall des Benjamin Button kaum unpassender gewählt werden können.

Aus 150 Millionen Dollar formt Fincher einen Film, in dessen Adern das Blut aus computeranimierten Bildern fließt. Nicht nur der übermäßige, vergängliche Einsatz der Technik steht Finchers Film in jedem Moment ins Gesicht geschrieben, sondern auch, dass es für die Maskenbildung permanentes technisches Mogeln bedurfte, weil sich die äußerliche Erscheinung der Protagonisten von Szene zu Szene extrem verändert. Der künstliche Alterungsprozess zeigt dabei besonders deutlich bei Brad Pitt und Cate Blanchett seine Spuren. Schafft es Pitt noch, eine grundsolide Leistung abzuliefern - die indes aber nie mit beispielsweise der in " Fight Club verglichen werden kann -, droht Blanchett unter dem Ballast des fingerdickem Make-Ups beinahe zusammenzubrechen und scheint außer Stande, wenigstens ihre schauspielerische Ehre zu bewahren.

Man könnte an dem Film grundsätzlich die Basis und eingenommene Erzählposition kritisieren, weil es Fincher schon deshalb nur selten gelingt Spannung zu suggerieren.

Die Crux des Films ist allerdings die Tatsache, dass Fincher den Themen über die Wertigkeit der Zeit und der Absurdität des Lebens nur wenig Neues abgewinnen kann und diese im Großen und Ganzen über die gesamte Laufzeit auf das Drama zwischen Daisy und Benjamin reduziert bleiben. Dennoch - und deshalb verlässt man das Kino auch mit der Gewissheit, dass man aus dem Stoff weitaus mehr hätte machen können - sind ein paar Szenen durchaus interessant und mit Ambivalenzen gespickt.

Diesbezüglich offeriert eine Szene am Anfang sehr schön das Dilemma des Films: Eine schmucke, prächtig aussehende Wanduhr wird nach dem 1. Weltkrieg in dem Bahnhof von New Orleans aufgehängt. Doch die Uhr dient nicht dazu, den Bürgern die genaue Tageszeit lesbar zu machen, denn die Zeiger bewegen sich gegen den Uhrzeigersinn. Ganz im Gegenteil: Sie wurde in Gedenken an die Gefallen im Krieg angefertigt und dient hier vielmehr als Symbol für die Zeit. Soweit so gut. Die thematische Verwandtschaft zur Grundidee ist logisch und erschließt sich auf Anhieb, aber leider spaziert der Film viel zu einfach über diese reizvolle Idee hinweg, ohne sie zu vertiefen und überhaupt in Verbindung mit der Lebensgeschichte von Benjamin zu bringen. Ein Exemplar, stellvertretend für weitere seltsame Momente, die mitunter auch die Länge des Films verschulden.

Last but not least kann es sich Fincher auch noch erlauben, seine Titelfigur zur bloßen Marionette des Drehbuchs mutieren zu lassen. Zwar wird durchwegs seine Lebensgeschichte verhandelt, doch ist Benjamin Button im besten Falle ein Wanderer zwischen den Zeiten. Es mag zwar um sein Leben und um seine Wandlung gehen, doch Fincher begibt sich nur allzu selten auf Augenhöhe mit dem Protagonisten und versucht das eigentlich Interessante, nämlich inwiefern kann Benjamin ein normales, erfülltes Leben führen und sich trotz seinem merkwürdigen Alterns in der Gesellschaft eingliedern, herauszuarbeiten. Da kann auch der mit wenig Feingefühl eingesetzte Voice Over- Stil nicht mehr die Wunden kaschieren und gießt stattdessen zusätzlich Öl ins Feuer: Trotz der ständig über sein Leben sinnierenden Monologe steht an Stelle eines emotionalen Menschen eine seelenlose Figur, deren Schicksal zu keiner Sekunde ernst zu nehmen ist.

Das alles ist für uns Filmfans dann gleich doppelt traurig mit anzusehen, weil wir ja eigentlich wissen, was David Fincher auf dem Kasten hat. Einmal - auch wenn es hier eher ein lächerlicher Moment ist - erzählt Daisy ihrer Tochter im Krankenbett eine kleine Anekdote darüber, dass sie ganze sieben Mal in ihrem Leben vom Blitz getroffen wurde und sichert dem Film somit einen handfesten Lacher. Ganz davon abgesehen, dass man das wiederum auch als ein Sinnbild für den Film lesen könnte, der statt eine tragfähige Botschaft zu formulieren, lieber reichlich unausgegorenen Ideen nacheifert, verrät diese Szene mehr als man zunächst glauben mag über das Potenzial des Films: Wahrscheinlich wäre gerade aus dem Anflug von Humor und der surrealistisch angehauchten Szenerie ein weitaus besserer Film zu schneidern gewesen.

Der seltsame Fall des Benjamin Button Bild 1
Der seltsame Fall des Benjamin Button Bild 2
Der seltsame Fall des Benjamin Button Bild 3
Der seltsame Fall des Benjamin Button Bild 4
Der seltsame Fall des Benjamin Button Bild 5
FAZIT:

Aus der für Fincher-Verhältnisse untypischen Grundlage zaubert er eine wilde Mixtur aus mangelhaft ausgearbeiteten Geistesblitzen und einer langatmigen Biographie, an dessen Ende einzig und allein die Erkenntnis überlebt, dass die Liebesgeschichte als Rahmen wohl ungleich geeigneter gewesen wäre.

WERTUNG: 3 von 10 einschlagenden Blitzen
Gastreview von Lukas
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Dein Kommentar >>
Nic | 13.04.2009 18:04
Sieh ihn als stilisierte Philosophie & Märchen-Stunde (x3), nicht als Drama im gewohnten Sinne. er ist emotional flach weil er "verallgemeint" erzählt - nicht gleichgebeutend mit "dokumentarisch". die schicksale der charaktere sind dementsprechend meist austauschbar - ein notwendiges opfer für die "allgemeine" aussage.
Lukas | 14.04.2009 13:11
Wenn ein Film das Leben eines (besonderen) Menschen unter die Lupe nimmt, und dabei die Entwicklung dieser Person von dem ersten bis zum letzten Tag seines Lebens erforscht, denke ich, könnte man das durchaus mit einer Biographie gleichsetzen. Der dokumentarische Stil defininiert sich bei mir mit der emotional distanzierten, sachlichen Erzählhaltung.
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