HORROR: USA, I, 1987
Regie: Stuart Gordon
Darsteller: Guy Rolfe, Hilary Mason, Carrie Lorraine, Carolyn Purdy-Gordon
In einer Gewitternacht verschlägt es eine Gruppe Reisender in das abgeschiedene Haus eines alten Spielzeugmachers. Die Ausflügler nehmen das Angebot des Hausherrn und seiner Frau, die Nacht in dem von zahllosen Puppen und Spielzeugen bevölkerten Haus zu verbringen, nur zu gerne an. Für einige der Gäste eine fatale Entscheidung, denn nachts erwachen die Kreationen des Puppenmachers zum Leben. Und wehe denjenigen, die sich nicht eine kindliche Ader bewahrt haben ...
Denkt man an Puppenhorrorfilme, kommt dem geneigten Geist als erstes die gute alte Mörderpuppe CHUCKY in den Sinn; und natürlich die langlebige, mittlerweile aus einem fetten Dutzend Filmen bestehende PUPPET MASTER-Reihe aus der Produktion des Oberpuppenmachers Charles Band, der damit (aber auch mit weniger bekannteren Werken wie BLOOD DOLLS, TOURIST TRAP, DEMONIC TOYS oder DOLLMAN) gefühlt mehr Puppen auf die Menschheit losgelassen hat als Martell Barbies.
ANNABELLE, THE BOY oder der unverdientermaßen etwas untergegangene Marionettenhorror DEAD SILENCE von CONJURING-Mastermind James Wan dürften dem jüngeren Puppenfreund dann auch geläufiger sein als DOLLS aus dem Jahr 1987.
Eigentlich schade, denn dieser in amerikanisch-italienischer Zusammenarbeit entstandene Toy-Horror ist nicht nur ein Jahr vor dem seinerzeit mit CHUCKY explodierenden Mörderpuppen-Hype entstanden, sondern auch sonst eine recht schmissige Angelegenheit mit dezentem Kultfilmpotenzial. Und natürlich hatte auch bei den DOLLS der offenbar mit einem grandiosen Puppenfetisch ausgestattete Charles Band seine Finger im Spiel. Als Executive Producer erscheint er in den Credits an der Seite von Co-Produzent Brian Yuzna.
Den Regiestuhl überließ man keinem Geringeren als Stuart Gordon. Der hat sich hier zum ersten Mal eine Auszeit vom Lovecraft-Universum gegönnt, nachdem er kurz zuvor den Großen Alten noch mit dem exquisiten Doppelschlag RE-ANIMATOR (1986) und FROM BEYOND (1987) formidabelst gehuldigt hat. Auch Gordons erster Einsatz in Charles Bands Toyland des Grauens ist eine Mission accomplished geworden, die in Deutschland aber ziemlich rasch vom Bannstrahl der bundesdeutschen Zensur getroffen wurde. Obwohl Fantasyschlachtplatten a la GAME OF THRONES und gutblutige Zombie-Apokalypsen wie THE WALKING DEAD den Gore selbst in unseren Wohnzimmern längst salonfähig gemacht haben, mussten die DOLLS trotz des vergleichweise moderaten Splatter eine verdammt lange Zeit auf der roten Liste darben. Erst dieser Tage wurden sie nach fünfundzwanzigjähriger Gefangenschaft auf dem Index freigesprochen. Nun ist aber abzusehen, dass der geneigte Fan endlich auch in Deutschland in den Genuss blutiger Puppenspiele kommt, ohne Österreich und Internet bemühen zu müssen. Wenn die Bundesprüfstelle jetzt auch noch Amando de Ossorios GEISTERSCHIFF DER SCHWIMMENDEN LEICHEN aus dem Hafen der Beschlagnahmung entlässt, können wir die Damen und Herren in Bonn ja bald wieder für zurechnungsfähig erklären.
Damals in den Neunzigern konnte ich weiß Gott viele Indizierungen nicht nachvollziehen, aber die von DOLLS war mir immer besonders schleierhaft. Es mag paradox klingen, aber tief im Innern von Gordons Puppenkiste schlummert eine warmherzige Seele - auch wenn in ihr nächtliche Diebinnen mit Karacho kopfvoraus an die Wand geschmettert oder Schlampen mit knallgelben BoyToy-Gürteln vors Erschießungskommando der Zinnsoldaten geführt werden...
Was DOLLS von anderen Puppenhorrorfilmen abhebt, ist diese gewisse märchenhafte Komponente, die im Film jederzeit spürbar bleibt. Ed Nahas Drehbuch kreuzt mal eben den Splatter- mit dem Kinderfilm und das Ergebnis ist zwar immer noch makaber, aber auch irgendwie niedlich. Stuart Gordon lässt die (übrigens von den FX-Altmeistern John Carl Buechler und David Allen zum Leben erweckten) Puppen mit dem ganzen Charme eines mit Herzblut gefüllten B-Movie tanzen und morden. Hochspannung kredenzt er uns in den knackig-kurzen 77 Minuten zwar weniger, aber dafür ganz viel Atmosphäre. Da ist eine Eiserne Jungfrau Dekoration; da zucken die Blitze vor den Fenstern; da wird nachts mit Kerzenständer über die dunklen, von hellem Puppenkichern erfüllten Korridore gewandelt. Und doch wähnt man sich weniger in einem altmodischen Gruselfilm als viel mehr in einer extra-large geratenen Episode der GESCHICHTEN AUS DER GRUFT. Was wohl an dem nie zu kurz kommenden schwarzen Humor liegt, für den der Crypt Keeper die DOLLS lieben würde.
Fast dreißig Jahre nach seinem Erscheinen sorgt DOLLS vielleicht nicht mehr für den Begeisterungssturm von damals, aber ein Besuch in diesem merkwürdigen Puppenhaus lohnt definitiv auch heute noch. Ich jedenfalls bin immer wieder gerne zu Gast bei Punch und Judy, Guy (DER UNHEIMLICHE MR.SARDONICUS) Rolfe und Hilary (WENN DIE GONDELN TRAUER TRAGEN) Mason, die hier als schrulliges Spielzeugmacher-Ehepaar glänzen, während Regisseursgattin Carolyn Purdy-Gordon (FROM BEYOND, COMMUNION) wie immer perfekt garstig die böse Stiefmutter mimt.
Noch vor dem großen von CHUCKY losgetretenen Mörderpuppen-Hype lässt Stuart (RE-ANIMATOR) Gordon diesselbigen im abgeschiedenen Haus eines alten Spielzeugmachers tanzen und meucheln. Mit B-Movie-Charme und dem schwarzen Humorverständnis einer TALES FROM THE CRYPT-Episode kreuzen die DOLLS mal eben den Splatter- mit dem Märchenfilm und gehören in die Toy Horror-Sammlung wie Ken auf den Beifahrersitz von Barbies rotem Flitzer.
In diesem Sinne: "You're never too old to play with dolls, until you're dead!"